Neues Album von „Dreiviertelblut“Wie man mit Liebe den Faschismus zerstört

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Wenn die Menschlichkeit den Bach runtergeht, hilft nur noch feiern: Sebastian Horn (links) und Gerd Baumann von „Dreiviertelblut“.
Wenn die Menschlichkeit den Bach runtergeht, hilft nur noch feiern: Sebastian Horn (links) und Gerd Baumann von „Dreiviertelblut“. (Foto: Bert Heinzlmeier)

Mit schaurigen Liedern wurden „Dreiviertelblut“ zur wirkmächtigsten Band aus Bayern. Ihr neues Album „Prost, Ewigkeit“ ist ein fröhlicher Appell gegen das Kopf-in-den-Sand-stecken.

Von Michael Zirnstein

Brennt es? Also nicht im übertragenen Sinn. Auf die Gesellschaft bezogen ist ja schon lange gewiss, dass die Funken fliegen. Aber eben jetzt hier an Ort und Stelle? Im ehemaligen Gasteig, wo die tonangebenden Zwei von Dreiviertelblut gleich mit den anderen fünf der Band für die Tournee proben und vorher noch mit dem Reporter über das fünfte Studioalbum sprechen möchten.

Und da stellt der Sänger und Haupttexter Sebastian Horn gerade – ganz Feuer und Flamme – fest, was alles über die nun bereits 16 Jahre Dreiviertelblut zusammenhalte, nämlich dieses kollektive Einverständnis, dass der Mensch ein Wunder sei, auch sein ganzer Planet sei einzigartig im Universum, und genau diese Einzigartigkeit gelte es in ihrer Vielfalt zu feiern, und zwar jeden Tag: „Wie geil, was für ein Geschenk!“ … Da schaltet sich der Gitarrist und Chefkomponist Gerd Baumann ein und bestätigt mit ruhiger Stimme, dass das Leben kostbar sei – „vor allem vor dem Hintergrund, dass während wir dieses Interview machen, sieben Feuerwehrlöschzüge herfahren und dass da irgendwas im Gange ist.“

Horn dreht sich um, sieht vom Fat-Cat-Café im Erdgeschoss aus auf dem Hof einen Haufen hektischer Feuerwehrleute in voller Montur. Er fabuliert, er habe sich vorhin mit denen unterhalten und wisse, dass die hier eine Probe haben. Baumanns Einwand, dass die Uniformierten doch ziemlich schnell laufen, entgegnet er: „Wenn wir proben, dann machen wir doch auch ernst und nicht einfach so rum … Schau, jetzt fahren sie die Leiter rauf. Mei, ein Kindheitstraum.“ Die beiden plänkeln entspannt zur brisanten Lage. Dieses Zwei-Mann-Kammerspiel „Horn und Baumann“ entfaltet, wie stets auch in Konzerten, eine sedativ amüsierende Wirkung auf den Betrachter. Soll es doch brennen.

Dreiviertelblut ziehen einen in ihren Schutzkreis hinein. Kann man sich so vorstellen wie jene Plexiglaskugeln in den „Jurassic Parc“-Filmen, in denen die Besucher ganz bequem durch wilde Dinosaurierhorden gleiten. Eine Raumzeitkapsel für Betrachtungen einer irren Welt. Nicht umsonst hieß Marcus H. Rosenmüllers Film über die beiden und ihre Crew „Weltraumtouristen“. Zwei, die gekommen sind, um zu staunen.

Und jetzt wollen sie „Aufn Mond“. So heißt ein Song auf der neuen Platte „Prost Ewigkeit“. Im Video dazu tragen sie Schweißerbrillen und selbst gebastelte Raumanzüge. Sie versuchen mit einem Traktor oder Geräten, wie von den Gebrüdern Lilienthal (in deren Kindheit) ausgedacht, abzuheben – so hätte man vor 100 Jahren einen Jules-Verne-Film gedreht. „Komm schiaß ma uns / schiaß ma uns aufn Mond / komm schau ma nach / schau ma nach, wer da wohnt“, singen sie, die Band zündet alle Triebwerke, keine Frage, das gibt eine Riesen-Party in den Kratern da oben.

