Fotoprojekt gegen Luxussanierung:Hommage an die Heimat

Fotoprojekt gegen Luxussanierung: Der Hof vor dem Hinterhaus ist ein beliebter Treffpunkt für die Bewohner, hier wird geplaudert und gegrillt.

Der Hof vor dem Hinterhaus ist ein beliebter Treffpunkt für die Bewohner, hier wird geplaudert und gegrillt.

(Foto: Jens Schwarz)

So verschieden die Wohnungen an der Dreimühlenstraße 16 sind, so verschieden sind auch die Menschen, die dort leben. Sie alle eint, dass sie dort bleiben wollen und dafür sind sie kreativ geworden.

Von Anna Hoben

Manche sagen, das Dreimühlenviertel sei das schönste Viertel in München; das kleinste ist es allemal. Zoom in die Dreimühlenstraße 16, ein denkmalgeschütztes, beiges Haus mit rotbraunen Fensterrahmen. Es war ein Freitagnachmittag im Juli, als bei einigen Mietern die Türklingel läutete. Gutachter sei er, sagte der Mann, beauftragt vom Eigentümer. Eine Visitenkarte ließ er nicht da; dafür bat er um die Schlüssel zum Dachgeschoss im Vorder- und Rückgebäude. So erzählen es die Mieter.

Anfang August kamen die Bankangestellten. Sie seien beauftragt, den Wert des Hauses zu schätzen, und sprachen von einem Verkauf in naher Zukunft. In der letzten Augustwoche erhielten die Mieter das Schreiben einer Münchner Bank, die von den Eigentümern, einer Erbengemeinschaft, mit dem Verkauf des Anwesens betraut worden war. Die Bewohner sollten sich für Hausbegehungen mit potenziellen Käufern bereithalten, die bereits wenige Tage später stattfinden sollten. Im September unternahmen die Mieter mehrere Versuche, einen Vertreter der Eigentümergemeinschaft schriftlich um Informationen zum anstehenden Verkauf zu bitten. Die knappe Antwort: Dazu könne nichts gesagt werden. Anfang Oktober erfuhren die Mieter dann, dass ein Antrag auf Vorkaufsrechtsprüfung bei der Stadt eingegangen sei. Denn ihr Haus an der Dreimühlenstraße liegt in einem Erhaltungssatzungsgebiet, einem Gebiet also, dessen Milieu die Stadt für schützenswert hält. Investoren, die dort ein Mietshaus kaufen, müssen bestimmte Auflagen erfüllen.

Müssen sie gehen, weil sie sich ihr Viertel nicht mehr leisten können?

Was bleibt den Mietern anderes übrig als zu warten? Darauf, was der Käufer vorhat. Darauf, welche Auswirkungen die Pläne auf sie haben werden. Ob sie bleiben können oder gehen müssen, weil sie sich ihre Wohnung, ihr Viertel nicht mehr leisten können. Die Bewohner sind beunruhigt. Weil man aber nicht nur warten und sich Sorgen machen kann, sind sie kreativ geworden. Einer der Mieter ist Fotograf. Für seine Arbeit ist er auf der ganzen Welt unterwegs, diesmal porträtierte er seine Nachbarn. Daraus ist ein Dossier entstanden, das eine Hommage an ihre Heimat geworden ist. Sie wollen nicht auf die Tränendrüse drücken. Sie wollen nur zeigen, was verloren ginge, wenn ihr geliebtes Haus im großen Stil saniert und die Mieten kräftig steigen würden. Und wenn der Eigentümer sich ihnen schon nicht vorstellt, dann stellen sie sich eben selber vor.

Noch sind die Mieten sehr unterschiedlich, je nach Sanierungszustand der Wohnung, insgesamt aber: bezahlbar. Manche Bäder sind saniert, andere nicht. Noch gibt es in manchen Wohnungen alte Gasöfen und sogar eine Toilette im Treppenhaus. So verschieden die Wohnungen sind, so verschieden sind auch die Bewohner. Das wollen sie zeigen. Dass es hier noch eine "natürlich gewachsene soziale Mischung" gibt, wie Jens Schwarz es ausdrückt. So, wie sie sich München wünschen.

"Besser können Wohnen und Nachbarschaft kaum sein"

Nicht anonym

Fotoprojekt gegen Luxussanierung Dreimühlenviertel

Steffi, Grafikerin, *1976

(Foto: Jens Schwarz)

"Die Dreimühlen 16 war von Anfang an mein Wohlfühlnest. Die Wohnungsbesichtigung dauerte nicht länger als zwei Minuten. Mittlerweile habe ich hier mein Home Office - ohne dass mir die Decke auf den Kopf fällt. Anonymität gibt es in der 16 kaum. Bei Problemen wird geholfen und es wird viel zusammen gelacht. Besser können Wohnen und Nachbarschaft kaum sein. Ich wünsche mir, dass diese einmalige Straße nicht in eine Chaussee für Porsche Cayenne und Maserati wird. Mein Wunsch ist es, mir weiterhin das eigentliche Leben neben dem Wohnen finanzieren zu können."

Viele Freunde

Fotoprojekt gegen Luxussanierung Dreimühlenviertel

Bärbel, Sozialpädagogin, Axel, Journalist, und Sohn Leonhard

(Foto: Jens Schwarz)

"Wir wohnen seit 15 Jahren in dem Haus und haben hier viele Freunde gefunden. Hier leben Menschen von unterschiedlicher Herkunft und Status unter einem Dach. Das Haus hat eine integrative Kraft. Alle Mitbewohner kennen sich seit Jahren persönlich. Wir wünschen uns, dass dieses Haus in der heutigen Form Bestand hat. Es wäre traurig, wenn die Gemeinschaft zerbricht. Das Viertel verändert sich seit Jahren einseitig: Hier geborene Menschen, Rentner und einkommensschwache Familien können sich die Mieten nicht mehr leisten und ziehen weg."

