DNS-Expertin Birgit Bayer:Auf der Spur der Mörder

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Sie besucht keinen Tatort, vernimmt keine Verdächtigen - und doch hängt viel von der Arbeit Birgit Bayers ab, um ein Verbrechen aufzuklären. Die Leiterin des DNS-Labors in München hat schon viele Straftaten untersucht - wie den brutalen Mordfall von Krailling. Ein "Ausnahmezustand", bei dem sie bis zu 20 Stunden am Tag arbeitete.

Birgit Kruse

Zwölf ist für Birgit Bayer eine magische Zahl. Ein Probenständer hat zwölf Plätze, in die Zentrifuge passen 24 Proben, und ein Test umfasst 36 Röhrchen. Wenn die Anzahl der Proben durch zwölf teilbar ist, weiß sie, dass alles in Ordnung ist. Das ist entscheidend, für sie - und damit auch für die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft. Birgit Bayer leitet das DNS-Labor am Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU).

Birgit Bayer untersucht für Polizei und Staatsanwaltschaft Proben, die an Tatorten sichergestellt werden. Bei aktuellen Fällen oder auch bei Altfällen. Dann kann es auch sein, dass sie an Knochen DNS analysiert. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Sie untersucht Proben, die der polizeiliche Erkennungsdienst an Tatorten sicherstellt: Haare, Hautpartikel, die unter den Fingernägeln eines Opfers gefunden wurden, Sperma von einem Kleidungsstück, Blutspuren an Orten, an denen Menschen getötet wurden. Eben alles, "was irgendwie zu einem Fall gehören kann", sagt Bayer. Oft sind es die buchstäblich kleinsten Hinweise, in dem Fall das menschliche Erbgut, die einen Täter verraten. Bayers Aufgabe ist es, durch genetische Analysen die DNS an einer der Proben zu finden, die die Ermittler zum Täter führt. Zum Beispiel beim Doppelmord von Krailling.

Ein Jahr ist es her, dass die beiden Schwestern Chiara und Sharon brutal ermordet von ihrer Mutter in der Wohnung gefunden worden sind. Am Tatort stellten die Ermittler unzählige Spuren sicher. Für Birgit Bayer bedeutet so ein Fall: "Ausnahmezustand" im Labor. Denn eine Tat mit unbekanntem Täter "ist das Brisanteste, was man haben kann". So war es auch im Fall Krailling. In der ersten Woche hat Bayer "140 Stunden gearbeitet", also täglich fast 20 Stunden. Kein Feierabend, kaum Schlaf, leben im Labor und arbeiten bis an die Grenzen der Belastbarkeit.

96 Proben schafft sie an einem Tag, immer wieder das gleiche Vorgehen mit den Proben in den Röhrchen. Mehr als 100.000-mal hat die 50-Jährige seit dem 1. Mai 1990, ihrem ersten Arbeitstag, Material auf DNS untersucht. Doch langweilende Routine kommt bei ihr nicht auf. "Man macht das für die Opfer", sagt sie, "und für die Angehörigen." Das ist Ansporn und Motivation.

Bayer arbeitet im Hintergrund. Mit Auftritten, wie man sie aus US-Serien kennt, hat ihre Arbeit nichts zu tun. "Da kommt die Gerichtsmedizinerin auf Highheels", spöttelt sie. Birgit Bayer trägt Jeans und eine Stoffjacke unter ihrem weißen Kittel. Ihre Schuhe sind flach. Alles soll bequem sein für eine Arbeit, bei der man nie weiß, wann sie an diesem Tag zu Ende ist. Ein neuer Fall kann jederzeit auf ihrem Tisch landen. Und Birgit Bayer ist weder am Tatort, noch mischt sie sich in Ermittlungen ein. Sie sagt auch nicht als Gutachterin vor Gericht aus - das übernimmt eine Kollegin, die anhand der von ihr erhobenen Daten das Gutachten erstellt.

Von ihrer Arbeit kann abhängen, ob die Ermittler einem Täter auf die Spur kommen. Und die Qualität ihrer Arbeit kann darüber entscheiden, ob ein Täter vor Gericht verurteilt oder freigesprochen wird. Deswegen checkt sie ihre Ergebnisse auch immer gegen. "Man darf sich auf sich selbst nicht verlassen", betont sie immer wieder. Und dann ist da noch ihr Bauchgefühl, auf das sie sich im Zweifel mehr verlässt als auf die farbigen Kurven, die auf dem Computerbildschirm aufscheinen, wenn die Proben ausgewertet sind. Wenn das Bauchgefühl nicht stimmt, untersucht sie Proben lieber noch ein weiteres Mal.

