Naturschutz:Franz Jaud ist der Guru des Gartelns

Naturschutz: Wenn er die Dinge von seinem Kraftsitz aus betrachtet, hat Franz Jaud den Überblick auf das gesamte Areal.

Wenn er die Dinge von seinem Kraftsitz aus betrachtet, hat Franz Jaud den Überblick auf das gesamte Areal.

(Foto: Christian Endt)

Franz Jaud betreibt ein Biotop für seltene Pflanzen und Insekten. Für seine Expertise besuchen ihn Lehrer und Professoren. Über die Gratwanderung zwischen Artenschutz und Attraktion.

Von Korbinian Eisenberger

Manchmal geht ihm die Kraft aus, dann legt er seinen Stock beiseite und setzt sich auf den Steinhocker mit den zwei Holzbrettern. Die Aprilsonne fällt dann weich auf seine Schirmmütze, und wenn er die Dinge von hier aus betrachtet, kommt die Kraft langsam aber sicher zurück. Er sitzt da, die Füße mit den Gummistiefeln so übereinander geschlagen, dass nur eine Sohle den Boden berührt. Ein Boden, von dem er jeden Zentimeter kennt. "Blühen und stehen lassen", sagt er. Darum geht es ihm. Ein Fehltritt in die gelben Buschwindröschen? Da schwindet die Seligkeit für einen Moment aus seinem Gesicht. Als hätte jemand sein Kraftzentrum ausgeschaltet.

Wer das Reich von Franz Jaud betritt, ist auf großem Fuße klar im Nachteil. Allzu eng sind die Pfade, über die man hinaufgelangt zu diesem einzigartigen Ort der Vielfalt. Den Ort mit dem "Kraftsitz", wie Jaud sagt. Hier, wo die Stadt Ebersberg aufhört und in ein Landschaftsschutzgebiet übergeht, hat er ein Naturparadies geschaffen. Auf einem Moränenhügel aus der Eiszeit hat der 74-Jährige vor knapp 20 Jahren ein Biotop für Pflanzen und Insekten angelegt, die in Bayern sonst nur in botanischen Gärten zu finden sind. Hier wächst es unter dem Himmel in freier Natur; vom westeuropäischen Scheinmond bis zum römischen Urpfirsich. Eine Sammlung an einem Südhang, die sich weit über die Landkreisgrenzen herumgesprochen hat.

Naturschutz: Oberste Regel von Franz Jaud: "Blühen und stehen lassen."

Oberste Regel von Franz Jaud: "Blühen und stehen lassen."

(Foto: Christian Endt)

Jauds Empfehlung für Schmetterlinge im Garten: Oregano

Mittagsstunde in Ebersberg. Franz Jaud bekommt - wie so oft- unangemeldeten Besuch. Albert Schmidseder ist aus dem zehn Kilometer entfernten Oberelkofen gekommen, ein pensionierter Lehrer und passionierter Gartler, der den Weg über den Bach hinauf zum Kraftsitz gefunden hat. Bei ihm daheim im Garten wachsen jetzt die Schneeglöckerl, Hortensien und Sternmagnolien. "Nur ein bisserl mehr Schmetterlinge könnten es sein", sagt Schmidseder. Jaud hebt die Augenbrauen. Seine Empfehlung: Oregano. "Das wächst bei mir am ganzen Hang, auf nix gehen Schmetterlinge stärker." Vielfalt heißt bei ihm auch: viele Falter.

Franz Jaud, Jeans, Fleecepulli, Gehstock, ist so etwas wie ein Guru, wenn es um die Feinheiten des Gartelns geht. Auf seiner Moräne in Ebersberg besuchen ihn Professoren und Ärzte, "und ganz oft Heilpraktiker oder Lehrer", sagt er. Menschen, die um seine Expertise bitten und Tipps bekommen. Für den eigenen Kleingarten, die richtige Dosis in der Kräutermedizin, oder für ein wissenschaftliches Pamphlet. In diesen Wochen der Blütezeit steht Jaud fast täglich am Hang, mit der Harke über Beete gebeugt. Dort, wo keine gewöhnlichen Sträucher wachsen, sondern die seltenen Gebirgsstachelbeeren, wo die Buschwindröschen nicht wie üblich weiß sind, sondern gelb. Und wo dazwischen der seltene Moorbläuling flattert.

