Drogen-Kriminalität:Kein Ertrag, aber maximales Risiko

Lesezeit: 4 min

  • Die Staatsanwaltschaft wirft drei Männern bandenmäßigen unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor.
  • Sie sollen zur Westbalkan-Mafia gehören und an Einbrüchen in der Oberländerstraße gegenüber der Münchner Großmarkthalle beteiligt gewesen sein. Insgesamt sollen in Bananenkisten 185 Kilo Kokain versteckt gewesen sein.
  • Die drei Männer, die nun vor Gericht stehen, haben es jedoch nicht gefunden.

Von Martin Bernstein

Es ist der 24. März 2018 zwischen 1.23 Uhr und 2.16 Uhr nachts. Ein Samstag. An der Oberländerstraße gegenüber der Münchner Großmarkthalle parkt ein Opel Vivaro mit Hamburger Kennzeichen. Mehrere Männer machen sich an den Toren eines großen Gebäudes zu schaffen. In der Reifehalle bekommen grün angelieferte Bananen durch Wärme und Begasung ihre gelbe Farbe.

Doch die Einbrecher haben es nicht auf die süßen Südfrüchte abgesehen, sondern auf das, was Komplizen im fernen Ecuador in den Bananenkisten versteckt haben: 185 Kilo Kokain mit einem vermuteten Wirkstoffgehalt von mindestens 80 Prozent. Über den Hamburger Hafen ist das Rauschgift nach Deutschland geschmuggelt und dann mit den Bananen auf Reifehallen im gesamten Bundesgebiet verteilt worden.

SZ PlusMafia in Italien
:"Die Camorra vergibt nie"

Paten machen sich die Finger nicht mehr schmutzig, sie investieren in Lebensmittel: Die Mafia panscht, imitiert und fälscht Produkte wie Mozzarella, Olivenöl und Schinken. Opfer sind Händler - und die Kunden weltweit.

Von Oliver Meiler

Jetzt wollen die überwiegend aus Albanien stammenden Männer das Kokain wieder in ihren Besitz und dann zum Weiterverkauf nach Holland bringen. Doch in der 7450 Quadratmeter großen Halle an der Oberländerstraße scheitern sie. Sie finden das Rauschgift nicht. Kein Ertrag, dafür maximales Risiko. Was die Einbrecher nämlich nicht wissen: Fahnder begleiten fast jeden ihrer Schritte. Ihre Telefone werden abgehört, ihre Treffen werden observiert. Drei Wochen später wird die Bande auffliegen.

Drei Männer, die an der Tat vom 24. März vergangenen Jahres beteiligt gewesen sein sollen, stehen von Dienstag an vor dem Landgericht an der Nymphenburger Straße. Die Staatsanwaltschaft Landshut wirft ihnen bandenmäßigen unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor. Die Bande, das haben Ermittler deutlich gemacht, wird der albanisch dominierten Westbalkan-Mafia zugerechnet.

Über diesen Zweig des organisierten Verbrechens sagt Kriminaldirektor Jörg Beyser vom Bayerischen Landeskriminalamt: "Diese Leute sind bekannt dafür, dass sie eine relativ geringe Hemmschwelle gegenüber Gewaltanwendungen haben." Laut dem aktuellen Lagebild des Bundeskriminalamts rangiert die albanische Mafia deutschlandweit hinter einheimischen und türkischen Gruppierungen auf Rang drei im Rauschgiftgeschäft, noch vor der italienischen Konkurrenz.

Der Einbruch in München und die Kokainfunde, die rund 500 Ermittler unter Federführung des Landeskriminalamts (LKA) in München und der Staatsanwaltschaft Landshut an mehreren Orten in Deutschland in den Jahren 2017 und 2018 machen, sind Teil eines die halbe Welt umspannenden kriminellen Plans. In Ecuador wurden die Kokainpakete in den Obstkisten versteckt. Mit Schiffen, die Hunderte Tonnen Bananen geladen haben, wurde das Rauschgift in den Hamburger Hafen gebracht.

Von dort gelangten die Bananenkisten per Lkw in Reifereien in ganz Deutschland. In sieben dieser Hallen brachen die Gangster ein, um das Kokain wieder an sich zu bringen. Ein Überwachungsvideo zeigt, dass die Täter genau zu wissen glaubten, an welcher Stelle sie nach welchen Kisten suchen mussten. Vom Handy lasen sie die Palettennummern ab. Manchmal langten sie dabei freilich daneben. Wie - zunächst - Ende März in der Oberländerstraße.

