Süddeutsche Zeitung

Nach dem Hygiene-Skandal:Der Fall Müller-Brot kommt vor Gericht

  • Sechs Angeklagte aus dem früheren Management von Müller-Brot müssen sich vom 2. November an vor dem Landgericht Landshut verantworten.
  • Die Geschäftsführer sind neben mutmaßlichen Verstößen gegen das Lebensmittelrecht auch wegen Insolvenzverschleppung und Betrugs zu Lasten einer Reihe von Lieferanten angeklagt.
  • Trotz Schaben, Mäusekot und Mehlwürmern in der Backfabrik soll nie eine Gefahr für die Gesundheit der Kunden bestanden haben.

Von Katja Riedel

Gut dreieinhalb Jahre ist es her, dass in den etwa 150 Filialen der damaligen Großbäckerei Müller-Brot aus Neufahrn die Regale leer blieben. Es ist ebenso lange her, dass sich Kunden fragten, warum so plötzlich all die Backstraßen stillstanden, über die sonst eine Million Semmeln täglich gingen, genauso viele Brezen, 70 000 Brotlaibe und 220 Tonnen Gebäck aller Art, sieben Tage die Woche. Nur ganz langsam kam die Wahrheit ans Licht: dass die Behörden die Fabrikhallen nach einem jahrelangen Katz-und-Maus-Spiel schließlich dichtgemacht hatten.

Die verantwortlichen Manager waren nach Ansicht des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) massiven Hygienemängeln nicht so konsequent nachgegangen, wie die Prüfer dies immer wieder gefordert hatten. Lange hatten die Kontrolleure des LGL und des Landkreises Freising gezögert. Als dann die Details über Mehlwürmer, Schaben und Mäusekot in der Backfabrik durchsickerten, setzten sie einen Schnitt, wie es ihn zuvor bei einem Unternehmen dieser Größe noch nicht gegeben hatte.

Sechs Angeklagte müssen sich in Landshut dem Richter stellen

Diese Manager werden sich nun vom 2. November an vor dem Landgericht in Landshut verantworten müssen. Das sagte der Vizepräsident des Gerichtes, Rainer Wiedemann, der SZ. Auf der Anklagebank werden die insgesamt sechs Angeklagten nicht nur deshalb sitzen, weil die Brezen und Semmeln über Monate hinweg in Verhältnissen gebacken worden sein sollen, vor denen sich Kunden wohl gegraust hätten.

Bei den drei angeklagten Geschäftsführern, darunter der ehemalige Mehrheitseigner Klaus Ostendorf, dürfte der Vorwurf der Insolvenzverschleppung und des Betruges zu Lasten einer Reihe von Lieferanten wohl weitaus schwerer wiegen als die mutmaßlichen Verstöße gegen das Lebensmittelrecht. Denn eine Gefahr für die Gesundheit bestand nie, wenn Kunden in die Brezen bissen, so betonten es zumindest stets die Kontrolleure, und so war es auch in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft zu lesen, als diese Anklage erhob.

Trotz Pleite bestellte die Firma Waren für 1,65 Millionen Euro

Die wirtschaftlichen Probleme des Unternehmens, damals eine der größten Backfabriken Deutschlands mit gut 1000 Mitarbeitern, waren weitaus gravierender. Für etwa 1,65 Millionen Euro sollen die Geschäftsführer noch bei Lieferanten Waren und Dienstleistungen bestellt haben - obwohl das Unternehmen längst pleite war, so sieht es zumindest die Staatsanwaltschaft Landshut, die ihre umfangreichen Ermittlungen bereits vor anderthalb Jahren abgeschlossen und die Anklageschrift verfasst hat.

Ostendorf war am Freitag für eine Stellungnahme telefonisch nicht erreichbar. Zu den Hygienevorwürfen hatte er kurz nach Bekanntwerden des Skandals in einem Interview mit der SZ 2012 eingeräumt, dass "grobe Fehler" gemacht worden seien. Zu den Vorwürfen wirtschaftlicher Art hat er sich bisher nicht geäußert. Sein Co-Geschäftsführer Stefan H. hatte damals in einem Gespräch mit der SZ betont, dass die Manager gemeinsam um das wirtschaftliche Überleben des Unternehmens gekämpft hätten. Es sei "ein Unternehmen am Scheideweg" gewesen.

Der Prozess dürfte alle interessieren, die mit Müller-Brot gemeinsam untergingen

Erst jetzt hat das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Reichlich spät, könnte man meinen. Die kleine Wirtschaftsstrafkammer Landshut kämpft, wie viele andere in Deutschland, mit einer Flut von Verfahren. So ist eine Menge Zeit ins Land gegangen, bevor der ehemalige Müller-Brot-Eigner und zwei ehemalige Mitgeschäftsführer vor Gericht stehen werden. Ostendorfs Sohn Frank wurde Ende vergangenen Jahres wegen Betrugs gemeinsam mit zwei weiteren Geschäftsführern der Großbäckerei Stauffenberg zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Sie hatten gestanden, einen Finanzierer aus Stuttgart zwischen Juni und September 2013 um rund sechs Millionen Euro betrogen zu haben.

Die Bäckerei Stauffenberg war wie viele andere Backunternehmen aus dem Ostendorf-Familienverbund in den Strudel geraten, der mit Müller-Brot begann. Die Affäre kostete die Ostendorfs viel Vertrauen, Banken zogen sich zurück, Geschäftspartner verabschiedeten sich, große Aufträge, vor allem der Discounter, gingen flöten. Der Leipziger Löwen-Bäcker ging ebenfalls in die Insolvenz. Kurz darauf folgte Stauffenberg. Der Prozess dürfte also auch all jene interessieren, die mit Müller-Brot gemeinsam untergingen.

Derzeit seien es noch zwei getrennte Verfahren, die verhandelt werden. Eines wegen mutmaßlicher Hygieneverstöße, ein anderes wegen der Wirtschaftsdelikte. Weil die Angeklagten aber zum Teil identisch sind, werden die Verfahren wohl zusammengeführt. Bisher hat das Gericht zehn Verhandlungstage bis Weihnachten angesetzt; dass es dann schon zu einem Urteil kommen wird, scheint jedoch unwahrscheinlich. Insolvenzverwalter Hubert Ampferl hat Klaus Ostendorf zudem auf 20 Millionen Euro Schadenersatz verklagt, er soll für die Folgen der mutmaßlichen Insolvenzverschleppung haften. Die tatsächliche Schadenssumme sei "weit höher", sagt Ampferl. 1240 Gläubiger hätten Forderungen in einer Gesamthöhe von rund 85 Millionen Euro angemeldet.

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SZ vom 08.08.2015/angu
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