Dritte Startbahn am Flughafen München:Experten und Gegenexperten

Braucht München den Flughafenausbau, um ein starker Standort zu bleiben? Diese Frage spaltet Befürworter und Gegner - und jede Seite hat eigene Experen und Gutachten. Nur: bewiesen ist nichts.

Marco Völklein

Ganz am Ende der Veranstaltung im Augustinerkeller erzählt Alexander Reissl, der Chef der Münchner Rathaus-SPD, eine Geschichte. Vor einiger Zeit habe sich Oberbürgermeister Christian Ude mit seiner Kollegin aus Halle an der Saale getroffen. "Wir haben eine Gemeinsamkeit", habe sie zu Ude gesagt, in Sachen Kindergärten. "Du eröffnest regelmäßig einen, und ich schließe einen." An dieser Stelle legt Reissl eine Kunstpause ein und sagt: "Das sind andere Sorgen als die unsrigen. Aber ich beschäftige mich lieber mit unseren Sorgen als mit denen schrumpfender Städte und Regionen."

Flughafen München dritte Startbahn Bürgerentscheid

Großes Aufsehen erregte im März des Jahres 2007 die erste Landung und sowie der Start des Großraumflugzeuges A380 in München, das auf unserem Foto Erding überfliegt. Für die Anwohner sind die startenden und landenden Flugzeuge eine Zumutung.

(Foto: Peter Bauersachs)

Reissls Botschaft ist klar: München ist, anders als Halle oder das Ruhrgebiet, eine wachsende Region. Mit all den bekannten Problemen: drohender Verkehrskollaps, Wohnungsnot, zu wenige Kita-Plätze. Klar, diese Probleme müssten gelöst werden, sagt Reissl. Man arbeite ja daran. Aber man werde sie sicher nicht lösen, indem der Großraum auf die "Wachstumsbremse" trete. Indem der Bau der dritten Start- und Landebahn am Flughafen gestoppt und München so "weiterer Wachstumschancen" beraubt werde.

Mit seiner Anekdote aus Halle hat Reissl die Kernbotschaft des Pro-Startbahn-Bündnisses aus SPD, CSU und FDP auf den Punkt gebracht. Seit Wochen plakatieren die Ausbaubefürworter Slogans wie "Für ein starkes München" oder "Für sichere Arbeitsplätze". Allein 11 000 neue Jobs sollen bis zum Jahr 2025 durch den Bau der Piste direkt am Flughafen entstehen, verspricht Flughafenchef Michael Kerkloh. Dazu kämen noch einmal so viele Arbeitsplätze im Umland - etwa weil ein neu am Airport Beschäftigter seine Semmeln beim Bäcker in Erding kauft und dieser wiederum Verstärkung braucht. Zudem rechnen die Befürworter mit weiteren Jobs, etwa im Tourismus, in der Industrie und im Dienstleistungssektor - die alle eben entstehen, weil München mit der großen Welt verbunden ist. Um dieses Niveau zu halten, es noch weiter auszubauen, dazu bedürfe es der dritten Startbahn.

Auch Horst Lischka argumentiert so, der Chef der Münchner IG Metall. Vor kurzem erst hätten BMW und Peugeot entscheiden müssen, wo die Zentrale für ihre Gemeinschaftsfirma errichtet werden soll. 400 Leute sollen dort alternative Antriebe entwickeln. Zur Wahl standen München und ein Ort in Nordfrankreich, wie Lischka erzählt. "Die Entscheidung war klar." Die Firmen hätten sich für München entschieden, "auch weil es dort eine gute Anbindung an den Flughafen gibt", so der Gewerkschafter. Unterstützung bekommt Lischka von Bernd Becking, dem Chef der Münchner Agentur für Arbeit: Gerade habe VW entschieden, dass die Zentrale der neuen, aus Scania und MAN gebildeten Lkw-Tochter in München sitzen werde, erzählt Becking. Und derzeit buhlt München darum, das EU-Patentgericht an die Isar zu holen. Durchsetzen muss sich die Stadt dabei gegen Mitbewerber wie Paris oder London. Eine "erstklassige internationale Anbindung" sei da wichtig, sagt Becking. Auch Lischka ist überzeugt: Mit dem Ausbau des Airports werde man "Arbeitsplätze nach München ziehen, die wir heute noch gar nicht definieren können".

Keine Beweise für positive Entwicklung

Doch genau das bezweifeln die Ausbaugegner: Der Zusammenhang zwischen dem 1,2-Milliarden-Euro-Projekt und einer positiven Wirtschaftsentwicklung werde zwar immer behauptet, sagt Christian Magerl. "Bewiesen ist er aber nicht." Auch nicht in den zahlreichen Gutachten, die der Flughafen vorgelegt habe. Der Grünen-Landtagsabgeordnete hat dazu vergangene Woche extra den Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Thießen einfliegen lassen, der in seinem Auftrag die Prognosen geprüft hatte. Dessen Fazit: Es gebe "keinerlei Beweise" dafür, dass der Airport "als Impulsgeber in der Metropolregion" wirkt. Vielmehr hätten die Gutachter in ihren Prognosen bestimmte Kosten und Negativeinflüsse erst gar nicht berücksichtigt, um am Ende einen angeblich positiven Effekt für den Wirtschaftsstandort ausweisen zu können, sagte der Professor. Er selbst habe dagegen Daten der vergangenen 20 Jahre zusammengetragen und herausgefunden, dass es keinen signifikanten Zusammenhang gebe zwischen der Entwicklung des Flugverkehrs und der Zahl der Erwerbstätigen in der Region. "Die Fakten", resümierte Thießen, "zeigen, dass München eine starke Region ist, deren Entwicklung nicht kausal vom Flughafen abhängt".

Magerl ergänzte, der Flughafen habe schon wiederholt "Fehlprognosen" abgegeben: So habe er 2001 vorausgesagt, im Jahr 2010 würden 43 Millionen Fluggäste im Erdinger Moos abgefertigt werden. Tatsächlich aber seien es nur 34 Millionen gewesen. Für dieses Jahr rechnet Magerl mit 400.000 Starts und Landungen. Das entspräche dann in etwa dem Niveau von 2005 und läge weit entfernt von der Prognose des Flughafens, der mal von jährlich 500.000 Flugbewegungen im Jahr 2012 ausgegangen sei. "Unterm Strich", so Magerl, "bleiben sieben Jahre Stagnation statt des vorhergesagten Wachstums." Dafür "Natur zu zerstören und Menschen aus ihrer Heimat zu vertreiben", sei " Irrsinn", ergänzt Christian Hierneis vom Bund Naturschutz.

Die These, dass von Flughäfen keine Beschäftigungswirkung ausgehe, sei "absurd", entgegnete prompt ein Flughafensprecher. Schließlich sei die Zahl der Beschäftigten auf dem Airport-Areal seit 1992 von 12.000 auf heute 30.000 gestiegen. Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) attackierte die Grünen gar als "Fortschrittsverweigerer". Mit wesentlich weniger parteipolitischem Getöse argumentiert Arbeitsamts-Chef Becking: Auch eine wirtschaftsstarke Region wie München sei immer wieder mit Rückschlägen konfrontiert. Derzeit sei er um jede Stelle froh, die er einer Schlecker-Beschäftigten anbieten könne.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: