Distanzunterricht:Nicht in ein Raster pressen

Distanzunterricht: Wenn Ariane Kunstein abends aus der Praxis nach Hause kommt, wartet die Familie. Obwohl sie Platz haben, seien alle mit ihrer Kraft am Ende, sagt sie.

Wenn Ariane Kunstein abends aus der Praxis nach Hause kommt, wartet die Familie. Obwohl sie Platz haben, seien alle mit ihrer Kraft am Ende, sagt sie.

(Foto: oh)

Die Kunsteins haben drei Kinder. Jedes erlebt die Situation anders

Von Martina Scherf

Erst am Abend findet Ariane Kunstein Zeit für ein Telefonat, um Fragen zu ihrem Corona-Alltag zu beantworten. Den ganzen Tag über hat sich die Münchner Frauenärztin die Probleme ihrer Patientinnen angehört. Auch der Alltag in ihrer Gemeinschaftspraxis hat sich verändert. "Sehr viele Mütter, die zu mir kommen, sind extrem belastet", sagt sie. Psychosomatische Beschwerden hätten zugenommen. Viele Frauen wüssten nicht mehr, wie sie Beruf und Homeschooling bewältigen sollten. "Da kann ich dann nicht einfach das Gespräch abschneiden", sagt Kunstein. "Und manche der Geschichten nehme ich mit nach Hause, ob ich will oder nicht."

Zu Hause warten ihr Mann, der als IT-Experte im Home-Office arbeitet, und ihre drei Söhne. Der kleine geht in die zweite Klasse. Seine Lehrerin bemühe sich sehr, obwohl sie selbst zwei Kinder zu Hause habe. "Ihre Mails kommen oft erst nach 23 Uhr", sagt Ariane Kunstein. Doch trotz aller Anstrengung sei der Distanzunterricht nur ein Minimalprogramm. "Machen Sie mal eine Videokonferenz mit Sechs- oder Siebenjährigen, da kommt nicht viel dabei raus."

Kunsteins zwei ältere Söhne sind in der Pubertät. Einer hatte das Glück, schon im ersten Jahr am Gymnasium in eine Tablet-Klasse zu kommen. Jetzt ist er in der sechsten Klasse. Als der erste Lockdown kam, waren Schüler und Lehrer den Umgang mit der Technik gewohnt. "Da sieht man, was möglich wäre, hätte man frühzeitig mit dem digitalen Lernen begonnen. Es läuft 100 Mal besser als bei seinem Bruder", sagt die Ärztin. Und warum haben nicht alle an dieser Schule diese guten Bedingungen? "Es gibt ja noch nicht mal Wlan in allen Klassenzimmern." Die Mathelehrerin habe auf eigene Kosten ein Tablet gekauft, um mit ihren Schülern besser kommunizieren zu können.

Am Wochenende machen Eltern und Kinder gemeinsam Radtouren, um einen Ausgleich zu dem vielen Drinnen-Sein zu schaffen, auch das Trampolin im Garten tut seinen Dienst. Die Familie ist finanziell gut gestellt, sie haben Platz und eine Haushaltshilfe, manchmal springt auch eine Tante oder die Oma ein, und trotzdem sagt die Ärztin: "Man kann die Kinder nicht in ein Schema pressen." Der eine Sohn kommt ganz gut mit der Situation zurecht, der andere bräuchte viel mehr Struktur. "Wir sind mit unserer Kraft ziemlich am Ende." Der Nachweis, dass Schulen Corona-Hotspots seien, fehle immer noch, sagt sie. "Man darf mit negativem Test zum Friseur und zum Shoppen, aber nicht in die Schule. Das ist absurd." Deshalb appelliert sie an die Politik: Öffnet endlich alle Schulen, jetzt, da es Tests und Impfungen gibt. "Kinder haben keine Lobby. Aber man kann doch die Bekämpfung der Pandemie nicht auf dem Rücken der Jüngsten austragen."

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