Süddeutsche Zeitung

Münchner Polizei:Entwürdigende Drogenkontrollen

"Ich werde behandelt wie ein Schwerkrimineller": Ein 27-Jähriger wird regelmäßig von der Münchner Polizei überprüft, zum Ausziehen gezwungen und in seinem Intimbereich untersucht. Nun wehrt er sich mit Hilfe eines Anwalts.

Susi Wimmer

Es war Donnerstagnachmittag, 1. März, als Martin Bäumler (Name geändert) am Hauptbahnhof die Rolltreppe von der U 5 nach oben fuhr, um in die U 1 umzusteigen. Er sah drei Polizeibeamte auf sich zukommen, Wut und Angst krochen in ihm hoch, denn er wusste genau, was ihn erwarten würde: Den Polizisten aufs Revier folgen, die vergebliche Bitte, einen Anwalt anrufen zu dürfen, splitternackt ausziehen, breitbeinig hinstellen, bücken, Analnachschau, vor den Augen der Beamten die Vorhaut des Penis zurückziehen.

Eine Art der Drogenkontrolle, wie sie bei der Münchner Polizei wohl des öfteren praktiziert wird. Zumindest Bäumler wurde auf diese Art und Weise bereits zehnmal von der Polizei bloßgestellt. Drogen gefunden haben die Beamten bei ihm noch kein einziges Mal.

Martin Bäumler sieht eigentlich wie ein durchschnittlicher junger Mann aus: 27 Jahre, braunes Haar zum Stiftelkopf gestutzt, blaue Augen, Sakko. So sitzt er im Cafe, wirkt eher schüchtern und verschämt. Geraume Zeit lässt er seinen Anwalt Dirk Thöle reden, bis es dann doch aus ihm herausplatzt. "Ich werde behandelt wie ein Schwerkrimineller", sagt er. Das könne nicht rechtens sein.

"Hier geht es um meine Menschenrechte, ich selbst habe doch auch Achtung vor den Menschen." Wie kann es sein, dass ein unbescholtener Bürger seit Jahren im Durchschnitt einmal im Quartal an allen möglichen Orten in München von der Polizei "auf entwürdigende Weise kontrolliert wird", wie Thöle sagt. Was blieb, war der Eintrag im Polizeicomputer

Liegt es an der Geschichte von Martin Bäumler? Er war 22, als seine Mutter nach längerer Pflege zu Hause starb, für den jungen Mann ein Schicksalsschlag, der ihn etwas aus der Bahn warf. Er fand keine Arbeit, ab und an ein Joint, er hing mit Freunden ab. Falschen Freunden. Einer von ihnen wurde wegen Drogenbesitzes von der Polizei vernommen, er schwärzte Martin Bäumler an.

Beamte tauchten vor seiner Wohnungstüre auf, sechs Mann, Pistole im Anschlag, sie durchsuchten alles und fanden eine Tüte mit angegammelten Hanfblättern - allerdings ohne das berauschende THC. Da das Rauchen der Hanfblätter ohne THC-Gehalt keinen Verstoß gegen das Drogengesetz darstellt, wurde das Verfahren gegen Bäumler eingestellt.

Was aber blieb, war der Eintrag im Polizeicomputer: Dass irgendwann einmal gegen Bäumler wegen des Besitzes von Drogen ermittelt worden war. Dass die Vorwürfe sich als haltlos erwiesen hatten, spielte dabei wohl keine Rolle. Für Martin Bäumler allerdings sollte der Vermerk im Polizeiregister erhebliche Konsequenzen haben.

So stand er eines Tages im Tal vor einem Kiosk und trank ein Bier. Zwei Streifenbeamte steuern auf ihn zu. Polizei. Ausweiskontrolle. Doch den Ausweis hatte Bäumler nicht dabei. Also mit aufs Revier in der Altstadt, die Identität überprüfen. Doch damit war Bäumler nicht entlassen.

Es folgte eine intensive Personenkontrolle: Komplett ausziehen in der Haftzelle, Po aufspreizen, die Vorhaut am Penis zurückziehen. "Ich wollte einen Anwalt anrufen, das durfte ich nicht." In seiner ohnmächtigen Wut beschimpfte er die Beamten als "Staatsbimbos", was ihm eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung einbrachte. Es kam zu einer Gerichtsverhandlung 2007.

"Richterin und Staatsanwältin waren schockiert über das Verhalten der Polizeibeamten", erzählt Thöle. Ein Beamter habe ausgesagt, diese Art der Kontrolle sei üblich: "Das machen wir immer so." Das Gericht hielt die Entkleidungs-Praxis für völlig unangemessen und stellte den wegen Beamtenbeleidigung angeklagten Bäumler straffrei. Gleichzeitig, so sagt Thöle, habe die Richterin die Polizisten ermahnt, dieses rechtswidrige Prozedere einzustellen und ihre Vorgesetzten entsprechend zu informieren.

Weit drang die Information offenbar nicht. Ob am Ostbahnhof, in Milbertshofen, in Schwabing, Kolumbusplatz, Stachus oder Giesing: Bäumler wurde immer herausgefischt. Einmal im Sommer 2010 auf dem Bahnhofsvorplatz. Er sollte seine Taschen ausleeren und auf einen Streifenwagen legen.

"Auf dem Revier können wir das machen, aber nicht hier draußen", sagt er. Daraufhin habe ihn ein Beamter gepackt, auf das Polizeiauto geknallt und ihm Handschellen angelegt. Er habe zu parieren, gab ihm der Polizist unmissverständlich zu verstehen, "sonst machen wir noch viel mehr mit dir". "Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten"

"Die Kontrolle von Personen erfolgt immer nach Erfahrungswerten der Beamten", sagt Polizeisprecher Wolfgang Wenger. Eine derartige "Kontrolltiefe" wie in dem geschilderten Fall vom 1. März am Hauptbahnhof sei aber "generell nicht üblich". Die "Inaugenscheinnahme des Intimbereichs" sei rechtlich zulässig, wenn "drogentypische Auffälligkeiten sowie polizeilich einschlägige Vorerkenntnisse" gegeben seien.

Anwalt Dirk Thöle marschierte am 2. März zusammen mit seinem Mandanten zur Bahnhofs-Inspektion und ließ sich dort das Protokoll vom Vortag zeigen. Bäumler sei blass gewesen und habe glasige Augen gehabt und sei beim Anblick der Polizei unruhig geworden, war da zu lesen. Reicht das für einen dringenden Tatverdacht aus?

Ein blasser Mann im Winter, der nach schlechten Erfahrungen mit der Polizei bei ihrem Anblick nervös wird? "Grundsätzlich sind polizeiliche Durchsuchungen rechtmäßig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen." So sagt Wolfgang Wenger.

Gleichzeitig räumt der Polizeisprecher ein, dass "eine rechtliche Prüfung ergab, dass im vorliegenden Fall die Grenzen der Verhältnismäßigkeit von der Polizei überschritten wurde". Warum Martin Bäumler bereits zehnmal auf diese Art kontrolliert wurde, kann Wenger nicht sagen, "er scheint in ein bestimmtes Raster zu fallen".

"Vermutlich kursiert ein Foto von meinem Mandanten in Polizeikreisen", mutmaßt Anwalt Dirk Thöle. Auf alle Fälle ist das längst eingestellte Verfahren gegen Bäumler wegen des Verdachts des Drogenbesitzes immer noch im Polizeicomputer. "Ob diese Daten nach einem Freispruch gelöscht werden, ist abhängig von dem Fortbestehen eines polizeilichen Restverdachts, der im Einzelfall geprüft wird", formuliert es Wenger.

Thöle hat nun beantragt, diesen Eintrag löschen zu lassen. Vielleicht würden ja dann die "schikanösen Kontrollen" ein Ende haben. Ob Bäumler tatsächlich Drogen konsumierte, hat keinen einzigen Polizeibeamten je interessiert. Einem Drogentest musste er sich nie unterziehen.

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SZ vom 04.05.2012/afis
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