Domina spritzt Kunden Procain:Sucht statt Sex

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Eine Domina spritzt ihrem Kunden Procain - ein Medikament, um härtere Sex-Praktiken zu ermöglichen. Doch er wird abhängig und zahlt viel Geld für das Betäubungsmittel. Nun muss sich die Prostituierte vor Gericht verantworten.

Von Susi Wimmer

Es ist eine bizarre Welt, in die der Münchner Kaufmann Peter S. ( Name geändert) vor Jahren eingetaucht ist. Ein Welt mit Dominas in Latexanzügen, unterwürfigen Sex-Sklaven, falschen Comtessen und willigen Zofen, eine Welt mit Demütigung, Schmerz und Lust - und mit Procain. Einem Medikament, das Zahnärzte zur örtlichen Betäubung spritzen, und das in der deutschen Sadomaso-Szene intravenös verabreicht wird, um härtere Sex-Praktiken zu ermöglichen.

Der 47-jährige Peter S. war nach der ersten Procain-Sitzung süchtig, wie er sagt, und innerhalb eines Jahres finanziell und gesundheitlich ruiniert. Er verlor über 70 000 Euro, wollte sich das Leben nehmen und landete in der Psychiatrie. Seit Anfang des Jahres stehen fünf Prostituierte sowie der Lebenspartner einer dieser Frauen vor Gericht. Die Anklage, die zunächst auf gefährliche Körperverletzung lautete, wurde allerdings zurückgestuft. Jetzt stehen nur noch Verstöße gegen das Medikamentengesetz im Raum. "Es entsteht der Verdacht, dass man aus welchen Gründen auch immer nicht richtig durchgreift und die Vorgänge nicht aufklären will", sagt Christian M. Steinberger, der Anwalt von Peter S.

Peter S. ist von Beruf Bürokaufmann, wohnt am Stadtrand von München in einem kleinen Häuschen, bastelt für sein Leben gern an Oldtimer-Autos herum, reist viel, interessiert sich für Kunst. Und er hegt eine Vorliebe für "softe Doktorspielchen", wie er sagt. Die brachte ihn irgendwann zu "Lady Arabella" ( Name geändert) am Stahlgruberring. Das Studio dort bietet "Sklavenerziehung", "Kerkerhaltung", Fetischspiele und erfüllt die ausgefallensten Wünsche, so die Werbung. "Körperliche Schmerzen", erzählt Peter S., "sind nicht so mein Ding." Ihm gefalle eher die Kleidung der Dominas und "das Verbale".

"Lady Arabella" war es auch, die ihm im Februar 2010 erstmals Procain anbot. Es sei total harmlos, soll sie gesagt haben, "das benutzt doch jeder Zahnarzt". Tatsächlich wird das Medikament zur lokalen Anästhesie bei Zahnbehandlungen gespritzt. Für die örtliche Betäubung füllt der Doktor im Schnitt 2,5 Milliliter Procain in die Spritze. "Lady Arabella" jagte dem Münchner in der ersten Sitzung 100 Milliliter durch die Vene. Die Welt um Peter S. herum wurde rosa, Stimmen und Bilder verzerrten sich, er verlor jegliches Gefühl für Raum und Zeit. "Und ich war sofort süchtig", sagt er. Zwar erklärte er "Lady Arabella" nach der Stunde, dass ihm das doch nicht so gefallen habe, aber zwei Tage später litt er unter starken Konzentrationsschwächen und dem Zwang, "es doch wieder tun zu wollen".

Procain wirkt direkt auf das zentrale Nervensystem. Es wird in der Schmerztherapie eingesetzt "zur lokalen und regionalen Nervenblockade", wie auf dem Beipackzettel einer Herstellerfirma zu lesen ist. Und: "Die Dosierung ist so niedrig wie möglich zu wählen."

Peter S. avancierte zum Stammkunden bei "Lady Arabella". Allerdings weniger aus sexuellen Gründen. "Das Procain hemmt auch die Muskeln, da geht ohnehin nichts mehr unter der Gürtellinie", sagt S. Es war die Sucht nach dem Mittel, die ihn fortan zwei- bis dreimal die Woche in das bizarre Studio trieb. Peter S. legte sich lediglich mit nacktem Oberkörper auf das Bett, hielt den Arm hin, und "Lady Arabella" legte einen Zugang mit einer Butterfly-Nadel in die Vene. Über einen Schlauch setzte sie dann die Procain-Dosen. Eine Stunde lang, immer und immer wieder. Mittlerweile war Peter S. bei 200 Milliliter in der Stunde angelangt, bei Drei-Stunden-Sessions spritzte ihm die Prostituierte 500 Milliliter und mehr. Dafür forderte sie einen Stundenlohn von 250 Euro, zusätzlich noch die Kosten für das Procain. Es dauerte nicht lange, bis der Körper des 47-Jährigen streikte: Im Sommer 2010 brach Peter S. in der Arbeit zusammen. Wenige Tage später kollabierte er erneut und kam mit Verdacht auf Herzinfarkt in eine Klinik.

