Süddeutsche Zeitung

Drohender Umzug:Alles muss raus

Der Freistaat will die "Galerie der Künstler" nicht mehr im Gebäude des Museums Fünf Kontinente haben. Dort stellen bislang Oberbayerns zeitgenössische Künstler und deren Verband Arbeiten aus. Das hatte ihnen einst noch der Prinzregent ermöglicht

Von Susanne Hermanski

Die Adresse Maximiliansstraße 42 ist perfekt. Für Künstler könnte sie nicht besser sein. Sie liegt direkt an der Kreuzung von Kommerz und Macht. Genau dort, wo es gerade keine Edelboutiquen und privaten Galerien mehr gibt in dieser legendären Münchner Prachtstraße, und ziemlich genau auf halbem Weg hoch zum Maximilianeum, wo im Landtag über Wohl und Wehe der Bayern entschieden wird, vis-à-vis steht auch noch die Regierung von Oberbayern, mit ihrer spektakulären Schaufront aus Terrakotta. Hier ausziehen zu müssen, diesen Ort als Ausstellungsmöglichkeit aufgeben zu müssen, das hat etwas von der Vertreibung aus dem Paradies. Naja, zumindest bedeutet die Androhung einen "Schock" - so hat es der Berufsverband der Bildenden Künstler (BBK) in einem Brandbrief an den Ministerpräsidenten Markus Söder denn auch formuliert - "gerade in diesen schwierigen Zeiten".

Zum Hintergrund: Die Hausnummer 42 kennen die Münchner heute vor allem als "Museum Fünf Kontinente", sofern sie nicht irgendwie verschlafen haben, dass sich das Völkerkundemuseum 2014 politisch korrekt derart umbenannt hat. Errichtet wurde dieser Repräsentationsbau zwischen 1859 und 1865 vom Architekten Eduard Riedel ursprünglich für ein bayerisches Nationalmuseum. Doch als es schon nach wenigen Jahren zu klein geworden war für diesen Zweck, zog diese königliche Sammlung um in einen neuen Prachtbau in der Prinzregentenstraße, und die "Ethnographen" erhielten das Haus. Was nur wenige wissen: Zeitgleich mit dem Umzug des Bayerischen Nationalmuseums erließ Prinzregent Luitpold die Verfügung, dass der linke Flügel des Gebäudes den "königlich privilegierten Künstlern" zu Ausstellungszwecken überlassen werden solle. In der Folge wurde der Raum in der Tat bis heute als Galerie für die Münchner Künstlerschaft beibehalten, seit den Achtzigerjahren geführt als die "Galerie der Künstler".

Jetzt allerdings soll sich das ändern, wenn es nach dem Willen des Kunst- und Wissenschaftsministeriums geht. Der Grund: Das Museum Fünf Kontinente benötigt mehr Platz, den es nach erforderlicher Sanierung des Hauses auch zur Verfügung haben soll. Es könnten auf den bisherigen Flächen des Museums "derzeit nur Teile der Sammlungen ausgestellt werden", so eine Ministeriumssprecherin zur Süddeutschen Zeitung. "Ebenso ist die Depotkapazität nicht unendlich", sagt sie. Auch das Fassungsvermögen der museumseigenen Bibliothek stoße an seine Grenzen. Zudem könne der Raumbedarf des Museums "hauptsächlich aus funktionalen und organisatorischen Gründen nicht durch eine Anmietung an anderer Stelle gedeckt werden". Ergo sollen die Untermieter ausziehen, die Künstler also, die sich schon ebenso lang im Gebäude befinden wie Bayerns Sammlung von ethnologischen Schätzen samt der sie begleitenden Museumsleute. Beide Parteien sind vor knapp 100 Jahren, 1926, eingezogen.

An die Stelle der "königlich Privilegierten" trat 1947 der neu gegründete "Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler in München und Oberbayern". Das entschieden die Alliieren gemeinsam mit der Bayerischen Staatsregierung - auch im Hinblick auf die Unterdrückung der freien Künste in der NS-Zeit. Die Prioritäten des Verbandes liegen seither in der Förderung junger Künstler aus dem Münchner und dem bayerischen Raum. Die "Galerie der Künstler" gibt übers Jahr zahlreichen Ausstellungen Raum, ebenso dem Austausch der Künstler untereinander und der Verwaltung des Verbands, der auch die wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder im Auge haben muss.

