Dok-Fest München:"Es ging nie drum, zu gefallen"

"Freakscene" spürt der Band "Dinosaur Jr." nach - J Mascis erzählt von Lärm und Leiden

Von Michael Zirnstein, München/Amherst

Warum klingt eine Band, wie sie klingt? Das ist die erste Frage, die ein Musikkenner an eine Rock-Dokumentation stellt. Bei Dinosaur jr. aus dem US-Ostküstenstädtchen Amherst könnte die Antwort so ausfallen, wie sie der Film "Freakscene" mit verwackelten Videoaufnahmen aus dem Jahr 1985 und aktuellen Zeitzeugen-Anekdoten gibt: Joseph "J" Mascis, der Tempo-narrische Drummer einer Hardcore-Gruppe, meldete sich auf ein Mitmusiker-Gesuch aus dem örtlichen Plattenladen bei zwei Schuljungs. Er sollte nun Gitarre spielen. Weil zwar das Schlagzeug für ihn "ein Instrument war", die Gitarre aber "etwas Seltsames", traktierte er bei den Proben in seinem Keller die Saiten heftig, um "dasselbe zu erleben wie beim Schlagzeug". Es war laut. Brutal laut. Zu laut. Er zog Industrieohrschützer auf. "Wir mussten dann eine Spielweise entwickeln, mit der wir uns überhaupt hören konnten", erklären die anderen beiden, der Bassist Lou Barlow und der Drummer Emmett Jefferson Murphy III, genannt Murph.

So formte sich Grunge. Für dessen frühe Anti-alles-Helden im Underground von der Ostküste bis nach Seattle war das Punkrock, der wie Heayy Metal losbrüllte. "Wir hatten alle die selbe Mentalität, aggressiv und laut", sagt Bob Mould von Hüsker Dü in dem Film, der als Stream beim "DOK.fest München" zu sehen ist, das an diesem Sonntag, 23. Mai zu Ende geht. Grunge war anfangs alles andere als Nirvana. Die freuten sich noch 1991, bei Dinosaur jr. das Vorprogramm bestreiten zu dürfen. Sie fragten Mascis auch, ob er bei ihnen trommeln würde. Der blieb bei der verzerrten "Jazzmaster"-E-Gitarre, was ihm ein eigenes Modell der Firma Fender einbrachte und einen Eintrag in die Liste der 100 wichtigsten Gitarristen des Rolling Stone Magazine. Und er blieb als Chef, dessen "musikalischer Vision" die anderen beiden folgten, bis er sie rauswarf, bei Dinosaur jr. Hört man sich in Musikerszenen um, ist Mascis ein Idol, in München etwa orientierte sich "Lightning" Ivi Vucelic bei seinem jüngsten Einsatz für Die Regierung an dessen jaulend-brachialem wie folkig-feinfühligem Spiel. Dennoch kennen die meisten Nirvana, nur Pop-Nerds Dinosaur jr. Als man in den Neunzigern mit Grunge Reibach machte, sollte auch Mascis angeritzte Pop-Hits abliefern. "Das war jämmerlich", erinnert sich dessen Tourmanagerin, die Bayerin Gabriella Traub, in dem Film.

Freak Szene Doku über Dinosaur Jr.

Guru vieler Gitarristen: J Mascis in einem spirituellen Moment.

(Foto: Rapid Eye Movie)

Ja, sie waren wer, sie wurden in aufsässigen College-Radios rauf und runter gespielt (wie sich Henry Rollins im Film erinnert), aber es fühlte sich elend an. "Zu sehen, wie Kurt Cobain sich umgebracht hat, war bitter. Du erkennst: Ich habe einen Jaguar, ein Haus, und bin immer noch depressiv. Vielleicht sogar noch mehr", sagt J Mascis, wenn man ihn dieser Tage auf Zoom daheim in Massachusetts erreicht. Ganz der Brillen-Uhu mit langem schlohweißem Haar wie im Film. Überhaupt räumt die Zeitreise, die sein Schwager Philipp Reichenheim gedreht und collagiert hat, mit einem Klischee auf: "Keine Ahnung, warum alle Leute glauben, Musik machen wäre Spaß", hält Mascis "den Kids" entgegen, die "nur auf Youtube berühmt werden wollen". "Das war bei uns nicht so. Wir hatten keine Pläne. Musik war wichtig, darum haben wir es gemacht." Es ging nie drum, zu gefallen, nicht sich selbst, schon gar nicht anderen. "Ich wollte nie auf der Bühne stehen, um vor Publikum zu spielen, sondern um Menschen zu attackieren."

Es gibt nur einen glücklichen Moment in den Videoschnipseln, die Reichenheim ein Jahrzehnt lang zusammengetragen hat: Das sind die drei Milchgesichter auf ihrer ersten Tour, zusammen mit ihren Förderern Sonic Youth, die in Dinosaur jr. - so die Queen des Noiserock Kim Gordon - "die perfekte Band" sahen. Man fährt im Kombi, man scherzt, macht Sightseeing an den Niagara-Fällen. Eigentlich reist Mascis gar nicht gerne, sagt er. Er reise aber auch nicht gerne nicht. Egal, nach dieser "Fun-Tour" jedenfalls sei es bergab gegangen.

Alles zerbrach in quälendem Zoff. Sie waren nicht beste Freunde mit einer Band, sie waren nur gleichermaßen besessen, sagt Mascis. Es gab immer Streit, weil Männer beim Musikmachen zu wenig kommunizieren, wie Kim Gordon einmal sagt. Mascis fand zwischendurch eine Art Erlösung bei der indischen Umarmungs-Guru-Mamma Amma. Jetzt gehe es ihm okay. Seit 2005 sind Dinosaur jr. wieder zusammen. "Wir denken nicht drüber nach. Wir tun es einfach", sagt er. Der Film zeigt in Konzertausschnitten, wie J in Gitarrengewittern spirituelle Momente hinter seinem Haarvorhang erlebt. Das klingt gewaltig, süchtig machend - so wie man es von einer Band-Doku erhofft.

Freakscene - The Story of Dinosaur jr., bis 23. Mai, Regie: Philipp Reichenheim, dokfest-muenchen.de

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: