Doppelmord von Krailling: Richter Ralph Alt:"Ich rede niemandem ins Gewissen"

Wochenlang hat der Doppelmörder von Krailling grinsend gezeigt, was er vom Gericht hält - nichts. Nun hat Richter Ralph Alt die Höchststrafe gegen ihn verhängt, auf moralische Ansprachen hat er verzichtet. Alt hat nur einen Schuldspruch geliefert. Er findet, das reicht.

Annette Ramelsberger

Wochenlang hat der Angeklagte Thomas S. dem Gericht gezeigt, was er von ihm hält - nämlich nichts. Er hat sich in der Bank gefläzt, hat die Beine von sich gestreckt, hat sich geräkelt, wenn der Staatsanwalt sprach und sich gelangweilt abgewandt, wenn Zeugen auftraten. Am Montag hat Richter Ralph Alt, 64, den Doppelmörder von Krailling zu lebenslanger Haft verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Es ist das härteste Urteil, das ein Gericht verhängen kann. Auf eines aber hat Richter Alt verzichtet: Er hat dem Angeklagten nicht ins Gewissen geredet, er hat ihn nicht ermahnt, nicht gerügt. Richter Alt hat nur einen Schuldspruch geliefert. Und er findet, das reicht.

Doppelmord von Krailling: Richter Ralph Alt

Verhängte im Prozess um den Doppelmord von Krailling die Höchststrafe: Der Vorsitzende Richter Ralph Alt.

(Foto: Lukas Barth/dapd)

Es gibt Richter, die geben dem Angeklagten gute Ratschläge mit auf dem Weg. Es gibt welche, die versuchen, mit Bibelzitaten zu punkten oder den Mensch vor dem Richtertisch ganz persönlich zu erreichen. Alt lehnt so etwas ab. "Das mache ich grundsätzlich nicht. Ich rede niemandem ins Gewissen. Die Tat ist geschehen, meine Aufgabe ist, sie rechtlich zu würdigen und eine Strafe zu verhängen", sagt er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Damit hat es für mich als Richter sein Bewenden."

Alt hat den Prozess gegen den Doppelmörder von Krailling in 14 Verhandlungstagen sicher und ohne Irritationen zum Urteil geleitet. Es hat ihn nicht besonders herausgefordert. Alt hat anderes hinter sich. Den Demjanjuk-Prozess zum Beispiel, in dem er vom Jahr 2009 bis zum Jahr 2011 über die Schuld von John Demjanjuk im NS-Vernichtungslager Sobibor zu Gericht saß und dabei auch tief in die Leiden der NS-Opfer eintauchen musste.

Juristisch war das viel anspruchsvoller als der Prozess gegen den Postboten Thomas S., der seine beiden kleinen Nichten ermordet hat. Im Demjanjuk-Prozess lieferte sich Alt auch immer wieder Wortgefechte mit der Verteidigung des Angeklagten, der er "prozessuale Mätzchen" vorwarf. Da sei ihm schon mal "der Gaul durchgegangen", sagt er.

Für Show ist Alt nicht zu haben

Im Fall Krailling war das nicht zu befürchten. Die Verteidiger argumentierten sachlich und konfrontierten die traumatisierten Angehörigen der Opfer nicht mit bohrenden Fragen. Der Staatsanwalt spulte die Anklage routiniert ab. Nur der Angeklagte selbst hätte das Gericht provozieren können - mit seinem verstörenden Verhalten. Bis dahin, dass Thomas S. während des Plädoyers des Staatsanwalts eine Bewegungen machte, als wollte er jemandem den Hals umdrehen.

Alts Beisitzer Thomas Lenz stauchte den Angeklagten einmal zusammen, er solle sich nicht immer neue, unlogische Geschichten ausdenken. Aber der Vorsitzende Alt blieb stoisch. "Ich muss Herrn S. nicht ins Gewissen reden", sagt Alt. "Das ist sinnlos, das perlt an dem ab. Das wäre nur Show." Und für Show ist Alt nicht zu haben.

Richter Alt ist ein knochentrockener Jurist. Beschlagen mit allen juristischen Feinheiten, durchaus auch fähig zu Gefühlen. Das Leid der Mutter der ermordeten Mädchen von Krailling hat ihn berührt. Die Bilder der blutüberströmten Kinder hat er im Gerichtssaal - anders als die Tatortskizze - nicht an die Wand projizieren lassen. "Nicht, um das Publikum zu schonen, sondern um nicht die Sensationsgier zu wecken", sagt er.

Die Bilder, deren blutroter Grundton bis in den Zuschauerraum zu sehen war, versucht er mental in den Akten zu lassen. "Das verstellt einem sonst den Blick für die wesentlichen Dinge." Die schrecklichen Bilder der kleinen Mädchen oder die Bilder im Kopf, die entstehen, wenn er über 29 000 Tote nachdenkt, bei deren Tötung ein Demjanjuk geholfen hat - sie sollen seinen juristischen Sachverstand nicht beeinflussen.

"Juristisch nicht bewertbar"

Richter Alt tritt nicht mit großer Geste auf. Im Gegenteil: Er betritt den Gerichtssaal eher beiläufig. Er kostet es nicht aus, wenn alle aufstehen. Er sagt Prozessbeteiligten und Zuschauern umgehend, sie könnten sich wieder setzen. Und er hält nichts von moralischen Ansprachen. "Es gibt Angeklagte, denen steht auf die Stirn geschrieben, wie sie sich das Gewissen zermartern über ihre Tat. Da muss ich nicht auch noch nachtreten", sagt er.

Im Fall Krailling war das anders. Da zermarterte sich Thomas S. sichtlich nicht das Gehirn über die Tat, der er schuldig gesprochen wurde. Das ist Richter Alt aufgefallen. Thomas S. sei dagesessen wie ein Zuschauer, der sich amüsiere, sagt Alt. Er hat darüber nachgedacht, aber: "Das ist abweichendes Verhalten, aber juristisch nicht bewertbar."

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