DSDS-Casting in München:Der Reiz des Ruhms

Es wird gekichert, gekreischt, gesungen und beleidigt: Massenauflauf beim Vorentscheid zu "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) in München.

Christina Warta

Sie hält sich im Schatten einer weißen Säule versteckt. Sie trägt ein grünes T-Shirt und eine fünfstellige Nummer auf dem Bauch, sie hat lange blonde Haare und sie schaut verzweifelt. "Ist jemand da, der noch nicht gesungen hat?", fragt der Mann mit dem Headset am Kopf. Die Blonde tritt noch ein bisschen weiter hinter die Säule zurück. Könnte sie sich unsichtbar machen, sie würde es tun.

DSDS-Casting in München: Angstvoll warten Teilnehmer des Superstar-Castings auf das Ergebnis.

Angstvoll warten Teilnehmer des Superstar-Castings auf das Ergebnis.

(Foto: Foto: Rumpf)

Doch sie hat nicht mit ihrer tatkräftigen Freundin gerechnet. Die schiebt sie jetzt energisch hinter der Säule vor. "Ah, hier ist noch jemand. Komm gleich mit", sagt der Headset-Mann. Angstvoll reißt sie die Augen auf, dann geht sie ergeben hinter ihm die Treppe hoch in eines der Zimmer, in denen die Jurys warten.

Das Hilton-Hotel am Tucherpark wurde am Wochenende von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im emotionalen Ausnahmezustand bevölkert: Der Privatsender RTL veranstaltete dort ein Casting für die Fernsehsendung "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS). Und die Attraktivität dieses Fernsehformats scheint auch nach der fünften Staffel nicht nachzulassen, im Gegenteil: "Wir haben jetzt bereits einen neuen Bewerberrekord", sagt Anke Eickmeyer von RTL. Rund 29.000 Menschen haben bei den Castings in mehreren deutschen Städten vorgesungen, sie alle wollen 2009 gerne Superstar werden.

"Sing für Mama!"

Zum Beispiel Radosav Obradovic. Nach seinem Namen gefragt, sagt er: "Schreiben Sie Rocky." Rocky also hat sich für diesen Tag herausgeputzt, das ist nicht zu übersehen. Die Haare sind perfekt mit Gel nach oben geformt, das rosafarbene Hemd ist gestärkt und gebügelt. "Natürlich will ich ein Superstar werden", sagt Rocky.

Sicherheitshalber hat der 21-Jährige zur Verstärkung seine Familie mitgebracht: Mutter, Bruder, zwei Schwestern und einen Cousin - wobei man sagen muss, dass eine Schwester und der Cousin ebenfalls vorsingen. Als man ihn bittet, etwas vorzusingen, ziert sich Rocky zunächst - und trällert erst los, als seine Mutter bittet: "Sing für Mama!" Schließlich will er eines Tages "eine Konkurrenz für Xavier Naidoo sein".

Angemessene Quoten

Frühmorgens an diesem Samstag sind sie aus allen Ecken Bayerns nach München gefahren : aus Dingolfing, aus Augsburg und Ingolstadt, Regensburg und Würzburg. Rocky reiste sogar aus der Schweiz an. Schon eine Stunde vor dem offiziellen Beginn des Vorsingens steht eine große Menschentraube vor der Glastür des Hotels. Die Jugendlichen pressen ihre Nasen an die Scheibe, um etwas erkennen zu können.

Es wird gekichert und gekreischt, manche treten betont forsch auf, andere hüpfen nervös von einem Fuß auf den anderen. Sie schleppen Gitarrenkoffer mit sich und riesige Taschen, in denen von Halsbonbons über Modemagazine, Haarspray und einer stattlichen Auswahl unterschiedlicher Kleidungsstücke alles zu finden ist.

Bekannt sein, berühmt sein, im Fernsehen auftreten - das hat manche Menschen schon immer gereizt. Und vermutlich war es ohnehin noch nie so einfach, irgendwie ins Fernsehen zu kommen. Vor laufender Kamera wird ausgewandert, werden Kinder erzogen, Restaurants eröffnet und sonst noch allerlei. Die Superstar-Suche funktioniert dank zweier klassischer Zutaten: Es wird gesungen - und es wird beleidigt. DSDS ist auch deshalb erfolgreich, weil Dieter Bohlen gerne mit allerlei Beschimpfungen weniger für faire Urteile denn für angemessene Quoten sorgt. Deshalb wurde beispielsweise das Casting im Bremer Rathaus von der Verwaltung abgelehnt. Der Stil des Wettbewerbs passe nicht zum Rathaus, da Kandidaten "gezielt erniedrigt" würden.

