Dokfest: Regisseur Volker Sattel:Das blaue Leuchten

Ein Panoroma der Atomlandschaft: Mit dem Atomkraftfilm "Unter Kontrolle" wird das Dokfest München eröffnet. Volker Sattel über schwierige Bedinungen beim Dreh, radioaktive Partiekl, und wo Frauen keine Rolle spielen.

Martina Knoben

Das Unsichtbare sichtbar machen, das war immer schon ein Ziel des Dokumentarischen. Die klassisch investigative Doku will Gegenöffentlichkeit schaffen, der dokumentarische Essay zielt auf das Unsichtbare in den Bildern. Volker Sattel verbindet beide Traditionen in "Unter Kontrolle", der am Mittwochabend das Dokumentarfilmfestival München (DokFest) eröffnet. Sattel hat gedreht, wo der durchschnittliche Stromkunde nie sein wird, er hat Atomkraftwerke besucht, Forschungseinrichtungen und Endlagerstätten, und entwirft ein Panorama einer gefährlich faszinierenden Technologie.

Atomkraftwerk

Scheinwerfer beleuchten im schwäbischen Kernkraftwerk Gundremmingen den offenen Reaktor.

(Foto: dpa)

SZ: Wie ist das, in einem Atomkraftwerk zu drehen? Muss man die Kamera tatsächlich in Plastikbeutel verpacken?

Sattel: Wenn man in die Kontrollbereiche geht, also dorthin, wo die Gefahr von Kontamination durch radioaktive Partikel besteht - das ganze Reaktorgebäude ist ein Kontrollbereich -, dann muss sich nicht nur das Team Schutzkleidung anziehen, auch das technische Equipment muss geschützt werden. Wir mussten zum Beispiel die Füße des Stativs abkleben, damit sie nicht kontaminiert werden. Wir durften die Kamera auf keinen Fall irgendwo abstellen, wir mussten sie immer in der Hand behalten oder auf dem Stativ befestigen. Man muss sich das so vorstellen - auf dem Boden können halt überall radioaktive Partikel haften. Wir hatten extra einen sogenannten Dekonter dabei, der zum radioaktiven Putztrupp gehört. Die Dekonter haben überall, wo wir gedreht haben, vorher gewischt, um das Risiko, dass wir kontaminiert werden, zu verringern.

SZ: Hatten die Schutzbestimmungen Einfluss auf die Ästhetik des Films?

Sattel: Klar, man kann da nicht mit einem Riesenteam reingehen, man kann auch keine Schienen für Dollyfahrten verlegen oder Scheinwerfer mit reinnehmen. Wir mussten mit einer Technik arbeiten, bei der wir mit dem vorhandenen Licht auskamen; es ist in einem Atomkraftwerk auch nicht so wahnsinnig hell, wie man sich das vielleicht vorstellt.

SZ: Wie frei konnten Sie sich in den Kraftwerken bewegen?

Sattel: Um überhaupt die Drehgenehmigungen zu bekommen, waren lange Gespräche nötig, erst mal mit den Konzernzentralen, gar nicht mit den Kraftwerken selbst. Bei den Recherchebesuchen wurde dann geklärt, welche Bereiche wir überhaupt betreten dürfen. Spontan ging bei den Dreharbeiten gar nichts. Sobald man in die Kontrollbereiche geht, wird man auch immer von zwei Strahlenschützern begleitet, die messen, wie viel Strahlung man abbekommt. Als Nichtbeschäftigter in einem Kraftwerk, also als nicht strahlenexponierte Person, hat man einen relativ geringen Grenzwert, was man pro Jahr maximal an Strahlendosis abbekommen darf. Man darf natürlich auch nichts essen, nichts trinken, nicht auf die Toilette gehen. Das waren relativ harte Drehbedingungen.

SZ: Wie empfinden das die Menschen, die in den Kraftwerken arbeiten?

Sattel: Die, denen wir begegnet sind, haben ein gutmütiges Verhältnis zu ihrem Arbeitsplatz. Sie haben sich oft mit großem Stolz präsentiert, hatten sich geradezu schick gemacht für die Kamera. Uns wurde diese Technologie präsentiert wie ein riesiges Technik-Monument.

SZ: War das von Anfang an Ihr Konzept, die Selbstpräsentation?

