Abschluss der Ebersberger Kulturtage:Ein Buffet für die Ohren

Abschluss der Ebersberger Kulturtage: Über den Musikgeschmack der Besucher geben die Kopfhörer Auskunft. Sie leuchten je nach Stilrichtung in einer anderen Farbe.

Über den Musikgeschmack der Besucher geben die Kopfhörer Auskunft. Sie leuchten je nach Stilrichtung in einer anderen Farbe.

(Foto: Christian Endt)

Die "Silent Disco" mit Kopfhörern statt Lautsprechern ist auch eine barrierefreie Party für alle

Von Victor Sattler, Ebersberg

Als es Bettina zu viel Trubel wird, nimmt sie ihre Kopfhörer ab und setzt sich kurz zu ihrer Betreuerin auf eine Couch. Der Beat, der eben noch elektrisierend auf ihren Ohren gewummert hat, ist ganz verstummt und alles, was man in der Ebersberger Volksfesthalle noch hört, ist vereinzeltes Mitsummen, Stampfen und ein paar männliche Brunftseufzer. Es ist fast ganz still, doch alle tanzen unbeirrt weiter.

Bettina hat eine geistige Behinderung und drückt deshalb in der Disco gern mal kurz auf Pause, indem sie die Kopfhörer absetzt. In der allerersten Ebersberger "Silent Disco", zum Abschluss der Ebersberger Kulturtage am Freitag, war es ihr so möglich, sich unter die Leute zu mischen - und die Begeisterung darüber bringt sie auch lautstark zum Ausdruck. "Seit ich ihr heute davon erzählt habe, ist sie schon ununterbrochen am Tanzen", sagt ihre Betreuerin Diana vom Behindertenzentrum (BZ) Steinhöring. Ein Rädchen am Kopfhörer gibt Bettina Kontrolle über die Lautstärke. Zudem könnte Diana ihr die Disco einfach von den Ohren nehmen, falls es Bettina plötzlich nicht mehr gut ginge. Noch ein zweiter Schützling des BZ ist auf der Tanzfläche unterwegs, zeigt Diana: "Renate ist die da hinten, die so extrem glücklich ist."

Dabei war Silent Disco ursprünglich nicht als barrierefreies Konzept gedacht, sondern findet bei einer ganzen Generation Anklang; so ist der Trend nun auch aus München in den Landkreis übergeschwappt. Was macht die Idee einer Silent Disco so jung? Die Ebersberger Jugendlichen mögen daran, dass das Tanzerlebnis individualisierbar wie ein Musik-Buffet ist, und damit für alle Geschmäcker offen: Über einen Knopf am Kopfhörer wechseln die Feiernden zwischen drei Kanälen hin und her. Ein farbiges Licht verrät, ob jemand im Moment auf alternativen Rock, auf old-school Hip-Hop oder doch auf Chart-Hits abfährt. Drei DJs, über die Halle verteilt, bedienten jeweils ihr Klientel, aber die Mucke der DJs macht keinen Mucks, solange man nicht auf ihren Kanal zappt. "Die DJs sehen anhand der Farben leider auch, falls ihnen gerade niemand zuhört", sagt Daniel Hitzke vom Kreisjugendring. Aber das ist am Freitagabend nicht der Fall. Anstatt starrer Fraktionenbildung, flimmern regelmäßig blaue, grüne oder rote Wellen über die Menge hinweg. Und es wird deutlich: Man kann auch gut mit jemandem tanzen, der in einer ganz anderen Sphäre hört als man selbst.

Wer ausgiebig quatschen wollte, konnte einfach für eine Weile die Kopfhörer abnehmen; umgekehrt durfte man sich seine Musik aber auch auf die Toilette oder nach draußen mitnehmen. Und die Nachbarn, die sich in den letzten Jahren zur Genüge über die Kulturtage beschwerten, weil das mächtige, resonierende Kanalrohr unter dem Festplatz die Bässe bis in ihre Schlafzimmer trug, würden auch in das Loblied mit einstimmen.

Manch einer findet aber, dass Disco damit ihre Kanten und ihren Charme verloren hat. "Ich finde das seltsam, es ist einfach zu leise hier!", meint Jens Clark, der ein wenig abseits und ohne Kopfhörer steht. "Vielleicht ist es aber auch eine Generationenfrage", überlegt er, da er nun schon seit ein paar Jahrzehnten in Diskotheken unterwegs ist. Ihm und anderen Kritikern fehlt bei der Silent Disco das Gefühl des Bassdrucks, der einem aus den Boxen kräftig auf die Brust schlagen muss: "Man hat früher doch kaum Luft gekriegt!"

Auch für die Band Orange stellt das zumindest eine Herausforderung dar: Im Lauf des Abends spielen sie ihre Elektromusik live on Kopfhörer, mit nackten Ohren vernimmt man dabei aber nur das Schlagzeug und die unverstärkte Stimme. Hinzu kommt, dass der Lichttechniker Chris Singer beim besten Willen nicht weiß, wie er die Band mit passenden Lichteffekten begleiten soll. "Auf alle Fälle darf es nicht zu hell werden, damit niemand Hemmungen bekommt", lacht er und bemüht sich, den Tanzenden ihre bizarre Situation nicht zu bewusst zu machen. Normalerweise reagieren Lichtanlagen sensibel auf die laufende Musik und passen sich an, für die Silent Disco mussten aber schon vorab verschiedene "Stimmungen" programmiert und eingespeist werden.

Ist das also eine Disco aus der Dose? Der Anblick des buntgemischten Feiervolks - Anhänger sämtlicher Musikgenres, inklusive Bettina und Renate - lässt die Kritik der Disco-Nostalgiker so schnell verstummen, als setzte man sich einen lauten Kopfhörer auf. Und für die Zukunfts-Skeptiker, denen dabei doch der wahre Reiz der Disco fehlt, hält der technische Fortschritt auch schon ein nächstes Produkt bereit: Ein vibrierendes Pad, mit Gurt um den Oberkörper geschnallt, könnte schon bald auch das Gefühl von bebenden Basswellen auf der Brust lebensecht simulieren.

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