Nach einem Zerwürfnis mit der Domina wechselt er das Studio. Auch dort gibt es Procain in rauen Mengen. Die Prostituierten "versorgen" mehrere Kunden gleichzeitig: Die Männer liegen halb betäubt auf den Betten, die Dominas gehen von Zimmer zu Zimmer und spritzen immer wieder Procain nach. Kein Sex, nur Betäubungsmittel als Droge.

"Der anwendende Arzt (. . .) wird grundsätzlich eine sorgfältige Kreislaufüberwachung vornehmen und alle Maßnahmen zur Beatmung, Therapie von Krampfanfällen und zur Wiederbelebung zur Verfügung haben." So schreibt die Firma, die hoch dosiertes Procain anbietet, auf ihrem Beipackzettel. Die empfohlene Einzeldosis liegt bei 200 Milligramm. Weiter steht auf dem Zettel: "Bei fortschreitender Vergiftung des zentralen Nervensystems kommt es zu einer zunehmenden Funktionsstörung des Hirnstammes mit den Symptomen Atemeinschränkung und Koma bis hin zum Tod."

"Ich war irgendwann nicht mehr zurechnungsfähig", beschreibt Peter S. seinen Zustand. Sein ganzer Arm sei mit Einstichen und blauen Flecken übersät gewesen, er hatte völlig den Bezug zur Realität verloren. Das Leben empfand er als Alptraum, die Schulden und die Schuldgefühle, und trotzdem kam er von der Nadel nicht los. Ein Suchtkranker, der kontinuierlich auf das Ende zuraste. Bestimmt 20 Mal sei er auf einem Hochhausdach gestanden und habe überlegt, runterzuspringen. "Ich hatte keine Angst mehr vor dem Tod. Ich war tot." Irgendwann landete er in der Psychiatrie. Er outete sich bei seinem Arzt, bei den Eltern und Geschwistern. Er versuchte, gesundheitlich wieder auf die Beine zu kommen. Finanziell war er ruiniert. Gut 60 000 Euro hatte allein "Lady Arabella" an seiner Sucht verdient. Peter S. hatte Schulden bei der Bank, bei seinem Bruder. Und er erstattete Anzeige gegen die Prostituierten.

Die Polizei durchsuchte Wohnungen und Arbeitsstätten der Prostituierten, stellte Handys, Laptops und jede Menge Procain sicher. Ermittlungen liefen an, woher die Prostituierten das teilweise verschreibungspflichtige Procain bezogen, Namen von Ärzten tauchten auf. "Da wäre es eigentlich erst richtig losgegangen", meint Peter S. Doch dann habe er das Gefühl gehabt, es geschehe nichts mehr. Die Staatsanwaltschaft stufte die Delikte herab, wertete sie als Verstöße gegen das Medikamentengesetz. Deshalb konnte Peter S. nicht in die Nebenklage gehen und auch finanziell keine Ansprüche gegen die Prostituierten geltend machen. Von ihm wurde ein psychiatrisches Gutachten eingefordert. "Aber es wird nicht geprüft, wie gefährlich die Verabreichung von Procain eigentlich ist", sagt Peter S. Er schiebt seinen Ärmel hoch, zeigt seine Hände. Sie sind gelb verfärbt, verkrustet, von der Hautkrankheit Psoriasis so befallen, dass er nichts mehr anfassen kann. Er spricht von zwei Todesfällen, einem "Haussklaven" in Rosenheim und einem Tennisspieler, der hinter einem Sadomaso-Studio tot aufgefunden wurde: Bei beiden habe der Verdacht des Procain-Missbrauchs bestanden.

Anwalt Steinberger fordert von der Justiz, einen Sachverständigen einzuschalten, der prüft, ob die hohe Dosierung von Procain lebensbedrohlich ist, ob das Mittel abhängig macht. Und ob man noch von einer Einwilligungsfähigkeit des Kunden sprechen kann, wenn der im Dämmerzustand immer und immer wieder mit Procain vollgepumpt werde.

Die Frage der Einwilligungsfähigkeit sei begutachtet worden, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch. Und man sei zu dem Schluss gekommen, dass Peter S. durchaus noch wirksam habe einwilligen können. "Somit entfällt der Vorwurf einer Körperverletzung." Ob das Gericht noch weitere Beweismittel für erforderlich hält, etwa ein Gutachten über die Gefährlichkeit von Procain, werde sich dann in der Verhandlung entscheiden.

Einige Dominas wurden bereits zu Geldstrafen von bis zu 4000 Euro verurteilt. Die Verhandlung gegen die Hauptangeklagte, "Lady Arabella", steht noch aus.

© SZ vom 16.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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