Sattel: Es resultiert auch aus den Beschränkungen, die uns auferlegt wurden. Damit wir überhaupt drehen durften, wollten die Betreiber vor jedem Interview die Fragen sehen und bestimmte Fragen auch aussortieren. Damit muss man als Filmemacher umgehen.

Ist die Atomkraft eine Männerwelt?

SZ: Man sieht im Film fast nur Männer. Ist die Atomkraft eine Männerwelt?

Sattel: Weltweit nicht. Aber in Süddeutschland wurde an weibliches Personal im Reaktorbereich nie gedacht. Man hatte gar keine Umkleidebereiche für Frauen konzipiert.

SZ: Wie kamen Sie darauf, diesen Film zu drehen?

Sattel: Das auslösende Moment war eine zufällige Begegnung mit der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien. Ich habe dann schnell gesehen, dass mein Interesse auf dem Inneren dieses Systems liegen sollte. Ich wollte ein Panoroma der Atomlandschaft in Deutschland entwickeln, das einen neuen Blick ermöglicht - abseits einer Berichterstattung, die schnell auf ein Ja oder Nein zur Atomkraft zielt. Mich hat die Ambivalenz interessiert: der technische Fortschrittsglaube einerseits und dagegen die Technikskepsis - die Verheißungen der Utopie und dagegen die diabolische Bedrohung. Das fand ich als Kinostoff spannend. Viel mehr, als dass ich sozialisiert war mit der Atomkraft, weil ich in der Nähe eines Atomkraftwerks, in Philippsburg, aufwuchs.

SZ: Hab en Sie als Kind das Kraftwerk besuchen können?

Sattel: Als Kind hat mich das nicht interessiert. Man hatte den Blick auf die Kühltürme, als Orientierungspunkt, weil man die Dampfschwaden je nach Wetterlage verschieden in den Himmel aufsteigen sah. Als wir in Gundremmingen gedreht haben, erzählten uns die Menschen, dass ihre Kinder das Atomkraftwerk immer die Wolkenburg nennen.

SZ: Bei Ihnen sieht Atomkraft - in Cinemascope! - richtig gut aus ...

Sattel: Sie fasziniert mich. Das fängt schon damit an, dass man es bei der Technologie mit etwas Unsichtbarem zu tun hat. Und der Prozess entspricht auch keinem Feuer, keiner Verbrennung, sondern hier verwandelt sich wirklich Masse in Energie - da steht etwas Großes, fast Überirdisches dahinter. Wenn man dann noch sieht, was gebaut wurde, um diesen Prozess zu kontrollieren, und wie sich in diese Technik Spuren eingebrannt haben, die davon zeugen, wie groß die Hoffnungen in die Nutzung der Atomenergie einmal waren ... Als wir im Forschungsreaktor in München das Tscherenkow-Licht sehr deutlich filmen konnten ...

SZ: ...das blaue Leuchten um die Reaktorstäbe...

Sattel: ...wenn man das in echt sieht, bekommt man ein Gefühl dafür, wieso die Atomphysik für viele die Königsklasse aller Wissenschaften darstellt.

SZ: Wie haben Sie die Nachricht von Fukushima erlebt?

Sattel: Das war recht bizarr. Die Premiere von "Unter Kontrolle" war fast vier Wochen her, ich war mit einem anderen Film beschäftigt, etwas ganz anderem. Dann diese schockierende Nachricht. Ich hatte natürlich damit gerechnet, dass früher oder später der nächste Störfall passiert, es gibt ja rund 430 Reaktoren weltweit. Aber dieses Ausmaß überstieg auch meine Vorstellungskraft.

SZ: Würden Sie Ihren Film heute anders drehen?

Sattel: Wahrscheinlich würde man gar keine Drehgenehmigung mehr bekommen. Und auch die Gespräche könnte man nicht mehr so führen, weil sich jeder gezwungen fühlen würde, sich zu Fukushima zu äußern.

SZ: Ihr Film wirkt dagegen fast schon schockierend gelassen.

Sattel: Ich wollte den Zuschauer in eine parallele Welt entführen. Ich wollte nicht die Atomkraft zu ihm bringen, ich wollte, dass er in dieses Paralleluniversum hineingezogen wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: