Abstriche machen:Ein bisschen Normalität

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108 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben im Landkreis. Sozialarbeiter helfen ihnen bei der Integration

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Vor knapp zwei Jahren lebte noch kein einziger unbegleiteter junger Flüchtling im Landkreis. Heute haben hier 108 Jugendliche ein neues Zuhause gefunden, unter ihnen fünf Mädchen. Die jüngsten sind 15, die ältesten 20 Jahre alt; die meisten kommen aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea. In der zweiten Jahreshälfte 2015 kam das Gros der Jugendlichen an. "Das war eine stressige Zeit", erinnert sich Jugendamtsleiter Christian Salberg. Inzwischen hat sich die Lage etwas entspannt, die Betreuer bemühen sich, den jungen Menschen ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen.

Anfangs hingegen war es vor allem darum gegangen, überhaupt die Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Carolin Kausche, Einrichtungsleiterin für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, und Florian Robida, Teamleiter der pädagogischen Jugendhilfe, haben unentwegt nach freien Wohnungen im Landkreis gesucht, zum Teil in ihrer Freizeit die Grundausstattung in einem Möbelhaus eingekauft, anschließend alles aufgebaut und eingerichtet: Bett, Schrank, Schreibtisch, Stuhl - mehr nicht. "Herr Robida hat da auch gerne mal mit Hilfe seiner Familie Vorhänge aufgehängt, damit es die Jugendlichen etwas wohnlicher haben", sagt Salberg. Er ist stolz auf das große Engagement seiner Mitarbeiter.

Durch diesen Einsatz musste keiner der Jugendlichen übergangsweise in einer Notunterkunft unterkommen, sie konnten in Wohngemeinschaften einziehen, die sie auch selbst mit gestalten dürfen. Das hält Kausche für sehr wichtig, damit es ihr Zuhause wird. Immer zwei von ihnen teilen sich eines der Zimmer, mit Postern oder einem Spiegel machen es die jungen Leute etwas wohnlicher. In einem kleineren Zimmer ist ein Büro eingerichtet. Dort stehe immer mindestens ein Betreuer als Ansprechpartner zur Verfügung, auch nachts, sagt Kausche. "Außer an den Vormittagen unter der Woche, wenn die Jungs ohnehin alle in der Schule oder bei ihren Ausbildungsbetrieben sind." Küche, Bad und einen Gemeinschaftsraum mit Esstisch benutzen alle Bewohner gemeinsam. Das Kochen ist den jungen Männern sehr wichtig. "Sie treffen sich oft und kochen gemeinsam. Wir zeigen ihnen auch typisch deutsche Gerichte, damit sie wissen, was da alles drin ist", erklärt Kausche. In der Wohnung gegenüber kochen einige der jungen Männer gerade. Es riecht lecker. Heute gibt es Pommes mit Spiegeleiern.

Durch den gemeinsamen Alltag mit den Jugendlichen konnten sich Jugendamtsleiter Salberg und sein Team schnell ein reales Bild von Problemen und Erfolgen machen. Eine wichtige Erkenntnis daraus betrifft die Komplexität des Integrationsbegriffs: "Integration heißt nicht nur, dass sich der Flüchtling in einem Verein engagieren soll. Der Begriff muss von zwei Seiten funktionieren und das bedeutet auch, dass man unangenehme Sachen ansprechen darf und muss", erklärt Jochen Specht, Sozialarbeiter im Kreisjugendamt. Zum Beispiel ist es wichtig, den Jugendlichen zu erklären, dass es mit der Traumausbildung wahrscheinlich nichts werden wird. Für die meisten ist das eine zum Mechatroniker. Geschafft hat dies bisher nur einer der insgesamt 23 jungen Flüchtlinge, die derzeit eine duale Ausbildung absolvieren. Die anderen sind beispielsweise bei Bäckereien, Friseuren, Malerbetrieben oder im Gartenbau gelandet. "Da darf man nicht in einen ,Wir kriegen das schon hin'-Jargon verfallen, sondern die Jugendlichen müssen lernen, dass sie unter Umständen Abstriche machen müssen."

Zur Ehrlichkeit bei der Integration gehört aber auch eine Differenziertheit. "Wenn unsere Jungs mal eine Rangelei haben, dann ist das kein Problem von Flüchtlingen, sondern ein Problem von Jugendlichen", sagt Florian Robida. Oder die Situation eines jungen Flüchtlings, der eine Ausbildung in einer Bäckerei absolvierte. "Er kam immer eine oder zwei Stunden zu spät zu seiner Arbeit", erinnert sich Jochen Specht. Der Grund dafür sei aber keinesfalls Unlust oder eine Unverantwortlichkeit des jungen Mannes gewesen. "Ihm war einfach nicht klar, dass er im Gegensatz zu seinem Heimatland in Deutschland pünktlich zu seiner Arbeit erscheinen muss." Es gehe nicht darum, Schwierigkeiten zu beschönigen, sondern sie durch eine differenzierte Sichtweise zu verstehen und sie dann klug anzugehen, ergänzt Salberg.

Robida bezeichnet eine solche Haltung als Meinungsmitte. "Im Moment gibt es eine solche nicht. Es heißt nur: Entweder Integration oder Abschiebung. Das ist ein Problem!" Er wäre dafür, dass die jungen Flüchtlinge die Möglichkeit bekommen, eine Berufsausbildung in Deutschland abschließen zu können - und zwar unabhängig von ihrer Bleibeperspektive. Danach könne der Jugendliche dann entweder den deutschen Arbeitsmarkt bereichern, oder er kehrt mit einem fundierten Know-how in sein Heimatland zurück. "Auch so kann Entwicklungshilfe funktionieren!"

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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