Jaud war Sportler - bis zu seinem Unfall

Der spontane Gast aus Oberelkofen ist wieder verschwunden, nun steht Franz Jaud alleine zwischen den Frühlingsblatterbsen, Hundsveilchen und Alpenrosen. Sein Basislager, eine Holzhütte am Fuß des Hanges, war früher Schlafstätte von Hirten, die hier Schafe auf die Weide trieben. Später wurde der Hang von Skispringern als Trainings- und Wettkampf-Schanze genutzt, erzählt er und zerreibt eine leere Bucheckern-Hülse zwischen den Fingern. Sport, das war einst auch sein Leben - bis zu seinem ersten Unfall.

Er zeigt auf einen Punkt am Ufer des Bacherls Ebrach, wo er als Fünfjähriger vom Nachbarn lernte, wie man Pfeil und Bogen baut. Später wurde Jaud ein zielsicherer Biathlet und Ski Arc-Athlet (Biathlon mit Pfeilen), "ich war acht Jahre lang Leistungssportler", sagt er. Bei einem Sturz zog er sich eine schwere Knieverletzung zu, das Karriereende. Und so kam Jaud zu seiner zweiten Berufung - dem Garteln, was ebenfalls gefährlich sein kann.

Seine Artenvielfalt weckt Begehrlichkeiten

Jaud schaut an sich runter, die Krücke, das kaputte Bein, dass er seit seinem zweiten Unfall nachzieht. Um die Jahrtausendwende hat er den Grund hier erstanden, er begann mit der Gartelei und dem Holzmachen, mit Säge und Keil. Gleich im ersten Jahr, im Herbst 2001 ist es passiert. Bei einem Fällschnitt krachte ein Baum auf sein Bein. Auch weil man in der Natur und gerade im Holz nie die hundertprozentige Kontrolle hat. Er sagt: "Hier oben, das ist eine kleine Zelle, wo Bäume noch umfallen und liegen bleiben dürfen." Doch er sagt auch: "Ich darf gar nicht davon reden, wie viele Leute das Ganze gerne haben möchten."

Es ist eine Gratwanderung zwischen Artenschutz und Attraktion, die Franz Jaud hier zu meistern hat. Wo seltene Blumen wachsen, sind jene nicht weit, die sich die Besonderheit am liebsten mit nach Hause nehmen, für Vasen oder Vitrinen. Man muss nur in die Berge schauen, oder in den botanischen Garten in München, sagt Jaud. "Was da alles abgerissen und geklaut wird." Da ist ihm das englische Pärchen lieber, das jedes Jahr zu ihm kommt, zum Schauen und Hören. Oder der Dauergast aus dem Schwarzwald. "Für ihn beginnt der Frühling erst, wenn er bei mir im Garten den Seidelbast gerochen hat."

Oberösterreichische Most- und Weinbirne, daneben eine Iris Germanika und überall hunderte von Alpenveilchen. Es ist ein Ort, an dem sich die Gerüche so stark überlagern, dass man ganz nah herangehen muss, um sie zu filtern. Ein ständiges Rascheln und Zwitschern, Eidechsen, Schmetterlinge und Vögel - unter ihnen der Schwarz- , der Bunt- und der Mittelspecht. Als Kind ist er hier auf Bäumen herumgeklettert und hat Schilfpfeile mit Spitzen aus Hollunderstumpen geschnitzt. Jetzt steht er vor einer Wildrose, beugt sich hinunter. Sie riecht nach Zimt, und ist so ausgefallen, dass sie in der Botanik keinen offiziellen Namen hat - sonst würde Jaud ihn kennen. Er langt nicht hin, weil er die Pflanze nicht berühren muss, damit sie ihn berührt. Er sagt: "Je älter man wird, desto mehr liebt man die kleinen Blumen."

Man kann nicht alles und jeden gleich wertschätzen, auch nicht in der Flora und Fauna. Franz Jaud etwa hegt ein schwieriges Verhältnis zu Rehen. "Mit denen habe ich es nicht so", sagt er, was vor allem an ihrem Appetit liegt. Weil sie ihm die jungen Blüten wegfressen, sind sie für ihn so etwas wie die verschärfte Variante des ungestümen Gastes, der in seiner Unwissenheit auf Seidelbast-Pflänzchen trampelt. In solchen Momenten setzt Franz Jaud sich auf seinen Steinhocker, schließt die Augen und atmet die Luft des Frühlings ein.

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