„Mein Ziel ist Japan“, sagt Baumann

Aber freilich steckt mehr hinter dieser „musikalischen Realitätsflucht“, nämlich der realpolitische Schreck. „Das Wasser kommt näher“, heißt es im Stück, und „die Luft werd’ blau“, so dass sich keiner mehr raustraue. Klimawandel, die blaue Partei AfD, „der wiederkehrende Faschismus und der ganze Kapitalismus induzierte Nationalismus“, das sind echte Katastrophen, sagt Baumann, ein Rückschritt, mit dem aufgeklärte Menschen nie mehr gerechnet hätten.

Der Song entstand schon bei der Wahl in Österreich. Als dort die Rechten stärkste Partei wurden, hätte er „im Strahl kotzen können“ – das löste zunächst einen Fluchtreflex aus.  Aber dann eben eine Gegenmaßnahme. Wenn „die Menschlichkeit den Bach runtergeht“, kontern sie mit Musik. Die spiegelt viel. Baumann war jüngst Gast auf einer Bauernhochzeit, alles fröhlich, aber ein „stiernackiger Typ“ ranzte ihn, den „Staderer“, an, dann lästerte er über die heimische Blaskapelle, von denen einige Musiker wohl aus dem Nachbardorf kamen. „Des ist doch Multikulti“, meinte der Grantler.

Man ahnt, wie entsetzt der Sturschädel über die Klangwunderkammer von Dreiviertelblut wäre.  Von einer „folklorefreien Volksmusik“ für eine Heimatkrimikomödie im Jahr 2009 sind sie nun vollends in unbekannte musikalische Weiten aufgebrochen: In „Aufn Mond“ zum Beispiel hört man Anklänge an die Wüstenrocker Calexico, den Glam-Pop von Bilderbuch wie den Bläserschwung von Haindling, jenen Mundart-Pop-Pionieren, die sie nun als wirkmächtigste bayerische Band beerben. Es stehen nach dem Heimspiel im Circus Krone am 20. Mai Dutzende Konzerte im Freistaat an, aber auch in Wien, Hamburg und Berlin. „Mein Ziel ist Japan“, sagt Baumann, „da ziehen wir dann sogar Lederhosen an.“

„Prost Ewigkeit“ heißt das fünfte Album der Band, hier vertreten durch Sebastian Horn (links) und Gerd Baumann. Dazu braut Hoppebräu in Waakirchen übrigens erstmals eigens ein Bier, sozusagen eine Dreiviertel-Halbe.
„Prost Ewigkeit“ heißt das fünfte Album der Band, hier vertreten durch Sebastian Horn (links) und Gerd Baumann. Dazu braut Hoppebräu in Waakirchen übrigens erstmals eigens ein Bier, sozusagen eine Dreiviertel-Halbe. (Foto: Bert Heinzlmeier)

Musikalisch waren sie der Krachledernen immer fern, nun haben sie sie fast ganz ausgezogen und gegen Discofummel und Captain-Future-Anzug („Nichts außer Licht“),  Blueser-Sakko („Frei“) oder Cowboy-Hut („Auf die Ewigkeit“) getauscht. Wobei das den Klangzauber dieses Septetts nicht ansatzweise beschreibt, den Filmmusikprofessor Baumann in Kenntnis der Fähigkeiten dieser instrumentalen „Alleskönner“ und ihrer individuellen „stilistischen Duftmarken“ so komponiert.

Benny Schäfer am Kontrabass und Schlagzeuger Flurin Mück lassen die Gruppe galoppieren, schlurfen, stolpern wie in einem modernen Ballett; Luke Cyrus Goetze lässt die Musik gerade mit der Lapsteel-Gitarre atmen wie noch nie; und vor allem ist das Album für Baumann eine „Feier der Meisterbläser“: Florian Riedl entfaltet einen magischen Raum mit seinen Klarinetten, Dominik Glöbl entfacht mit dem Flügelhorn einen Seelenwind (etwa im traurig-leichten „Federfiaß“), mit dessen Wärme sie erst unter Verwendung mehrerer Lagen Pullis und Anoraks über dem Schalltrichter glücklich waren. Das ist so detailverliebt wie sich groß aufschwingende, sich in jedem einzelnen Kunststück durch mehrere Ebenen und Kurven bahnende Kammer-Pop-Kunst.

