Dokumentarfilm:Zeiten des Aufbruchs

"Paris Calligrammes" von Ulrike Ottinger ist flirrendes Selbstporträt und Hommage an das politisch und künstlerisch virulente Paris der Sechzigerjahre.

Von Anke Sterneborg

"Wie mache ich einen Film über die junge Künstlerin, die ich kenne, mit den Augen der älteren Künstlerin, die ich bin", fragt Ulrike Ottinger. Und dann begibt sie sich mit der derselben Neugier, mit der sie sonst ferne Kulturen in China, der Mongolei oder Korea erkundet, auf die Reise ins Universum ihrer eigenen Erinnerungen und Inspirationen. Zwischen Nostalgie und Neugier rekapituliert sie auf sehr lebendige Weise das Paris, in das sie in den Sechzigerjahren aus der deutschen Provinz flüchtete, "um eine große Künstlerin zu werden." Zugleich entdeckt sie auch das Paris, das heute daraus geworden ist.

Das Herz des Films ist die vom jüdisch-deutschen Immigranten Fritz Picard gegründete Librairie Calligrammes, ein erlesenes Antiquariat für deutschsprachige Literatur und Treffpunkt für Künstler und Literaten, benannt nach einem Gedicht von Apollinaire. Zu den literarischen Inspirationen gesellen sich bald die künstlerischen und politischen, es ist eine Zeit des Aufbruchs und des Aufruhrs. Die junge Ulrike Ottinger saugt alles in sich auf und arbeitet es in ihren künstlerischen Kosmos ein, zunächst als Grafikerin im Atelier von Johnny Friedländer, dann als Malerin der "Nouvelle Figuration", einer französischen Version der Pop Art. Nach dem Vorbild der "bande dessinée," des französischen Comics, setzt sie riesige Wandbilder aus mittelgroßen Formaten zusammen, eine Vorstufe des Kinos, das sie in der Cinématèque Francaise für sich entdeckt. Immer zugleich nachdenklich und quicklebendig kompiliert Ottinger Archivbilder, Filmausschnitte, Interviewpassagen, Kunstwerke und Theatererfahrungen zu einem flirrenden Selbstporträt, das zugleich eine Hommage an das politisch und künstlerisch virulente Paris der Sechzigerjahre ist.

Paris Calligrammes, Regie: Ulrike Ottinger, läuft im Original mit Untertiteln im Theatiner

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