"Die Schließung der Galerie der Künstler wäre ein verheerendes Signal", schreiben die Vorsitzenden des BBK, Corbinian Böhm, Wolfgang Schikora und Anita Edenhofer an Söder. Dass Bernd Sibler als Kunstminister versprochen hat, man werde den BBK mit der Suche nach anderen Räumen "nicht alleine lassen", erscheint ihnen keinerlei Trost, "auch wenn Sibler sagt, das sei ein Ministerwort und das zähle". Denn erst 2018 hatte der Vorgänger Siblers, Ludwig Spaenle, im Rahmen der Verleihung der Bayerischen Kunstförderpreise einen dauerhaften Verbleib in der Maximiliansstraße 42 zugesagt. Und dass es schwierig sein könnte für die Künstler, in München eine ähnlich gute Adresse zu finden, daran dürften auch die disruptiven Auswirkungen der Pandemie auf die Innenstadtlagen wenig ändern. Dabei sei "Sichtbarkeit zu generieren" und "eine gewichtige Unterstützung der künstlerischen Interessen gegenüber Politik und Wirtschaft zu finden" derzeit wichtiger denn je. Aus einem Schreiben von Sibler an den BBK vom Jahresanfang 2020 geht aber hervor, dass das Ministerium das Ansinnen des BBK München und Oberbayern eher als Partikularinteresse versteht.

Jahresausstellung 2020

Die diesjährige große Mitgliederausstellung des Berufsverbands Bildender Künstler München und Oberbayern trägt den Titel "Aufstehen". 181 Künstler sind bei dieser traditionellen Leistungsschau vertreten. Schon seit Gründung des Verbands, steht die Teilnahme an dieser Ausstellung allen Mitgliedern offen - und sie ist juryfrei. Die insofern basisdemokratische Schau besitzt auch 2020 wieder ein speziell entwickeltes Hängesystem. Davon rückt man auch in diesem Jahr nicht ab, obwohl die Galerieräume bedingt durch den Kultur-Lockdown wohl nie ein Besucher physisch betreten wird.

Die Hängung 2020 wurde von einem vierköpfigen Team entwickelt, das aus Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern besteht "und künstlerische bis kunsthistorische Expertise zusammenbringt", so schreiben die Organisatoren. Hilke Bode, Younjun Lee, Dirk Neumann und Fumie Ogura haben für die inhaltlich wie formal sehr heterogene Auswahl ein Konzept entwickelt, das sich an geometrischen Formen orientiert. Zu sehen sein wird es in Kürze im Netz, im Rahmen einer Videopräsentation. Für alle Interessierten wurde auch ein Katalog der eingereichten Arbeiten als herunterladbares PDF erstellt, das einen Überblick über die ausstellenden Künstlerinnen und Künstler, deren einzelne Arbeiten, und die räumliche Inszenierung des kuratorischen Teams bietet. her

Aufstehen, die Ausstellung soll bis 16. Januar 2021 hängen bleiben, https://bbk-muc-obb.de/galerie-der-kuenstler/aktuell

"Sichtbarkeit" sei etwa auch für alle weiteren Regionalverbände und vergleichbare Künstlervereinigungen in ganz Bayern wichtig. Aber auch die verfügten nicht über entsprechende Räumlichkeiten. Und es sei nicht staatliche Aufgabe, diese zur Verfügung zu stellen, sondern primär Aufgabe der örtlichen Kulturpflege der Kommunen. Sibler verweist zudem auf den staatlichen Kulturfonds, über den Investitionszuschüsse für Ausstellungsflächen beantragt werden können. Ferner betont Sibler in dem Brief, er habe sich "persönlich dafür eingesetzt, im sogenannten Alten Ministergang meines Hauses Ausstellungsflächen für wechselnde Ausstellungen bereitzustellen". Dass in diesem Gang eher wenig öffentlicher Betrieb herrscht, weiß freilich nur, wer das Ministerium schon einmal von innen gesehen hat. Die Künstler des BBK monieren aber vor allem, dass diese Ausstellungen dort auch ohne jedes Honorar für sie konzipiert sind. Zu welchem Termin die Galerie der Künstler nun faktisch aus der Maximilianstraße 42 ausziehen soll, ist unterdessen vollkommen unklar. Fest steht nur, der Exodus müsste erfolgen, sobald die Sanierungsarbeiten im Museum Fünf Kontinente beginnen, und eine Rückkehr des BBK danach will der Freistaat ausschließen. Aufs Tapet kommt das Thema gerade jetzt, weil der Überlassungsvertrag an den BBK laut Sibler "2020 erstmals kündbar" ist. Aber um dem Verband "mehr Planungssicherheit" zu geben, wolle man nun die Kündigungsfrist von drei Monaten auf ein ganzes Jahr verlängern. Für Corbinian Böhm und seine Kollegen erscheint das keine Option.

Zur relativen Entspannung ihrer Lage kann nach dem derzeitigen Stand eigentlich nur eines beitragen: ein Blick auf den gigantischen Sanierungsstau bei den Kulturbauten des Freistaats. Und der wird durch die Pandemie nur noch länger werden. Wer glaubt, dass das Museum Fünf Kontinente in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts noch an die Reihe kommt, ist ein hoffnungsloser Optimist.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2020
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