Bairisch ist das vor allem noch wegen der Parallelwelt-Geschichten von Sebastian Horn, einem eingeborenen Oberländer. Wieder lernt man Neues über diesen archaischen Stamm. Und seine Familie: Dass die Uroma eine Magd war, deren unehelich gezeugtes Kind sie auf einem Kaltblüter gallopierend trotz geplatzter Fruchtblase zur Hebamme brachte. „Nachtross“ steht in Horns geisterhaften Versen Goethes „Erlkönig“ in nichts nach, schon gar nicht im Refrain, eine Art Zauberspruch aus einem alten Kinderlied und der Weisheit, die ihm ein greiser Sensen-Bauer einmal beim Gassigehen verriet („Da Not koan Schwung und am Elend koa Stimm“): „Bam Belladonne Bell Bam Bim Bam …“ Der studierte Biologe Horn hat darin gleich zwei botanische Namen eingeschmuggelt, den der Tollkirsche und den der Alraune, alter Heil- und Rauschpflanzen.

Wofür sich noch begeistert: das Mittelreich. Jene Magie, die auch im Oberland im Dunkeln blühte. Nach der geldbringenden Karpfenschuppe im Portemonnaie aus ihrem Hit „Im Mai“ erfährt man nun, wie man mit drei Palmkatzerl jedermann und -frau in sich verliebt machen kann.

„Bei mir hält das schon seit 34 Jahren“, sagt Horn. Nicht selbst probiert hat er allerdings den „oiden Zündkerzensteckerkabelnackeltrick“. Mit dem brachten die Burschen aus dem Ort erst die Mofas der Mädels zum Stillstand, und dann deren Augen durch vorgebliche Schraubergenialität zum Leuchten. Jetzt kommt er im herrlich stapfenden Lied „Dackelmo“ zu Ehren, denn auf diese Weise bemüht sich der titelgebende Kleinhundeführer an eine „dicke Oma“ heranzumachen – was er am Ende gar nicht braucht, weil die beiden auch so unter einer Decke landen – „ihr Herz mit Diamanten paniert“.

Exklusiver Klangkörper: Filmmusik-Professor Gerd Baumann (Zweiter von rechts) sagt, er schreibt speziell für seine „Alleskönner“ und ihre individuellen Fähigkeiten.
Exklusiver Klangkörper: Filmmusik-Professor Gerd Baumann (Zweiter von rechts) sagt, er schreibt speziell für seine „Alleskönner“ und ihre individuellen Fähigkeiten. (Foto: Bert Heinzlmeier)

Ganz schön kitschig. Aber eben auch mal ganz schön. „Es wird lichter“, sagt der Death-Metal- und Ludwig-Hirsch-Fan Sebastian Horn, „tatsächlich, weil ich mich Gott sei Dank auch verändere und mein Totenbett langsam verlasse und mehr ins Licht gehe und das genieße“. Dass es Körper und Geist manchmal doch noch lähmen kann, spürt man in „Kummer“, „Kennst du di aus“ und „Honigtopf“.

Man vermisst aber die einstige Blutigkeit und Abgründigkeit der „Finsterlieder“ von Dreiviertelblut nicht, tief sind sie noch immer, und gehen unter die Haut – oder schweben wie im von Baumann geschriebenen „Auf die Ewigkeit“ über allem: über Federballspielern, dem rauschenden Schilf am Chiemsee, dem Strand in La Tejita und über dem „was wir ned g’wordn san“, über allem ist Ruhe, solange die Liebe da ist und einen nicht fallen lässt. „Immer weida“ geht’s, kreiselt, auch „immer tiefer nei“, und auch bei der Tiefenbohrung stößt man auf das, was alles zusammenhält: die Liebe.

Denn eigentlich, erklärt Baumann das Offensichtliche in der Ironie von „Aufn Mond“, wollen sie gar nicht „weg, weg, weg“. Das Album sei „in Zeiten wie diesen, in denen man sich dem Weltuntergang so nahe fühlt“ ein „Appell gegen das Kopf-in-den-Sand-stecken. Ein Protest, der darin liegt, Gutes zu schaffen, Gutes zu denken und Gutes in die Zukunft zu projizieren, weil alles andere einer Resignation gleichkäme.“ Mehr als Astronauten sind sie eben doch eine musikalische Feuerwehr. Und für echte Brände gibt es zum Glück ausgebildete Brandschützer – dank derer der alte Gasteig immer noch steht.

Dreiviertelblut, Album-Release-Konzert zum Album „Prost, Ewigkeit“, Dienstag, 20. Mai, 20 Uhr, München, Circus Krone

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