Süddeutsche Zeitung

Drama:Reise in die eigene Vergangenheit

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Uisenma Borchus neuer Spielfilm "Schwarze Milch" erzählt vom Wiedersehen zweier Schwestern in der Mongolei.

Von Josef Grübl

Das Töten geht schnell, dafür braucht sie nur ein Messer. Sie macht einen kleinen Schlitz in den Bauch, greift hinein und drückt die Aorta ab. Operation gelungen, Patient tot. Wobei man wissen sollte, dass diese Operation keine Folterszene aus einem Horrorfilm ist und der Patient kein Mensch, sondern eine Ziege. In Uisenma Borchus zweitem Spielfilm Schwarze Milch, dem Nachfolger ihres preisgekrönten Debüts Schau mich nicht so an aus dem Jahr 2015, kann man die Ziegenschlachtung auch als einen Akt weiblicher Selbstbestimmung sehen. Denn das Töten von Tieren ist unter den Nomaden in der Mongolei Männersache. Doch wenn der Mann im Haus (beziehungsweise der Jurte) lieber mit seinen Kumpels säuft, müssen eben die Frauen ran. Genauer gesagt ist das die Bewährungsprobe für die Besucherin: Die von der Regisseurin selbst gespielte, in Deutschland aufgewachsene Mongolin kann beweisen, dass sie keine verweichlichte Europäerin ist.

Nach vielen Jahren und einer gescheiterten Beziehung ist sie zurückgekehrt, um ihre Schwester (Gunsmaa Tsogzol) zu sehen. Die eine fragt: "Sind wir uns fremd geworden?" Die andere antwortet: "Natürlich." Äußerlich sehen sie sich ähnlich, innerlich könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Bis sie feststellen, dass sie beide Außenseiterinnen in ihren Welten sind. Und dass sie sich von den Meinungen der anderen befreien müssen. Uisenma Borchu zog als kleines Mädchen mit ihrer Familie in die DDR, als junge Frau studierte sie an der Münchner HFF Dokumentarfilm. "Dokumentarisch gefilmt" wurde übrigens auch die Ziegenszene: Im Abspann des Films erfährt man, dass das Tier ohnehin geschlachtet worden wäre.

Schwarze Milch , Regie: Uisenma Borchu

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Quelle:
SZ vom 22.07.2020
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