Vorcasting ohne Bohlen

Beim Vorcasting in München - übrigens ohne Bohlen, zunächst treffen RTL-Musikredakteure eine Vorauswahl - kann man die 3405 Teilnehmer in zwei Gruppen einteilen: jene, die sich in Gedanken schon mit einem Mikrophon in der Hand auf der DSDS-Bühne sehen, und die Eventtouristen. "Wir sind da, weil's lustig ist", sagt Fridolin Fröschle, 18, aus Augsburg. Mit seinem Bruder Korbinian ist er hierher gekommen, hat die Jury mit einem unbekannten Song überrascht.

"Und dann hab' ich den höchsten Ton verpatzt", sagt er. Vor Bohlen habe er keine Angst, sagt er: "Der interessiert mich nicht." Auf den gefürchteten Produzenten werden die beiden ohnehin nicht treffen: Sie gehören nicht zu den Auserwählten. Weiter hinten sitzt Sebastian Hauser und sagt: "DSDS ist Unterhaltung." Und wenn er weiterkäme - und die Zuschauer über ihn lachen würden? "Das wäre nicht so gut."

Der Reiz des Ruhms

Entschlossen dagegen ist Sami Badawi. Er ist 24, hat schwarze Locken, trägt ein Jack-Daniels-T-Shirt mit der Nummer 23441 auf der Brust und eine Westerngitarre unter dem Arm. Gerade hat er sein Formular abgegeben und sich seine Nummer geholt, schon wird er mit zwei anderen Teilnehmern in die obere Etage zum Vorsingen eskortiert. "Er hat sich gar nicht einsingen können", ruft seine Freundin aufgeregt. Macht nichts: Sami Badawi kommt mit seiner Version von "Wicked Game" trotzdem weiter. "Mein Traum ist es, Musik zu machen", sagt er. Seine Band hat sich aufgelöst, da kann er es jetzt auch bei DSDS versuchen. "Die Show kann sowieso nur eine Zwischenstation sein", sagt er selbstbewusst.

DSDS-Casting in München: Ulas Kurultak kann sich entspannen, ihn hat die Jury akzeptiert.

Ulas Kurultak kann sich entspannen, ihn hat die Jury akzeptiert.

(Foto: Foto: Rumpf)

Sie suchen nach einem Querschnitt, heißt es bei RTL. "Es kommen die weiter, die sehenswert für die Jury sind", sagt Jan Westphal, der als Executive Producer mit Kollegen aus der RTL-Musikredaktion die Vorauswahl trifft. Sehenswert für die Jury, unterhaltsam für die Zuschauer und damit gut für die Quoten: Ulas Kurultak ist so einer, der Rapper, der die ganze Nacht durchgefeiert und sich mit weißer Kappe, weißer Jacke und einem Titel der Söhne Mannheims in die nächste Runde gesungen hat. Oder Theresa Heinicke, eine 19-Jährige mit niedlichen Locken. Sie sagt: "Ich bin mit großen Erwartungen reingegangen. Jetzt würde ich gerne gewinnen."

Trost von der Mutter

Denn Superstar werden wollen, das müssen Bewerber schon - gleich, ob sie im normalen Leben Japanologin oder Literaturstudent sind, Goldschmied, Koch, Hauswirtschaftsazubi oder Gymnasiast. Wer nicht zu einem gewissen Maß an Selbstaufgabe fähig ist, der ist ohnehin falsch. Das merken die meisten gleich, wenn sie ihre Formulare abgegeben haben und von einem Betreuer über den Ablauf instruiert werden. Denn es ist quasi verboten, sich aus dem Saal zu entfernen, man darf nicht rauchen und dazu auch nicht vor die Tür gehen, man darf vor dem Juryraum nicht laut reden oder gar singen, man darf außerdem nicht fragen, wie lange es noch dauert.

Also verhalten sich die potentiellen Superstars still und artig. In Grüppchen werden sie zum Vorsingen abgeholt, nach einiger Zeit kommen sie zurück, berichten, wie es war ("meine Stimme hat gezittert"), und warten auf das Ergebnis. Manche packen ihre Gitarren aus und schrubben leise vor sich hin, um sich die Wartezeit zu verkürzen. Andere klammern sich angstvoll an ihre Begleitung oder an Kuscheltiere, während ein Junge etwas genervt auf die Uhr schaut. Er hat eine Wette verloren und ist nur da, um seinen Wetteinsatz einzulösen.

Am Ende dieses Vormittags werden sechs Namen verkündet. Zu wenige, finden vor allem diejenigen, die nicht genannt werden. " Es gibt gute Tage, und es gibt schlechte Tage", sagt Jan Westphal. "Heute war ein Ganz-okay-Tag." Die Auserwählten müssen schon die ersten Interviews geben, bevor sie ganz unglamourös auf den Bus warten. Zurück im Saal bleibt ein weinendes Mädchen, neben ihr sitzt ihre Mutter und tröstet sie. Die Tränen rinnen über ihre Wangen, die sorgsam aufgetragene Schminke ist längst verschmiert. Ein paar Minuten darf sie sich noch ausheulen, dann muss auch sie nach Hause gehen. Denn vor der Glastür warten schon die nächsten.

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