Sachbuch:Sendungsbewusstsein

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Plaudertäschchen vom Dienst: Thomas Gottschalks Karriere startete vor dem Radiomikrofon. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Thomas Kraft lässt in seinem Buch noch einmal die Radio-DJs sprechen, die den Sound der Zukunft nach Deutschland brachten.

Von Christian Jooß-Bernau

Er sucht ein Phantom. Er sucht die Stimme, die sie alle begleitet in ihren Autos. Durch ihre Jugend. Und so steht Curt nachts im Radiosender und will mit ihm sprechen - dem Wolfman Jack. So erzählte es George Lukas 1973 in "American Graffiti". Aber da ist kein Wolfman. Nur dieser Typ in einem schreiend bunten Hawaii-Hemd, dessen Finger schon ganz klebrig sind, weil er den ganzen Abend Eis am Stiel isst. "The Wolfman", sagt der dicke Mann mit der Tolle, "is everywhere".

Thomas Kraft hat den langsam verklingenden Stimmen in unseren Köpfen ein Buch gewidmet. "The Last DJs. Wie die Musik ins Radio kam", heißt es und ist eine beeindruckende Sammlung von Interviews und Gesprächsaufzeichnungen mit denen, die der Bundesrepublik den Sound der Zukunft brachten. Heute wird die Zukunft im Getriebe der marktorientierten Optimierung zerrieben, während allüberall die Vergangenheit aus den Löchern kriecht. Und so ist Krafts Buch ein Abgesang geworden auf schönere Zeiten. Als die Sendeverantwortlichen plötzlich merkten, dass es da eine Jugendkultur gab, von der sie keine Ahnung hatten.

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Es war die Zeit, in der der Berliner Jürgen Herrmann zufällig durch ein Engagement als Tänzer im neu eröffneten Big Apple nach München kam, hängen blieb und später über viele Jahre die Hörer des Bayerischen Rundfunks mit Sound versorgte. Als ein junges Mädchen mit 15 zu einer Pflegefamilie in Bonn zog, weil sie daheim ihre Musik nicht hören durfte, um dann als Erfüllung aller Träume auf SWF3 den Pop zu verkünden. Später hat Elke Heidenreich dann eine Zweitkarriere mit anderen Schwerpunkten begonnen.

Die Vorbilder dieser jungen Radiostimmen saßen in Amerika. In der Realität der deutschen Provinz erfand man den eigenen Stil, durfte Fehler machen, improvisieren, sein Publikum finden. "Gemeinsamer Genuss von Musik ist viel schöner als einsamer Genuss", fasst Thomas Meinecke den Kern der kollektiven Radio-Euphorie zusammen.

Irgendwo auf dem Weg zur Durchhörbarkeit hat das Radio seinen Charme verloren

Natürlich ist in dieser epischen Oral History der Radiomacher auch Raum für Zwist, denn Pop ist nicht gleich Pop, und den elitären Kennergestus der bayerischen Zündfunker und den flockigen Geschmack eines Thomas Gottschalk trennen Welten. Letzterer hat für das Buch ein Vorwort spendiert, was ihn nicht davor bewahrt, dass seine wohl überschaubare Musikkenntnis anderen Orts Thema wird. Recht elegant bei Fred Kogel: "Bei Thomas Gottschalk war es nicht die Begeisterung für die Musik, er hatte einfach ein Sendungsbewusstsein als Thomas."

Thomas Kraft lässt seine Interviewpartner plaudern. In allen Verästelungen ihre Biografien erzählen. Hier wünschte man sich Straffung. Um so wunderbare Anekdoten nicht zu versenden, wie die, die Alan Bangs über einen koksenden John Cale erzählt, der im Studio "Heartbreak Hotel" spielt, um danach für Minuten weinend hinter dem Klavier abzutauchen.

Bei Kraft plaudern die DJs von einst, die längst Platz machen mussten für eine neue Generation von Radiomachern. Wäre es nur eine Stimme, man könnte sie abtun als getrieben von gekränkter Eitelkeit. Aber der Befund ist eindeutig und zieht sich durch viele Gespräche. Irgendwo auf dem Weg zur Durchhörbarkeit hat das Radio seinen Charme verloren. Wer daran schuld ist, darüber kann man streiten. "Radio muss kämpfen und ist in einer defensiven Position", sagt Klaus Fiehe. Klar ist: Nach Spotify wird es kein Zurück mehr geben.

Aber gab es das je: In "American Graffiti" ist Curt schon auf dem Weg aus dem Studio, als er sich noch einmal umdreht. Durch den Türspalt sieht er den Mann im Hawaiihemd. Er hat sich dem Mikrofon zugewandt und spricht mit der Stimme des Wolfman. Blechern scheppernd, wie aus lang vergangener Zeit.

Thomas Kraft: The Last DJs. Wie Musik ins Radio kam, Starfruit, 492 Seiten, 32 Euro

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