Abitur im Landkreis Ebersberg:Ein besonderer Jahrgang

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Spitzen-Tag trotz Corona: Die Markt Schwabener Gymnasiasten feiern im Autokino Aschheim. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Coronajahr müssen die Gymnasien im Landkreis findig sein, um Zeugnisverleihungen feiern zu können. Während Vaterstetten, Kirchseeon und Grafing ihre Veranstaltungen splitten, weicht Markt Schwaben ins Aschheimer Autokino aus

Von Alexandra Leuthner und Antonia Voelzke

Die Assoziation des Landrats wird an diesem Morgen im Aschheimer Autokino so manch einer geteilt haben, ein Morgen, an dem so vieles anders war als in den zurückliegenden Jahren und manches ganz anders als überhaupt je zuvor. Oder wer kann sich erinnern, zur Verleihung seines Abiturzeugnisses in ein Autokino gefahren zu sein? Er jedenfalls nicht, erklärte Robert Niedergesäß, er sei überhaupt noch nie hier gewesen. Bis in den Münchner Nachbarlandkreis mussten die diesjährigen 123 Abiturienten des Markt Schwabener Franz Marc Gymnasiums reisen, um an ihre Reifezeugnisse zu kommen. Wenigstens konnten sie im weiten Rund des Kinos und im Schutz ihrer Autos alle gemeinsam feiern, während Vaterstetten, ein paar Kilometer weiter, Kirchseeon und Grafing ihre Zeugnisverleihungen aufsplitteten, der Abstandsregeln gemäß, die eine engere Bestuhlung in Turnhalle, Stadthalle und Aula nicht zuließen.

Er fühle sich an Radiator Springs erinnert, erklärte der Landrat gleich in der Früh in Aschheim, beim Anblick der im Halbkreis um die Bühne versammelten Autos, in deren Scheinwerfer er blickte. An jenes fiktive Örtchen also, das Schauplatz des mittlerweile zum Kult avancierten Animationsfilms "Cars" ist, und das nicht an der Münchner Straße 60 in Aschheim sondern an der Route 66 in Amerika gelegen ist, und fürs Erste für die Absolvia dieses Jahrgangs ebenso wenig zu erreichen, wie all die anderen Reiseziele in der weiten Welt, die bayerische G8-Abiturienten in den zurückliegenden Jahren so gerne besucht haben.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eindrücke von den diesjährigen Abi-Feiern: Eine motorisierte Versammlung von Markt Schwabenern in Aschheim.

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Katharina Koschewa trotzt in Kirchseeon Corona mit Schwimmreifen und Schultüte.

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Lockere Bestuhlung in Grafing.

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In Vaterstetten wird getanzt, zumindest vereinzelt.

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Bis in den Münchner Nachbarlandkreis mussten die diesjährigen 123 Abiturienten des Markt Schwabener Franz Marc Gymnasiums reisen, um an ihre Reifezeugnisse zu kommen.

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Bei der Abschlussfeirer in Kirchseeon gab es einen roten Teppich.

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Die Grafinger übertrugen die Verleihung mit einem Livestream - für Zuschauende zuhause.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dieses Jahr kombinierten die Abiturienten einen Mundschutz zur festlichen Garderobe.

Glitzernde Banderolen hängen an den Scheibenwischern

"Beginnen Sie doch gleich eine Berufsausbildung und verschieben Sie Ihre Reisepläne", rief denn auch der Direktor des Vaterstettener Humboldt-Gymnasiums zweieinhalb Stunden später seinen ehemaligen Schülern zu, 194 an der Zahl. Viel anderes wird ihnen auch nicht übrig bleiben, bis die Sache mit Corona irgendwann vorbei ist - doch die Stimmung war dennoch prächtig an diesem Morgen, sowohl in Vaterstetten als auch in Aschheim, Grafing oder Kirchseeon.

Statt der üblichen Blumengebinde waren in Aschheim noch kurz vor zehn glitzernde Banderolen mit dem Aufdruck "Abitur 2020" verteilt worden und glänzten jetzt befestigt an Scheibenwischern und Kühlergrillen in der Sonne. Ein Hupkonzert statt des üblichen Klatschens begrüßte den Schulleiter und die Oberstufenkoordinatoren auf der Bühne Und der neugierige Blick in so manches Auto offenbarte, dass es sich im Gegensatz zum doch recht trockenen Ambiente einer Schulturnhalle im geschützten Innern des elterlichen Autos mit einem Gläschen Sekt ganz gut, aber unauffällig anstoßen ließ. Und weil Ansprachen selten so gut zu hören sind wie über die Kino-Frequenz im Autoradio, übertönte das Klirren auch nicht die Worte der Redner.

Die jungen Leute haben gute Leistungen gebracht

Und so war gut zu hören, zwischen orangefarbenen Pylonen und Platzanweisern, die jeden Oldtimer genau wie jeden Allerweltsgolf an seinen Platz geleitet hatten, wie Schulleiter Peter Popp über die Bedeutung von Freiheit räsonierte, Freiheit in einer Zeit, in der es nicht einmal die Freiheit eines Abiballs gegeben habe. Popp zitierte Orwell, Camus und Dietrich Bonhoeffer, gemahnte an die Verantwortung, die für die Abiturienten jetzt mit ihrer neuen Freiheit verbunden sei. Sie bestehe nicht in erster Linie aus Privilegien, sondern aus Pflichten, Freiheit bedeute aber vor allem, seinem Leben die richtige Richtung zu geben und geben zu können.