Fünf mutmaßliche Bandenmitglieder stehen seit Ende April in Landshut vor Gericht. Ihnen wird die Beteiligung an sechs bis neun Fällen vorgeworfen. Auch in der Münchner Oberländerstraße sollen sie aktiv gewesen sein: Einer von ihnen überwachte nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft die versuchte Bergung des Rauschgifts, ein anderer soll die Sporttaschen für den Abtransport des Kokains und neue Nummernschilder für den Vivaro besorgt haben, drei überwachten die Einbrüche. Denn die Täter wollten sich mit ihrem Misserfolg am frühen Morgen nicht zufriedengeben. Laut Staatsanwaltschaft brach dieselbe Gruppierung am Abend desselben Tages noch einmal in die Halle ein. Zwischen 21.38 Uhr und 22.25 Uhr versuchten sie erneut, die 185 Kilogramm Kokain zu finden. Wieder ergebnislos.

Welche Rolle die drei von Dienstag an in München vor Gericht stehenden Männer dabei spielten, soll im Prozess geklärt werden. Einer von ihnen soll jedenfalls zusammen mit zwei der in Landshut angeklagten mutmaßlichen Bandenmitglieder in dem Opel Vivaro nach München gekommen sein. Er war erst am Vortrag aus Skopje (Nordmazedonien) über Wien nach Hamburg geflogen. Die drei Münchner Angeklagten sollen nur an den beiden Einbrüchen in der Oberländerstraße beteiligt gewesen sein. Deshalb wurde ihr Verfahren von dem in Landshut verhandelten Gesamtkomplex abgetrennt.

In der Reifehalle an der Oberländerstraße wartete das Rauschgift auf seine Abholer. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Insgesamt verübte die mindestens 15-köpfige Bande nach Erkenntnissen der Ermittler zwölf Einbrüche. Es geht um mehr als 1,7 Tonnen Kokain mit einem Verkaufswert von bis zu 400 Millionen Euro. Aus Justizdokumenten, die der Süddeutschen Zeitung und dem NDR vorliegen, geht hervor, wie die Gruppierung nach Erkenntnissen der Ermittler aufgebaut war: Es gab Einbrecher und es gab Aufpasser, die die Einbrüche überwachten, Logistiker, Kommunikationsexperten und Organisatoren, Männer, die die Hallen ausspionierten oder Autos beschafften. Vier weitere mutmaßliche Bandenmitglieder, die für den Transport der Ware in die Niederlande verantwortlich waren, standen Ende vergangenen Jahres in Hamburg vor Gericht. Doch die Ermittler gehen davon aus, dass der Gruppierung zahlreiche weitere, zum Teil bislang noch unbekannte Mitglieder angehören. Darunter die Drahtzieher, Hintermänner, die in Albanien vermutet werden und deren familiäre Verbindungen über den Raum Rotterdam bis nach Südamerika reichen.

So kommt die Mafia am Ende doch noch an das in München versteckte Kokain. Nach den beiden Fehlschlägen vom 24. März zieht die Organisation nämlich die glücklosen Einbrecher ab. Und schickt offenbar - das geht aus der Landshuter Anklageschrift hervor - eine neue Mannschaft. Am darauf folgenden Freitag wird ein drittes Mal in die Reifehalle eingebrochen. Die bislang unbekannten Täter schauen sich fast zwei Stunden lang in der Halle um. Dieses Mal werden sie fündig. Zwischen den Bananen entdecken sie das Kokain, das sie mitnehmen können. 185 Kilogramm: Um so viel sind die Bananenkisten später zu leicht.

Offen ist bislang, wohin das Rauschgift aus der Oberländerstraße danach gelangt ist. Für den Verkauf in München war es nicht bestimmt, obwohl in der Stadt nach Berechnungen der EU und von Mafia-Experten täglich bis zu 10 000 Lines "gezogen" werden. Das in der Halle versteckte Kokain hätte gereicht, um die Münchner Süchtigen weit mehr als ein Jahr mit Stoff zu versorgen. Naiv wäre es zu glauben, sagte der Chefermittler vom LKA Anfang des Jahres, dass man der Kokainmafia "einen stark verletzenden Stoß" zugefügt hätte. "Wir sind praktisch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein mit unserem Erfolg."

© SZ vom 17.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusDrogen
:Krieg ums Kokain

Das weiße Pulver ist nicht nur Rauschmittel, sondern auch ein Motor des Kapitalismus. Wie der weltweite Kampf darum immer brutaler wurde.

Von Sebastian Schoepp

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: