Doping in Fitnessstudios:Ganz schön krank

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Für den perfekten Körper nimmt jeder fünfte deutsche Bodybuilder regelmäßig Dopingmittel. Dabei können anabole Steroide schwere Gesundheitsschäden auslösen. Für manche Kraftsportler endet das Experimentieren mit Medikamenten sogar tödlich. Doch in München boomt das Geschäft mit illegalen Substanzen.

Benedikt Warmbrunn

Der erste Hinweis auf ein Reich des Körperkultes hält die Eingangstür auf. Es ist eine Dose in der Größe eines Eimers, auf ihr steht: pure whey isolate 95. Ein Molkenproteinisolat, ein Nahrungsergänzungsmittel also. Vollkommen legal. Aber es ist ja auch erst der Eingang.

Ohne Training führt kein Weg zum perfekten Bizeps. Doch Ungeduldige helfen sogar im Amateurbereich oft mit illegalen Mitteln nach. (Foto: ddp)

Die Tür führt in ein Bodybuilding-Studio in der Münchner Innenstadt, und obwohl die Wände heruntergekommen wirken, geht es hier nur um Ästhetik. Um Schein-Ästhetik, um genau zu sein. Das Ziel ist der perfekt austrainierte Körper. Und dafür werden oft alle verfügbaren Mittel eingesetzt.

Auf dem Regal hinter der Theke stehen mehrere Schachteln in orangenen Signalfarben: Kreatin. Es ist ebenfalls legal, doch viele Doping-Experten fordern, es auf die Liste der verbotenen Substanzen zu setzen. Kreatin steigert den Muskelaufbau, indem es eine bessere Regeneration in den Trainingspausen ermöglicht und gleichzeitig die Maximalkraft steigert. Auf die Schachteln angesprochen, zuckt der Besitzer nur mit den Schultern. Das sei okay, sagt er.

Das also ist der zurzeit legale Weg, um den Körper mit mehr als nur Training zu stählen: erst Nahrungsergänzungsmittel wie Eiweiß-Shakes oder Proteinpulver, dann Kreatin. Und immer wieder endet dieser Weg in der Illegalität: mit dem Konsum von anabolen Steroiden, mit einer zusätzlichen Testosteron-Zufuhr.

Nicht alle Kraftsportler dopen, das stimmt. Doch verschiedene Studien, etwa die des Sportwissenschaftlers Mischa Kläber aus dem Jahr 2010 ("Doping im Fitnessstudio") geben an, dass um die 20 Prozent der deutschen Freizeitsportler nachhelfen, also Mittel nehmen, die auf der Doping-Liste stehen.

"Mafiöse Züge"

Viele der Kraftsportler nehmen anabole Steroide, in den entsprechenden Bodybuilding-Studios soll die Quote bei 50 Prozent liegen. Hier sind Anabolika besonders beliebt, da sie für einen Muskelaufbau sorgen, den Training allein nicht ermöglicht. So schätzt Thorsten Schulz, Sportwissenschaftler an der Technischen Universität München und Mitglied in der AG Prävention der Nationalen Anti-Doping Agentur (Nada), dass ein 70 Kilogramm schwerer Mann mit einmonatigem Anabolika-Konsum und gleichzeitigem intensiven Krafttraining 15 Kilogramm an Muskelmasse zulegen kann.

Anabolika können gespritzt oder geschluckt, als Creme oder Gel auf die Haut gerieben werden, auch als Pflaster sind sie erhältlich. Inzwischen können sie über das Internet bestellt werden, eine Ampulle Testosteron gibt es dort für zwei Euro. Schulz spricht von "mafiösen Zügen", er erzählt von Labors in Osteuropa und der Türkei, in denen Testosteron synthetisch hergestellt wird.

All diese Mittel bezwecken durch zusätzliches Eiweiß einen Muskelaufbau; gleichzeitig wird die Regenerationszeit verkürzt, die Muskulatur kann häufiger und härter trainiert werden. Bodybuilder kombinieren zudem oft verschiedene Mittel. So sorgt - zusätzlich zur Einnahme von Testosteron - Winstrol dafür, dass die Muskeln härter werden, Equipoise schließlich senkt den Wasserhaushalt in den Muskeln, diese sehen definierter aus. Solche Kombinationen mehrerer Mittel nennen Kraftsportler "Kuren".