Pflichtbewusst scheinen sie gewesen zu sein, die Abiturienten in den Gymnasien im Landkreis Ebersberg, trotz der schwierigen Bedingungen. Vieles war anders für sie, die "schwebend in den Tagen, Unwägbarkeiten ausgesetzt" waren, wie Popp nochmals Camus zitierte, und mit Home-Schooling und Mebis-Pädagogik eine ganz besondere Zeit der Vorbereitung hinter sich haben. Der Gesamtdurchschnitt lag sowohl in Markt Schwaben als auch in Vaterstetten unter dem bayerischen Wert von 2,25 und erreichte in Markt Schwaben mit 2,14 gar den besten Wert seit das Gymnasium gegründet wurde. Dreimal die Note 1,0 gab es hier, sechs mal sogar in Vaterstetten.

Einen "der besten Jahrgänge aller Zeiten" feierte man dort in der locker bestuhlten Turnhalle - in der zwar auf musikalische Einlagen, nicht aber auf den roten Teppich verzichtet wurde. Dass der diesmal etwas kürzer ausfiel und statt längs durch die Turnhalle nur einmal quer verlief, bot den Absolventen dennoch genug Möglichkeit für das verdiente Schaulaufen. Zurecht, wie Schulleiter Rüdiger Modell erklärte, schließlich könne man mehrere Studienabschlüsse machen, mehrere Doktorhüte aufsetzen oder Professorentitel erwerben. Ja, sogar heiraten könne man häufiger, "das Abitur ablegen aber kann man nur einmal".

Naheliegend also, dass der selbst auch scheidende Direktor des Grafinger Max-Mannheimer-Gymnasiums, Paul Schötz, den Abschied thematisierte. Auch er hatte einige Zitate in die Rede an seine Abiturienten eingebaut, so ein französisches Sprichwort: "Abschied ist ein bisschen wie sterben". Und doch seien Abschiede wichtig fürs Leben, egal ob es der Abschied vom Elternhaus, von der Kinderzeit, von der Schule sei, ohne Abschied kein Neuanfang. "Wir verlieren nicht nur, wir gewinnen auch. Das Leben mit seinen Veränderungen gibt euch (uns) gerade dadurch die Chance, euer (unser) Wesen zu entfalten." Und so sei Abschied, auch "ein bisschen wie geboren werden", sagte Schötz.

Direktorin Simone Voit äußert ein bisschen Bedauern für diesen Abiturjahrgang

Blickfang in der Aula des Gymnasiums Kirchseeon ist die prächtige Wendeltreppe. Sie war diesmal mit Efeuranken geschmückt. "Jeder Schüler im Gymnasium arbeitet darauf hin, diese Wendeltreppe bei der Abiverleihung einmal herabzuschreiten", sagte Schulleiterin Simone Voit. Die diesjährigen 125 Abiturienten des Gymnasium Kirchseeon haben es geschafft. Der feierliche Abstieg dürfte auch für sie ein ganz besonderer Moment gewesen sein, angesichts der Corona-Krise schien es ja nicht sicher, ob die alljährliche Zeremonie überhaupt stattfinden kann. "Der Abijahrgang vor euch dachte noch, sie wären etwas Besonderes, angesichts der so schweren Matheprüfung", sagte die Schulleiterin zu Beginn ihrer Verleihungsrede. "Wirklich besonders seid aber ihr, denn ihr wurdet vieler Freuden in der Abizeit beraubt." Durch die fehlende Struktur seien die Abiturienten dieses Jahr besonders gefordert gewesen, sagt sie. Umso lobenswerter der Jahrgangsdurchschnitt von 2,34. Zwei der Abiturienten haben einen Schnitt von 1,0 erzielt.

Um die Corona-Hygieneregeln bei der Verleihung einhalten zu können, hatte sich die Schule dazu entschieden, die Abiturienten in neun Gruppen aufzuteilen. Mit Abstand saßen die Eltern in der Aula und warteten gespannt. Ihren Weg ins Glück sollten sie finden, wünschte Voit den Abiturienten, und forderte sie auf, aktiv in der Gesellschaft mitzuwirken. Dann durften sie sich ihre Zeugnisse abholen. Zu selbst gewählten Songausschnitten schritten sie nach vorne zu einem Tisch mit Rosen, kleinen Präsenten und dem Stapel der Zeugnisse, auf einer großen Leinwand erschien ihr Name und ein Bild aus Kinderzeiten. Nach einer halben Stunde war die Verleihung beendet.

Einen Abiturscherz gab es nicht - aber etwas ähnliches

Die nächste Abiturientengruppe wartete schon mit ihren Eltern vor dem Eingang der Aula. Im Anschluss an die Verleihung wurden alle eingeladen, die Feierlichkeiten in der Turnhalle ausklingen zu lassen und sich gemeinsam ein selbst gedrehtes Video der Abiturienten anzusehen. Da die Schüler dieses Jahr keine Möglichkeit hatten, einen Abistreich zu verüben, haben sie sich etwas einfallen lassen. Sie haben Lehrer ihrer Schule vor die Kamera gesetzt und ihnen kuriose Aufgaben gestellt. So mussten die Lehrer verschiedene Gegenstände ertasten. Während das Video auf einer großen Leinwand lief, entstanden alsbald viele angeregte Gespräche in der Turnhalle. Der Stolz der Eltern und die Heiterkeit der Abiturienten waren deutlich zu spüren. Daran konnte auch Corona nichts ändern.

Vielleicht im Gegenteil: Die Sprecher der Vaterstettener Absolvia, Julia Walter, und Alexander Nitzke hatten es so ausgedrückt: Ganz unabhängig vom Notenschnitt jedes Einzelnen werde dieser Jahrgang, der Coronajahrgang, wohl in die Geschichte eingehen.

© SZ vom 18.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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