Doku-Drama:Ein abgerissenes Leben

"Winterreise": Ein jüdischer Musiker, verkörpert von Bruno Ganz, erinnert sich an Flucht und Neubeginn.

Von Anke Sterneborg

Lange Zeit schien es so, als könne die Musik sie schützen, denn sie spielten Flöte und Bratsche im Orchester des Jüdischen Kulturbundes, den Reichspropagandaminister Goebbels lange dazu nutzte, um die Illusion lebendigen, jüdischen Lebens in Deutschland vorzugaukeln. Nach einem Konzert in der amerikanischen Botschaft gehören Günther Goldschmidt und seine spätere Frau zu den letzten, die 1941 aus Nazideutschland ausgeflogen werden. In Amerika begannen sie ein neues Leben, über das alte wollten sie nicht mehr sprechen. Erst nach dem Tod seiner Mutter führte Martin Goldsmith mit seinem Vater Gespräche über dessen Vergangenheit. Daraus ist ein Sachbuch entstanden, das auch Ausgangspunkt für einen Film ist: Im Spannungsfeld von privatem Erleben und historischer Zeitgeschichte wird Wintereise zu einem intimen, posthumen Dialog zwischen Vater und Sohn. Aus dem Off ist Martin Goldsmith zu hören, im Bild wird der Vater von Bruno Ganz verkörpert, in seiner letzten, würdevoll melancholischen Rolle, bevor er im Februar 2019 starb.

Die lange gehüteten und nur zögerlich preisgegebenen Erinnerungen hat Anders Østergaard mit bearbeiteten Archivmaterialien dezent bebildert. Wenn der Vater vom Versuch eines Besuchs in Deutschland in den Sechzigerjahren erzählt, sind die nachgestellten Filmbilder schwarz-weiß. Sukzessive setzt sich das Bild eines abgerissenen Lebens zusammen, in dem der Flötist nie wieder zu seinem Instrument gegriffen hat.

Winterreise, Regie: Anders Østergaard

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