Diskussionswürdig:Krach in London, Skandal in Paris

Ob 36 Meter oder 300: Gestritten wird über die Höhe von Häusern in vielen Städten

Von Gerhard Matzig

Wer sich zu titanischer Größe aufschwingen möchte, muss die Architekturgalerie besuchen. Noch bis zum 4. März ist dort die sozusagen überragende Ausstellung "SOM - The Engineering of Architecture" zu sehen. Das amerikanische Büro Skidmore, Owings and Merrill (SOM) umfasst nicht nur eines der größten Teams der Welt; die Gestalter sind auch erfahren im Bau von Wolkenkratzern. Vier der zehn höchsten Gebäude auf der Erde wurden von SOM realisiert. Darunter auch der aktuelle Rekordhalter. Es ist der 828 Meter hohe Burj Khalifa. München, erneut zerstritten in der Frage, ob man die Lufthoheit den Alpen überlassen soll, verfügt also über die Schau der Stunde.

Besucher befinden sich mit einem Modell des Burj Khalifa auf Augenhöhe. Ein 1,83 Meter großer Mensch erlebt die Parade der Hochhäuser aus einer gefühlten Höhe von etwa 900 Metern. Dem "Desert Crystal", der in Dschidda, Saudi-Arabien, 1000 Meter hoch werden soll, bietet man folglich Paroli. Weshalb man auch die kleine Umrisszeichnung in einem Eck des Ausstellungsraumes erst übersieht. Doch dann begreift man: Was einem da bis zu den Knöcheln reicht, ist die Münchner Frauenkirche. Gegen die SOM-Giganten wirkt die Kirche, deren Türme von knapp 99 Meter Höhe seit dem Bürgerentscheid im November 2004 nicht mehr übertrumpft werden dürfen, wie eine schüchterne Staubmaus unterm Schrank. Der Münchner Hochhausstreit ist gut in Erinnerung. Oder auch nicht so gut.

Dabei ist die Pro-Hochhaus-Behauptung, wonach eine Stadt ohne Höhen-Ambition nicht existieren könne, genauso närrisch wie das Contra-Hochhaus-Missverständnis, wonach man die Qualität von Stadtraum quantitativ mit dem Meterstab ermessen könne. Der Münchner Hochhausstreit ist ein Beispiel dafür, dass man komplexen Themen mit simplifizierenden Antagonismen nicht gerecht wird. Wobei dies eben eine Erkenntnis ist, die auch andere Städte betrifft. Der Hochhausstreit wird überall in demokratischen Gesellschaften ausgetragen. Kein Wunder, dass in den letzten Jahren die meisten spektakulären Hochhäuser eher in debattenfreien Zonen realisiert wurden: in Russland und China, im arabischen und afrikanischen Raum.

In Deggendorf, jener Perle Niederbayerns, der man nicht zu nahe tritt, wenn man feststellt, dass sich der Titel "Große Kreisstadt" nicht wirklich ablesen lässt am Stadtbild, gab es zuletzt einen insofern vorbildlich demokratischen Streit um den Bau eines 36 Meter hohen Türmchens. Nach einem Bürgerentscheid wird nun gebaut. Die einen erhoffen sich davon einen Schritt in Richtung Zukunft, während die anderen glauben, nun büße die Stadt ihre Vergangenheit und Identität ein.

Beides wird sich als weder ganz falsch noch als ganz richtig erweisen. Türmen wird seit den Geschlechtertürmen des Frühmittelalters sowohl in negativer als auch in positiver Hinsicht viel zu viel zugetraut. Nun könnte man über Deggendorf lachen (typisch Kleinstadt), hätte New York (typisch Großstadt) nicht ein ganz ähnliches, wenngleich maßstäblich anders geartetes Problem. Hier beklagte sich der Eigentümer des Empire State Building über den geplanten Bau eines 67-stöckigen Hochhauses in der Nachbarschaft. Der Neubau sei ein "Anschlag auf das Stadtbild". Das warf man allerdings auch dem Bau des Empire State Building, mit 381 Metern bis 1972 das höchste Gebäude der Welt, vor. Beim Eiffelturm in Paris war es nicht anders.

Paris hat auch eine jüngere Hochhausdebatte. Der "Tour Triangle", 144 Meter niedriger als der Turm Eiffels, gilt als Skandal. In London wurde gegen den Bau des "Shard London Bridge" gewettert - 310 Meter hoch und derzeit das höchste Gebäude der EU. Von der Spitze des Shard müsste man allerdings immer noch nach oben gucken, um das 24 000 Euro teure Penthouse (pro Übernachtung) eines geplanten Hotelturmes in Vals, Schweiz, in den Blick zu nehmen. Vals hat 1000 Einwohner, einige Berge und, jawohl, einen veritablen Hochhausstreit.

Die Debatte um die Höhe gilt mal absurden Projekten, mal interessanteren Vorhaben. Hochhäuser stehen sowohl für die Ökonomie des Raumes als auch (bis zu einer gewissen Höhe) für die Ökologie der Verdichtung. Gleichzeitig sind sie Gesten der Macht, bisweilen also lächerlich. Der österreichische Architekt Hans Hollein hat mal ein Hochhaus in Form eines Phallus gezeichnet. Eines werden Hochhäuser aber abseits solcher parodistischer Potenz immer sein in unseren Städten: diskussionswürdig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: