Drachen:Vom Winde verweht

In seinem Hobbykeller im Münchner Westen betreibt Stephan Haugg einen Laden für Drachen-Fans. Die können unter 150 Fluggeräten und jeder Menge Zubehör wählen

Von Günther Knoll

Ausgerechnet im Keller? Aber womöglich ist das genau der richtige Aufbewahrungsort, damit die Drachen, wenn sie denn erst einmal in den Himmel steigen dürfen, es dort um so bunter treiben. Hier in seinem Haus an der Bergetstraße, in einer Siedlung gleich hinter dem MAN-Werksgelände fast schon in Karlsfeld, betreibt Stephan Haugg sein "Fly over Drive". Dass er dort allein 150 verschiedene Drachenmodelle vom kleinen Einleiner für Kinder bis zum Speed- oder auch Trickdrachen für Spezialisten bereit hält, mag man auf den ersten Blick kaum glauben, wenn es treppabwärts in den Kellerraum geht . Dort aber breitet sich auf wenigen Quadratmetern auf und um eine Tischtennisplatte dem Drachenfreund ein wahrer Schatz aus. Nylonseide und Kohlefaser als Grundmaterialien machen es möglich, Dinge an der Schnur in die Luft zu lassen, die einen Laien staunen lassen.

"Man kann alles zum Fliegen bringen, nur die Waage muss man richtig anbringen", erklärt der Experte Haugg. An der Nordsee, so geht ein Witz unter Drachenfreunden, können das sogar Kühlschränke sein. Mit dem Begriff Waage ist die Schnurkonstruktion am Drachen gemeint, die ihm die Stabilität verleiht. Je nach Gewicht und Windstärke lassen sich diese Waageschnüre verstellen. Aber das ist dann schon ein Thema für Eingeweihte. Der Anfänger kommt zu Fly over Drive, um einen Drachen zu kaufen. Oft für den Strandurlaub, damit es dort nicht langweilig wird. Bei Dauerregen, wie ihn Haugg heuer im Sommer in Dänemark erlebt hat, muss das Fluggerät aber dann im Köcher bleiben.

Drachensteigen im Münchner Olympiapark, 2014

An der langen Leine hat ein Mann seinen Drachen im Olympiapark.

(Foto: Robert Haas)

Auch spezielle Behältnisse gibt es, in denen die Fluggeräte gefaltet und auseinandergebaut transportiert werden können. Und natürlich verkauft Haugg auch Windmesser, "für die Profis" sagt er. Denn die gibt es auch in München. Ein Rentner habe einmal nach dem Kauf des ersten Drachen so Feuer gefangen, dass er innerhalb weniger Wochen weitere 2000 Euro bei ihm ausgegeben habe. Eine Gruppe älterer Münchnern beschäftige sich intensiv mit Drachen. Sie haben eine Partnerschaft mit italienischen Drachenfreunden, für die regelmäßigen Treffen werde dann jedesmal ein Motto ausgerufen und die entsprechenden Drachen gebastelt.

Das Zubehör dafür lagert ebenfalls im Keller an der Bergetstraße: Stoffe in verschiedenen Farben, mit Glasfaser verstärktes Papier, Kohle- und Glasfaserstäbe, Nylonschnüre, Verbindungen. Auch Münchner Theater kämen inzwischen zu ihm, denn mit den biegbaren Stäben ließen sich zum Beispiel auch Reifröcke basteln, berichtet Haugg. Er selbst repariert auch Drachen, nur Nähen, "das mache ich nicht", dafür müsse man "echter Spezialist" sein. Der gelernte Installateur-Meister ist hauptberuflich in der Hausverwaltung tätig, das Drachengeschäft läuft eher nebenher. Nur im Laden zu sitzen, das wäre nichts für ihn, sagt der 52-Jährige, "da wachs' ich ja an". Zu dem Geschäft ist er über einen Freund gekommen, dessen Eltern " das letzte echte Münchner Drachengeschäft gleich neben Rieger-Pelze" betrieben hätten. Nach der Aufgabe hätten er und sein Freund mit den Restbeständen gemeinsam weitergemacht, doch der habe dann die Lust verloren, und so sei die "Drachengeschichte" an ihm geblieben.

Drachen: Stephan Haugg verkauft Drachen in seinem Keller.

Stephan Haugg verkauft Drachen in seinem Keller.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Haugg zählt sich selbst nicht zu den echten Drachenfreaks, eine besondere Beziehung zu den federleichten Fluggeräten hat er aber offenbar schon seit Kindertagen. Stolz zeigt er die hölzerne Spule, die sein Vater, ein Feinmechaniker, extra für ihn angefertigt habe, "für tausend Meter Schnur". Und er schwärmt von den Herbsttagen als Kind auf dem ehemaligen Flugplatz Neubiberg, ein ideales Areal für Drachen. Dass die Stadt heute Drachen auf der Panzerwiese verbietet, "wo doch da so viele Familien mit Kindern wohnen", kann er nicht verstehen. Man könnte doch einen kleinen Bereich des Areals für dieses Hobby ausweisen, meint er. Im Olympiapark dagegen dürfe man seinen Drachen fliegen lassen, das hält Haugg dagegen bei den vielen Besuchern nicht für ungefährlich, "so eine Schnur wirkt wie eine Säge". Und warum das Münchner Drachenfest inzwischen auf dem Buga-Gelände in Riem stattfindet, ist ihm ein Rätsel. "Genau zwischen zwei Bergen", das sei sehr ungünstig für den Wind.

Der Wind: Er kann das Drachenfliegen zum Vergnügen, aber auch zum echten Sport machen. Kiter nutzen das Fluggerät in Form von "Matten" , um sich davon über Wasser oder Land ziehen zu lassen. Doch auch im Stehen kann man ganz schön ins Schwitzen geraten, wenn man bei Windstärke sieben einen großen Sturmdrachen an den Lenkschnüren hat. Dafür gibt es Gurte, "Sitztrapez" genannt, die, um den Bauch geschnallt, die Arme entlasten. Natürlich finden sich auch diese in Hauggs Sortiment.

Man kann also ganz schön viel Geld ausgeben für dieses windige Hobby. Aber darauf legt es der Inhaber von Fly over Drive nicht an, denn "aufschwatzen", so versichert Haugg, wolle er keinem Kunden etwas. Wenn Väter mit kleinen Söhnen kämen, empfehle er den leichten Kinderdrachen, auch wenn der dem Kunden oft zu billig erscheine. Jungen bevorzugten da gerade das Haifischmotiv, Mädchen dagegen stünden auf Schmetterlinge und lustige Vogelmotive. Wenn aber jemand einen Drachen will, "der auch einmal abstürzen kann", dann hat Haugg darauf eine Standard-Antwort: "Stellen Sie sich vor, sie würden das fordern, wenn Sie ein Sportflugzeug kaufen."

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