Süddeutsche Zeitung

Dramatische Verluste:Die große Verliererkoalition im Münchner Rathaus

SPD und CSU arbeiten zusammen, nun sehen sie schockiert, wie das Berliner Bündnis endet.

Von Thomas Anlauf, Heiner Effern, Dominik Hutter und Pia Ratzesberger

Die Bundestagswahl 2017 hat auch in München die Kräfte so durcheinandergewürfelt wie keine zuvor. Kurz vor Mitternacht war nach Auszählung der letzten Stimmen klar, dass die CSU mit 30,0 Prozent und die SPD mit 16,2 die schlechtesten Ergebnisse seit Jahrzehnten hinnehmen müssen. Beide fuhren laut Endergebnis ein Minus von jeweils 7,8 Prozentpunkten ein. Die ehemals so stolze Partei von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) fiel zudem hinter die Grünen auf Platz drei in der Stadt zurück. In der Endabrechnung lag die SPD genau einen Prozentpunkt hinter den Grünen (17,3). "Dass wir so abgestraft werden, hätte ich nicht geglaubt", sagt die völlig konsternierte Münchner SPD-Chefin Claudia Tausend am Wahlabend. Selbstkritisch meint die Direktkandidatin für den Münchener Osten. "Das sieht nicht so aus, als ob wir alle in München einen guten Wahlkampf gemacht haben." Alt-OB Christian Ude ist völlig fassungslos: "Eine Sozialdemokratie bei 15 Prozent hat man sich in den ersten 50 Jahren meiner Mitgliedschaft nicht einmal in Albträumen vorstellen können."

Die CSU hat in München eine herbe Niederlage eingefahren

Schon im Kreisverwaltungsreferat zuvor haben die Genossen geschockt festgestellt, dass ein Ergebnis wie sonst nur bei Europawahlen droht. Auf Bildschirmen ist zu sehen: drittstärkste Partei, nach der CSU und noch hinter den Grünen. Kein einziges Direktmandat, starke Verluste, und dann noch die Gefahr, den undankbaren Platz drei belegen zu müssen.

Den Gewinnern der vier Münchner Direktmandate geht es freilich nicht viel besser. Die CSU hat auch in München eine herbe Niederlage eingefahren. Minus 9,6 Prozent bei den Erststimmen - da nehmen sich die minus 5,8 der Sozialdemokraten ja fast noch harmlos aus. Die Politik der Berliner großen Koalition ist CSU und SPD nicht gut bekommen. Die CSU ist mindestens so stark geschockt wie die SPD. Parteichef Ludwig Spaenle und Bürgermeister Josef Schmid tauchen völlig ab. Und die, die etwas sagen, sagen nichts Freundliches. "Herbe Diskussionen" erwartet der Landtagsabgeordnete Robert Brannekämpfer. Der scheidende Bundestagsabgeordnete im Münchner Westen, Hans-Peter Uhl, knurrt: "Wer jetzt nicht verstanden hat, der muss die Politik verlassen." Er meint die aus seiner Sicht missratene Flüchtlingspolitik der Union.

Ein SPDler spricht von "Gewürge"

Zwar geht es auf der lokalen Münchner Ebene um ganz andere Themen. Aber manchem Stadtrat ist nun mulmig. Schließlich arbeitet auch im Münchner Rathaus eine große Koalition. Stadtschulrätin Beatrix Zurek ist die Ratlosigkeit anzumerken. Warum nur haben die Wähler die SPD derart abgestraft, die doch eigentlich die aus ihrer Sicht erfolgreichen Aspekte in die Regierungspolitik eingebracht habe? Dass die Sozis nun in die Opposition müssen, ist einhellige Meinung im Saal des Kreisverwaltungsreferats, in dem auf Bildschirmen dieaktuellen Zahlen zu sehen sind.

Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) sieht nach diesem miesen Ergebnis gar keine andere Möglichkeit. Florian Post, der SPD-Kandidat für den Münchner Norden, hat schon vor der Wahl für ein Ende der großen Koalition plädiert und die Arbeit der vergangenen vier Jahre als Gewürge bezeichnet. Aber auch die SPD hat an diesem Abend noch andere Sorgen: Das gute Abschneiden der AfD beschäftigt die Politiker genauso intensiv wie das eigene Ergebnis. Da ist es dann schon nicht mehr so schlimm, dass sich kein einziger der vier Direktkandidaten durchsetzen konnte.

OB Reiter sagt: "Das ist für uns eine klare Niederlage"

Doch dass sich das miserable Ergebnis auch bei den Zweitstimmen so ungebremst fortsetzt, hat wohl niemand geahnt. Oberbürgermeister Dieter Reiter blickt auf der SPD-Wahlparty auf sein Handy, der rote Balken steht hinter dem grünen, hinter dem schwarzen. "Das waren wohl die taktischen Überlegungen der Wähler", sagt er, schüttelt den Kopf. "Das ist für uns eine klare Niederlage", sagt Reiter. Er glaube aber nicht, dass die Grünen die Münchner thematisch mehr überzeugt hätten. Sie hätten wohl die große Koalition abwählen wollen. Die SPD kommt nicht vom Fleck, der Abstand zu den Grünen wächst Zehntelpunkt um Zehntelpunkt. Bei der Wahl im Jahr 2013 hatte der Abstand zwischen den beiden Parteien noch fast zehn Prozentpunkte betragen.

Bei den Erststimmen zeigt sich ein seit vielen Jahren "erprobtes" Prinzip: Im Zweifelsfall nehmen sich SPD und Grüne die Stimmen weg, lachender Sieger ist die CSU. Die bekannten Grünen-Kandidaten Dieter Janecek und Margarete Bause bescheren den Sozis im Westen und im Osten besonders traurige Ergebnisse.

Kein Wunder, dass die Grünen nahezu euphorisch sind. Margarete Bause, Kandidatin im Osten, kann das Wahlkampfteam gar nicht hoch genug loben. "Wir haben gekämpft wie die Weltmeister", sagt sie. Dass die Grünen in München aber sogar zweitstärkste Kraft werden könnten, hätte sie persönlich nicht gedacht.

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SZ vom 25.09.2017/jana
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