Ein Kleinod

Fotoprojekt gegen Luxussanierung Dreimühlenviertel

Friedrich, Lektor, *1986 in Leipzig, Victoria, Architektin, *1990 in Stuttgart, Untermieterin

(Foto: Jens Schwarz)

Er: "Als ich 2011 hier eingezogen bin, sah das Treppenhaus aus, als wäre es vor 20 Jahren zum letzten Mal gestrichen worden. Ich kam damals aus Berlin nach München, und mein romantischer Blick für alles, was nicht perfekt gesäubert und auf Glanz poliert ist, hat sich sofort in das Haus verliebt." Sie: "Die Dreimühlenstraße 16 ist für mich ein Kleinod in München. Die alte Bausubstanz ist charmant und erzählt eine Geschichte. Die nachbarschaftliche Atmosphäre in den paar Straßen, die das Viertel begrenzen, ist einzigartig für München."

Halbes Leben

Fotoprojekt gegen Luxussanierung Dreimühlenviertel

Andreas, DV-Kaufmann, *1965 in der Maistraße in München, Mieter seit 1992

(Foto: Jens Schwarz)

"Ich wohne seit 26 Jahren in der Dreimühlenstraße, also mein halbes Leben. In dieser Zeit wurde ich Vater von drei Kindern. Studium, Ausbildung, Berufseinstieg, Heirat und Scheidung - all diese einschneidenden Erlebnisse verbinde ich mit dieser Wohnung. Ich habe immer gern im Altbau gewohnt, ich mag es, wenn sich jede Wohnungstür und jede Stufe im Treppenhaus anders anhören. Ich brauche nur fünf Minuten zu meinen Eltern und zu meiner pflegebedürftigen Tante. Alle drei sind Mitte 80 und können hoffentlich noch lange in ihren Wohnungen bleiben."

Zweites Zuhause

Fotoprojekt gegen Luxussanierung Dreimühlenviertel

Munevera, *1952 in Sarajevo

(Foto: Jens Schwarz)

"Das Haus ist meine zweite Heimat, ich fühle mich wohl hier. 1970 bin ich mit 18 Jahren aus Bosnien nach München gekommen. Früher habe ich in der Geyerstraße gewohnt, aus der Wohnung musste ich ausziehen, weil das Haus saniert wurde. Neun Monate habe ich gekämpft, um die Wohnung hier im Hinterhaus zu bekommen, in der eine Kollegin von mir gelebt hatte - irgendwann hat es geklappt. 24 Jahre habe ich bei Rodenstock gearbeitet, wo ich Brillenfassungen gelötet habe. Ich bekomme 1200 Euro Rente und bezahle 430 Euro Kaltmiete - viel mehr kann ich mir nicht leisten."

Der Ruhepol

Fotoprojekt gegen Luxussanierung Dreimühlenviertel

Jens, Fotograf, *1968 in Berlin, Mieter seit 2006

(Foto: Susanne Gröger)

"Die Wohnung ist mein Ruhepol in einem recht bewegten Leben mit häufigen beruflichen Reisen und vielen wechselnden Eindrücken. Der Baum vor meinem Fenster, das Morgenlicht in meinem Bett und das Abendlicht auf meinem Balkon bilden einen Hafen, der mich erdet. Hier ist meine Tochter aufgewachsen, hier ist unser Zuhause. Im Viertel kennt jeder jeden, trotzdem gibt es keinen Gossip, keinen Neid, sondern ein selten solidarisches Lebensgefühl. Ich möchte hier als Freiberufler zu bezahlbaren Mieten wohnen bleiben, mit den Menschen, die mich umgeben."

Gute Mischung

Fotoprojekt gegen Luxussanierung Dreimühlenviertel

Stephan, Sozialarbeiter, *1968 in München

(Foto: Jens Schwarz)

"Mein Vater ist bereits in der Isarvorstadt geboren und aufgewachsen und auch mich hat es im Verlauf meines Lebens immer wieder ins Gärtnerplatz- und Dreimühlenviertel gezogen. Mir gefällt der urbane Charme inklusive Schlachthof und Großmarkt ebenso wie die grünen Isarauen, die gute und natürliche Mischung von vielen alteingesessenen Bewohnern - vom Kleinkind bis zum Senioren, vom Gering- und Normalverdiener bis zu Wohlhabenderen. Mein Sohn Xaver und ich wünschen uns sehr, weiterhin in unserer Heimatstadt bezahlbar wohnen zu können."

Buntes Dorf

Fotoprojekt gegen Luxussanierung Dreimühlenviertel

Andi, Ingenieur, *1975 in Neuburg an der Donau

(Foto: Jens Schwarz)

"Ich lebe seit 2005 in einer Wohngemeinschaft im Haus. Hier sind vertraute, liebe Nachbarn und die Wurzeln vieler Freundschaften, die meinem Leben Halt geben. Das Viertel hat Geschichte, ist wie ein kleines, buntes, offenes Dorf zwischen der grünen Isar und der Innenstadt. Und es lebt. Man sieht und trifft immer Bekannte, Nachbarn oder Freunde. Der Charakter der Dreimühlenstraße 16 wird von den vielen verschiedenen Menschen geprägt, die hier leben. Ich wünsche mir, dass dies auch in Zukunft für uns alle möglich ist und dass es hier vielfältig und lebendig bleibt."

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