Meist weiß Birgit Bayer nicht, zu welchem Fall die Proben gehören, die sie in ihrem Labor untersucht. Die "Abriebe", wie die Spuren auf den Wattetupfern heißen, kommen in der Regel in braunen DIN-A3-Umschlägen bei ihr im Labor an. Und es sind viele Umschläge, die unter ihrem Schreibtisch in Postkisten lagern: Proben von Einbrüchen, von Sexualverbrechen, von Morden. Auch Altfälle untersucht sie regelmäßig noch einmal. Denn die Technik entwickelt sich rasant weiter, deshalb lassen sich heute Spuren auswerten, deren Konzentration vor ein paar Jahren für eine Analyse noch nicht gereicht hätte.

Nur die Bilder der Kindersärge hat sie gesehen

Die Proben in den Umschlägen sind anonymisiert - Datenschutz. Lediglich der Name der Straße, in der sich das Verbrechen ereignet hat, steht auf den Proben. Doch bei einer Tragödie wie in Krailling hilft auch die Anonymisierung nichts. Zu groß ist die Menge der Proben, die im Labor eintreffen, zu eindeutig der Zusammenhang zu dem Verbrechen, über das in den Medien berichtet wird. In solchen Momenten wird der Druck auf Birgit Bayer enorm. Sie darf keinen Fehler machen. Egal, wie lange sie schon im Labor steht, wie viele Proben sie schon zur Analyse vorbereitet hat. "Die Verwechslung einer Probe wäre der Super-GAU", sagt sie.

Dann wäre das Vertrauen verspielt, das sie sich in den letzten 22 Jahren zu den Ermittlern aufgebaut hat. Als sie damals von Augsburg an die LMU kam, um das Labor am Institut für Rechtsmedizin aufzubauen, waren DNS-Analysen in der polizeilichen Ermittlungsarbeit Neuland für Birgit Bayer, die gelernte medizinisch-technische Assistentin. "Bis dahin hatte ich nie was mit DNS zu tun." Damals arbeitete sie noch mit radioaktiven Substanzen und Röntgenfilmen, wartete bis zu einem Monat auf erste Ergebnisse. Auch für die Polizei waren DNS-Analysen eine neue Ermittlungsmethode.

Einer ihrer ersten Fälle war der von Helene Stickel, der 1990 in ihrer Wohnung der Schädel eingeschlagen wurde. Auch der Mord an Schauspieler Walter Sedlmayr fiel in ihre Anfangszeit. Bayers Arbeit hat seither immer wieder dazu beigetragen, schwierige Fälle zu lösen. Polizei und Staatsanwaltschaft schätzen ihre Arbeit, seit 1999 ziert eine Polizeimütze ihren Schreibtisch. Dass Birgit Bayer damals von den Beamten zur Ehrenkommissarin ernannt worden ist, macht sie noch heute stolz.

Wenn Bayer an einem aktuellen Fall arbeitet, will sie keine Ablenkung. Dann liest sie keine Zeitung, hört weder Radio, noch sieht sie fern. Sie will von den Polizeibeamten meist noch nicht einmal die Fotos vom Tatort sehen. An solchen Tagen fokussiert sie ausschließlich auf das Material in ihrem Labor.

Zeit für sich oder für Freunde hat die alleinstehende Frau in solchen Momenten keine. Dann lebt sie für ihre Arbeit, für ihre Bestimmung, wie sie es nennt. Und sie ist "immer in Bereitschaft". Wie auch an dem Wochenende, an dem sie eigentlich mit ihrer Familie ihren Geburtstag in Berchtesgaden feiern wollte. Am Abend kam ein Anruf, am nächsten Morgen holte ein Auto der Polizei sie ab. Wieder einmal ging es um einen spektakulären Fall. In Augsburg war ein Polizist erschossen worden, die Täter waren noch nicht gefasst - und Birgit Bayer versuchte in ihrem Labor unter den Spuren Hinweise auf die Täter zu finden.

Aber wie schafft sie es, am Ende ihrer Arbeit abzuschalten, sich nicht rund um die Uhr mit den Schicksalen hinter den Fällen zu beschäftigen? Birgit Bayer hält sich an eine strikte Regel: In dem Moment, in dem sie das Institut verlässt, schaltet sie ab. Sie setzt sich in ihr Auto und macht Musik an. Das ist auch eine Art Selbstschutz. Die Frau, die den ganzen Tag Spuren von Verbrechen untersucht, will sich nicht detailliert mit den Schicksalen der Opfer belasten.

Nur einmal ist ihr das passiert, nach dem Seilbahnunglück von Kaprun, bei dem sie bei der Identifizierung der Opfer geholfen hatte. Als sie auf dem Rückweg eine Zeitung aufschlug, blickte sie direkt in die Gesichter der Toten. "Das war ein Schock." Die Gesichter von Chiara und Sharon, den Mädchen aus Krailling, hat sie dagegen nie gesehen, auch nicht in der Zeitung. Nur die Bilder der Kindersärge kennt sie. Das reicht.

© SZ vom 27.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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