Drehbuchautorin Andrea Sixt:"Der Krebs war ein Segen für mich"

Die Diagnose Brustkrebs verändert alles. Andrea Sixt räumt auf in ihrem Leben - und entdeckt ihre wahre Berufung: das Schreiben. Nun feiert die Autorin mit dem Film "Bei Anruf Sex", zu dem sie das Drehbuch lieferte, einen Riesenerfolg.

Franz Kotteder

Als die Silvesterraketen den Himmel in knallige Farben tauchten und die Böller krachten, saß sie mit einem Glas Sekt allein im leeren Kinosaal und war unsagbar glücklich. Die anderen waren alle draußen, klar, es war Mitternacht, das neue Jahr 1997 hatte gerade begonnen. Sie war hier, um den Jahreswechsel mit Freunden aus der Filmbranche zu feiern, die das Sollner Kino für ihre Party gemietet hatten.

Drehbuchautorin Andrea Sixt: Andrea Sixt bei der Premiere des Films "Eine ganz heiße Nummer", zu dem sie das Drehbuch schrieb.

Andrea Sixt bei der Premiere des Films "Eine ganz heiße Nummer", zu dem sie das Drehbuch schrieb.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Unter all den Leuten hier hatte sie freilich am meisten Grund zu feiern. Schließlich war die Prognose der Ärzte ziemlich genau ein Jahr her. So wie es aussah, hatte es geheißen, hätte sie wohl noch ein Jahr zu leben. Mehr nicht.

Andrea Sixt feierte in jener Silvesternacht 1996 also ihre Wiedergeburt, und dass sie das ausgerechnet in einem Kinosaal tat, das wirkt im Nachhinein schon bedeutungsvoll. Schließlich ist ja dann eine recht erfolgreiche Drehbuchautorin aus ihr geworden. Derzeit läuft die Komödie "Eine ganz heiße Nummer" in den Kinos, dafür hat sie das Buch geschrieben, und sie hat den Film auch mitproduziert.

Damals war an so etwas nicht zu denken gewesen, es ging ja erst einmal ums blanke Überleben. So gesehen klingt der Satz etwas verstörend, den sie heute so locker sagen kann: "Der Krebs war im Nachhinein ein Segen für mich."

Sie weiß natürlich, dass andere Menschen das seltsam finden. Weshalb sie den Satz dann auch näher erläutert: "Ich habe dann einen gesunden Egoismus entwickelt. Ich habe mir gesagt: Ab jetzt mache ich alles, was gut für mich ist." Auf dem Weg dahin war sie zwar auch vorher schon gewesen, aber es hatte wohl erst noch die große Katastrophe gebraucht. "Bis dahin war ich immer noch im alten Muster gefangen", sagt Sixt, "es den anderen recht zu machen."

Zuerst einmal hatte sie es lange Zeit ihren Eltern recht gemacht. Die haben eine Firma für Haustechnik in Regensburg, mit einer Niederlassung in München. Die Tochter sollte die Firma übernehmen, und deshalb ging sie nach dem Abitur nach München, um Versorgungstechnik zu studieren.

Sie machte ihr Diplom als Ingenieurin mit einer Einser-Arbeit über ein alternatives Heizsystem für ein Mehrfamilienhaus, stieg mit 25 Jahren in die Geschäftsführung der Münchner Filiale ein. Für 70 Mitarbeiter war sie nun zuständig; die Firma lieferte die Klima-, Sanitär- und Heizungstechnik für Häuser in ganz Europa, sogar bis nach Damaskus. Das kann zufrieden machen, wenn man dafür geschaffen ist. Andrea Sixt aber bekam diverse Krankheiten, hatte es plötzlich mit Gallensteinen zu tun und merkte: Dieser Job ist nichts für mich.

Die Diagnose: Krebs

Es sind dann einige zufällige Begegnungen, die sie auf einen neuen Weg bringen, der eigentlich ein alter ist. Denn sie hat als Kind schon gerne geschrieben, mit zwölf ein Buch über Mädchen und Pferde: "120 Seiten, alles mit grünem Kugelschreiber, das Manuskript habe ich heute noch in dem Schreibtisch."

Auf einer Party lästert sie über Fernsehserien, ein Bekannter, der Dokumentarfilmer ist, rät ihr, es besser zu machen und selber welche zu schreiben. Am nächsten Tag schenkt er ihr ein Handbuch fürs Drehbuchschreiben. So beginnt die Bauingenieurin nach Feierabend zu schreiben. Zeit hat sie, denn sie führt eine Fernbeziehung mit einem Mann in London.

Sie trifft dann einige Menschen, die sie in ihrem Entschluss bestärken, vom Schreiben zu leben. Sie steigt aus der väterlichen Firma aus, wagt den Sprung ins freiberufliche Dasein. Zusammen mit der jungen Schauspielerin und Regisseurin Sharon von Wietersheim, die sie aus Regensburg kennt, schreibt sie 1994 das Drehbuch zu "Workaholic", einer Kinokomödie, die schon ein Jahr später von Wietersheim verfilmt wird und zu einem respektablen Erstlings-Erfolg in den Kinos wird.

Zuvor aber, wenige Tage nach Abschluss der Dreharbeiten, kam der Schicksalsschlag - oder der Segen, wenn man so will. Ein Routine-Eingriff wegen einer Zyste führte zu einer neuen Diagnose: Krebs. Es war kurz vor Weihnachten 1995, die linke Brust musste sofort entfernt werden, die Überlebenschancen wären sonst gegen Null gegangen.

In der Nacht vor der Operation, erinnert sich Sixt, lag sie allein im Krankenzimmer und dachte an den Satz, den ihr ein Freund gesagt hatte, bevor sie ins Krankenhaus gegangen war, wegen des harmlosen Eingriffs, wie sie geglaubt hatte: "Was immer auf dich zukommen wird, nimm es an und betrachte es als Geschenk Gottes." Als ob er es gewusst hätte.

Der Satz wurde für sie zu einer Art Mantra. Und sie hatte viele Gründe, sich an etwas festzuhalten, damals. Da war zum Beispiel der Lebensgefährte in London. Sie erzählte ihm am Telefon die Diagnose, nach der Operation telefonierten sie noch einmal. Seither hat sie nie wieder etwas von ihm gehört.

Es war die Zeit des großen Aufräumens für Andrea Sixt, in ihrem Körper und in ihrer Seele. Den schwierigen Prozess erzählte sie in ihrem Roman "Noch einmal lieben", der dann später auch verfilmt wurde.

Es folgte ein zweiter Roman, "Traumtochter", dann populärwissenschaftliche Ratgeber für das Leben nach dem Krebs, und weitere Drehbücher. Sixt wurde sicherer, im Schreiben und im Leben, und irgendwann kam dann auch die neue, große Liebe, ihr Mann Cord, mit dem sie seither zusammenlebt. "Ich habe einige Freundschaften", sagt sie, "die ein Riesengeschenk des Lebens sind."

Schwierige Drehortsuche

Und immer wieder Glücksfälle von Begegnungen mit Menschen, an die sie scheinbar zufällig gerät: etwa den ganzheitlich denkenden Münchner Arzt Pal Dragos, der auch auf Homöopathie und nicht allein auf Schulmedizin setzt und in ihrem Fall zur sogenannten Misteltherapie rät.

Oder den Weltenbummler, der sich als Schweizer Verleger entpuppt und der sie im Schreiben bestärkt. Oder ebenjenen Freund, der damals vom Geschenk Gottes gesprochen hat, der in Hollywood als Storyboarder gearbeitet hatte und der sie "durch seine spirituelle Art eigentlich aufs Leben vorbereitet hat", wie Andrea Sixt sagt.

Oder aber jener blöde Zufall, der sie zwingt, ihren Roman "Eine ganz heiße Nummer" doch noch zu schreiben, obwohl sie das Projekt nach 30 Seiten eigentlich aufgeben wollte. Dummerweise aber hatte der Verlag das Buch schon angekündigt, das Cover stand bereits auf den Seiten des Online-Händlers Amazon.

Sixt schrieb das Buch in 60 Tagen fertig, arbeitete es zum Drehbuch um, ging damit hausieren, produzierte den Stoff dann schließlich selbst und fand mit Markus Goller den passenden Regisseur. Bettina Mittendorfer, Gisela Schneeberger und Rosalie Thomass spielen drei Frauen aus dem Bayerischen Wald, deren Lebensmittelladen vor der Pleite steht und die beschließen, eine Telefonsex-Hotline aufzumachen.

Die Geschichte der Verfilmung wäre fast schon wieder eine Komödie für sich, wenn man zum Beispiel hört, wie sehr sich das Bistum Regensburg bemüht hat, die Dreharbeiten in und um Kirchen herum zu verhindern. Weil nämlich die geistlichen Herren im Film alle ein wenig scheinheilig sind. In letzter Minute, erzählt Sixt, hätten sie dann doch noch eine Kirche gefunden, in der sie drehen durften.

Es hatte sich also wieder mal alles zum Guten gewendet. Inzwischen, nach sieben Wochen Laufzeit, hat "Eine ganz heiße Nummer" mehr Zuschauer als damals "Titanic" im selben Zeitraum, sagt Andrea Sixt. Bis Weihnachten werden es wohl eine Million Zuschauer sein, gut 90 Prozent davon in Bayern. Das ist immerhin ein ähnlicher Erfolg wie Marcus H. Rosenmüllers "Wer früher stirbt ist länger tot", der insgesamt auf 1,3 Millionen Zuschauer kam.

All das sind so Dinge, die sie sich nicht hat träumen lassen, damals bei der Silvesterparty im Sollner Kino, als ihr Leben sozusagen neu begann. Wäre eigentlich ein Grund, den Jahreswechsel heuer wieder in einem Kino zu begehen. Aber heuer, sagt sie, feiert sie eher in kleinerem Rahmen, bei Freunden. Wer weiß, wohin das dann wieder führen mag?

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