Auch in jenem Fitnessstudio in der Münchner Innenstadt helfen die Kraftsportler nach. Offen sagt das natürlich keiner. Aber langjährige Mitglieder erzählen von Gesprächen in der Umkleidekabine, in denen die Erfolge verschiedener Kuren verglichen werden. Und es ist auch so zu erahnen: Die Männer tragen Oberteile mit langen, dünnen Trägern, die betonen, wie durchtrainiert Schulter, Brust und Arme sind. Außerdem brüllen sie bei den Übungen wie Gorillas.

Der Besitzer möchte dazu nichts sagen, außer: "Es gibt nicht gutes und schlechtes Training. Es gibt zu viel Training und zu wenig Training." Nach einigen Minuten kommt ein Mann um die 40 in den Kraftraum, er schnauft nach den wenigen Treppen in den ersten Stock. Auf seinem Kopf sprießen maximal 20 dünne Haare, gleichzeitig kann sein weites T-Shirt nicht verbergen, dass lange, borstige Haare von seinem Rücken nach oben kriechen.

Ausfall der Haare auf dem Kopf, stärkeres Wachstum auf dem Körper: Das sind die vermeintlich noch erträglichen Nebenwirkungen von Anabolika-Konsum. Denn es geht auch schlimmer: Bei Männern schrumpft der Hoden, bei Frauen wächst die Klitoris, der Sexualtrieb ändert sich (meist wird er stärker).

Auf der Haut sprießt Akne, die Stimme wird tiefer. Der Sportwissenschaftler Schulz spricht außerdem von "zentralnervösen Auswirkungen", die "Wesensveränderungen" nach sich ziehen könnten; er nennt Stimmungsschwankungen, ein gesteigertes Aggressionspotential, Angst, Depression.

"Die nehmen das in Kauf für einen perfekten Körper."

Schulz hat Umfragen in Studios durchgeführt, er sagt: "Die wissen alle, dass dies von den anabolen Steroiden kommt. Aber die nehmen das in Kauf für einen perfekten Körper." Viele dopende Bodybuilder greifen zudem zu Aufputschmitteln, sie koksen oder kiffen. Schulz sagt: wegen der Coolness. Die gravierendsten Nebenwirkungen sind jedoch nicht sichtbar, sie betreffen Herz und Leber.

Matthias Graw, Leiter der Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat in den vergangenen Jahren mehrere tote Bodybuilder untersucht, bei denen der Konsum von Dopingmitteln nachgewiesen wurde. Eigentlich alle der Toten, sagt Graw, seien daran gestorben, dass das Herz zu groß geworden sei, um bis zu 30 Prozent.

Die gesamte Architektur des Herzens bricht so zusammen, Blutgerinnsel zerstopfen Zu- und Abläufe. Da gleichzeitig die Leber keine fettbindenden Eiweiße mehr ins Blut abgibt, verfettet dieses, Gefäße können platzen. Die Wahrscheinlichkeit von Herzinfarkten und Schlaganfällen steigt.

1996 wurde in München der berühmteste Doping-Tote der deutschen Bodybuilding-Szene untersucht, zu seinen Kuren sollen Testosteron, Wachstumshormone, Halotestin, Masteron, Parabolan und Insulin gezählt haben, teilweise in absurden Dosierungen.

Der Österreicher Andreas Münzer starb an Organversagen, in der einen Hälfte seiner Leber wurden tischtennisballgroße Tumore entdeckt, die andere Hälfte hatte eine poröse, styroporähnliche Struktur. Auf seinen Tod folgte eine heftige Debatte über den Konsum von Anabolika. Bodybuilding-Lobbyisten warfen den Gegnern Hetze vor, zu Münzers Beerdigung schickte Arnold Schwarzenegger einen Kranz.

Bewirkt hat dieser Fall wenig. Fotos von einem posierenden Münzer hängen bis heute in Bodybuilding-Studios.

© SZ vom 18.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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