Süddeutsche Zeitung

Nach Schwerpunktkontrollen am Hauptbahnhof:Polizei lässt Drogenring auffliegen

  • Eine Drogendealer-Gruppierung hat in München 300 Kilogramm Cannabis in Umlauf gebracht. Als "Läufer" fungierten auch Minderjährige.
  • Der Kopf der Bande und sieben seiner Komplizen sitzen nun in Untersuchungshaft.
  • Ausgangspunkt für den Ermittlungserfolg der Polizei war eine der vielen Schwerpunktkontrollen am Münchner Hauptbahnhof.

Von Martin Bernstein

Sie heuerten Minderjährige als Drogenverkäufer an. Sie brachten 300 Kilogramm Cannabis in München in Umlauf und planten den Handel mit Ecstasy und Kokain. Und sie machten binnen eines Jahres einen geschätzten Reingewinn von mehr als einer halben Million Euro. Doch eine der vielen Schwerpunktkontrollen am und im Münchner Hauptbahnhof war der Anfang vom Ende der Drogendealer-Gruppierung. Jetzt sitzen der mutmaßliche Kopf der Bande, ein 21 Jahre alter Afghane, und sieben seiner Komplizen in Haft. "Ein schöner Ermittlungserfolg", sagt der Leiter des Drogendezernats, Markus Karpfinger.

Mindestens einmal pro Woche rückten Münchner Polizisten 2018 zu Schwerpunkteinsätzen im Bahnhofsviertel aus, 94 Mal war die Kriminalpolizei im Einsatz, um Rotlicht- und Drogenkriminalität am Hauptbahnhof zu bekämpfen. Am 12. Oktober - es war ein Freitag - fuhr kurz nach 20 Uhr der ICE 1007 am Hauptbahnhof ein. Mitten hinein in eine dieser Kontrollaktionen lief ein 32-Jähriger, der an Gleis 23 aus dem Waggon stieg, nach gut vierstündiger Fahrt von Berlin-Gesundbrunnen. Der Reisekoffer des Mannes hatte einen äußerst ungesunden Inhalt: zehn Kilogramm Haschisch.

Noch während der Mann auf der Wache befragt wurde, klingelte sein Telefon. Ein sogenannter "Läufer" wollte wissen, wo sein für den Weiterverkauf bestimmtes Drogenpaket blieb. Die Telefondaten brachten die Ermittler auf die Spur eines 15-Jährigen. Zusammen mit zwei gleichaltrigen Landsleuten vertrieb der junge Syrer das Rauschgift in gepressten Platten zu 50 bis 100 Gramm - also wohl an Kleindealer, noch nicht an Endabnehmer. Die Drogenfahnder observierten die "Läufer" und fanden bald heraus, wo diese das Rauschgift deponierten: in "Bunkern" zwischen Herzog-Wilhelm-Park, Stachus und Hauptbahnhof, also in Blumentrögen, Gebüschen, im Fuß von mobilen Verkehrszeichen oder unter Baustellenabsperrungen.

Bald stießen die Ermittler auch auf den mutmaßlichen Hintermann, der Kurierfahrten und Zwischenhändler steuerte. Der 21-Jährige bestellte das Rauschgift in Berlin und ließ es von Boten im Zug nach München bringen. Übergaben fanden in konspirativen Wohnungen und über Strohmänner statt. Als Beamte der Inspektion 16 einen weiteren Mittäter festnahmen, wurde es im Januar allmählich eng für den jungen Afghanen und sein Vertriebsnetzwerk. In dieser Situation machte er den entscheidenden Fehler: Er setzte sich selbst in den Zug nach Berlin, um dort Nachschub zu organisieren.

Doch er tat das bereits unter den Augen der Polizei. Auch in der Bundeshauptstadt wurde er auf Schritt und Tritt überwacht. Auf der Rückfahrt nach München schnappte die Falle zu. Mit knapp 25 Kilogramm Cannabis im Gepäck wurde der 21-Jährige festgenommen. Außerdem hatte er 380 Ecstasy-Tabletten dabei. Offenbar hatte der mutmaßliche Kopf des Drogenrings seine Angebotspalette erweitern wollen. Auch einen Einstieg ins Kokaingeschäft soll er nach Erkenntnissen der Ermittler geplant haben. Bei den illegalen Pillen war der Dealer jedoch selbst zum Betrogenen geworden - er hatte sich in Berlin gefälschte Tabletten andrehen lassen. Der Mann, so heißt es, soll Kontakte zu Hintermännern aus dem arabisch dominierten Berliner Milieu gehabt haben.

Die meisten Tatverdächtigen sitzen inzwischen in Untersuchungshaft

Nach der Festnahme des mutmaßlichen Haupttäters konnte die Polizei in rascher Folge weitere Tatverdächtige aus dem Verkehr ziehen, zwei Drogenlieferanten in Berlin, zwei Kuriere, einen Strohmann und vier "Läufer". Bis auf zwei minderjährige Verkäufer sitzen inzwischen alle in bayerischen Gefängnissen in Untersuchungshaft. Der im Oktober gefasste Drogenkurier wurde nach Angaben von Oberstaatsanwältin Anne Leiding am Dienstag zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Ermittler glauben, dass die Gruppe seit vergangenem Jahr rund 300 Kilogramm Haschisch gehandelt hat. 1200 Euro pro Kilo soll der Hauptverdächtige für das Rauschgift in Berlin gezahlt, für rund 3000 Euro die Haschischplatten weiterverkauft haben. Die Überschüsse aus den Drogengeschäften soll der 21-jährige Afghane in seine Heimat transferiert haben. Dabei habe er sich des "Hawala"-Finanzsystems bedient, sagt Chef-Ermittler Karpfinger. Das ist ein in der islamischen Welt verbreitetes, in Deutschland meist ungenehmigtes System geheimer Überweisungen, die ohne Belege über Codewörter und Vertrauensmänner durchgeführt werden.

Das Geld ist also weg, der Lieferweg nach Einschätzung der Ermittler aber gekappt. "Den Zufluss haben wir trockengelegt", zeigt Karpfinger sich überzeugt. Nicht nur wegen dieses Erfolgs kündigte die Münchner Polizei am Freitag an, den "hohen Überwachungsdruck auf potenzielle Straftäter" am Hauptbahnhof aufrecht zu erhalten. Seit Januar wurden dort 2000 Personenkontrollen durchgeführt. Dabei wurden mehr als 90 Drogendelikte aufgeklärt, ein Dutzend allein bei einer Großkontrolle am Donnerstag. Wieder ging der Polizei dabei ein mutmaßlicher Dealer ins Netz.

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SZ vom 08.06.2019/imei
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