Diskriminierung von Transsexuellen:Ich und ich

Viele Transsexuelle leiden unter Mobbing in Beruf und im Alltag. Die Selbsthilfegruppe Viva berät Betroffene und leistet Aufklärungsarbeit in Schulen oder am Arbeitsplatz.

Diana Aust

Stefanie verlor ihren Job, weil sie ein mutiger Mann war. 17 Jahre lang hatte sie als Sozialpädagogin in einem bayerischen Altenheim gearbeitet. Alle waren mit ihr zufrieden gewesen, als sie noch Christian hieß (Namen von der Redaktion geändert). Nach Stefanies Coming-out bewunderten die Kollegen sie zunächst: "Toll, wie du das durchziehst." Dann kamen die Anrufe. Von den Chefs. Immer wieder.

Stefanie

Der Weg von Christian zu Stefanie hat viel Mut gekostet - und den Job.

(Foto: Foto: Catherina Hess)

O-Ton: "Wenn du nicht krank zu Hause bleibst, finden wir schon was, um dich rauszuschmeißen." Im März 2006 ging Stefanie mit 63 Jahren in Frührente. "Ich habe mich schriftlich von meinen Kolleginnen und Kollegen verabschiedet", sagt sie. Persönlich konnte sie das nicht mehr tun, da sie seit November 2005 auf Wunsch der Chefetage krankgeschrieben war. "Nur drei von 22 Mitarbeitern haben auf meinen Abschiedsbrief geantwortet."

Diskriminierung steht im Arbeitsalltag von Transsexuellen auf der Tagesordnung. Wie viele es in Deutschland gibt, weiß niemand. Noch weniger, wie viele diskriminiert werden. Es gibt keine Statistiken. Das liegt für Kim Schicklang von der Gemeinschaft "Menschenrecht und Transsexualität" vor allem daran, "dass niemand Interesse an dieser Gruppe hat, niemand dafür Geld ausgeben will".

Andrea Ottmer, Vorsitzende des Braunschweiger Dachverbands "Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V." (Dgti), formuliert es so: "Manche behaupten, es gebe zwischen 5000 und 6000 Transsexuelle in Deutschland. Da muss ich immer lachen, so viele kenne ich ja schon fast selbst." Ihr Verband geht davon aus, dass von 1000 Menschen einer transsexuell ist - das wären bundesweit 80000. Anders als Stefanie haben viele Transsexuelle nicht den Mut, sich am Arbeitsplatz zu outen.

"Die meisten geben ihre Jobs im Vorhinein auf", sagt Ottmer. Sie nennt das "vorauseilenden Gehorsam". Zu groß sei die Angst vor Mobbing, Versetzung, Kündigung. Dass die Angst begründet ist, kann Andreas Unterforsthuber bestätigen. Er ist Leiter der Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen der Stadt München. Aktuell betreut er zwei Fälle. Kürzlich kam eine Transfrau zu ihm, also ein biologischer Mann, der sich als Frau fühlt. Sie ist bei der Stadt München angestellt. Als Arbeiter. Als Mann unter Männern.

"Sie will das Coming-out", sagt Unterforsthuber. "Gleichzeitig ist aber völlig klar: Das geht nicht, sonst kann sie ihren Job vergessen." Eine andere Transfrau hat das Coming-out an ihrem Arbeitsplatz im Münchner Gesundheitswesen gewagt. Seitdem hinterlassen Kollegen Zettel mit sexuellen Zeichnungen und obszönen Sprüchen auf ihrem Schreibtisch. Dabei ist die Rechtslage eindeutig: Schon das Grundgesetz garantiert die "freie Entfaltung der Persönlichkeit". Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 1996 erlässt ein eindeutiges "Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts".

"Noch ein langer Weg"

Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet 1996 den Staat, "die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren". Überdies ist seit Juli 2006 in Deutschland das Antidiskriminierungsgesetz (AGG) in Kraft. Es verbietet, Menschen wegen ihrer sexuellen Identität zu benachteiligen. Natürlich kennen auch die Arbeitgeber das Gesetz. Kein Transsexueller wurde je offiziell wegen seiner Transsexualität entlassen. Zudem muss der Arbeitnehmer eine Diskriminierung nachweisen.

Stefanie

Aus Angst vor Mobbing geben viele Transsexuelle bereits vor dem Coming-out ihren Beruf auf.

(Foto: Foto: Catherina Hess)

"Man kann dem Gesetzgeber keinen Vorwurf machen", meint Dgti-Vorsitzende Ottmer, "aber er sollte für ein flächendeckendes Beratungs- und Aufklärungsnetz sorgen. Die Stellen, die es gibt, kann man an einer Hand abzählen." Wie wichtig Aufklärung ist, um ein gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen, betont auch Menschenrechtlerin Schicklang: "Das Hauptproblem ist, dass Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung verbreiten, Transsexuelle seien psychisch gestört. Wenn das die Menschen nicht mehr glauben würden, hätten wir weniger Probleme."

Dafür, dass sich etwas ändert, sorgt in München der Verein Viva. Die Selbsthilfegruppe für Transsexuelle berät Betroffene und leistet Aufklärungsarbeit in Schulen oder am Arbeitsplatz. Mitte Dezember 2009 feierte Viva sein 20-jähriges Bestehen unter Schirmherrschaft von OB Christian Ude. Als schwul-lesbische Vertreter beglückwünschten die Stadträte Thomas Niederbühl (Rosa Liste) und Lydia Dietrich (Die Grünen) den Verein zu seiner erfolgreichen Arbeit. Trotz der ausgelassenen Stimmung fand Dietrich mahnende Worte: "Wenn es um das Thema Gleichstellung geht, haben wir noch einen langen Weg vor uns."

Ein transsexueller Hauptkommissar in Zwangsrente; eine transsexuelle Technikerin im Außendienst einer großen bayerischen Firma, die nur noch im Innendienst arbeiten darf; zig transsexuelle Arbeitslose trotz höchster Qualifikation - Geschichten, die auch beim Jubiläum von Viva kursieren. Nur Miriam* ist eine Ausnahme. "Ich habe einen Paradeweg hingelegt", sagt sie. Sie ist Elektroinstallateurin. Im März 2008 outet sie sich als Frau vor ihrem Chef. Seine Reaktion: "Wenn das dein Weg ist, musst du ihn gehen." Miriam ist den Weg bis zum Ende gegangen.

Vor wenigen Tagen wurde ihr männliches Geschlechtsteil wegoperiert. Zu Hause hatte sie ein Maßband aufgehängt und Tag für Tag einen Zentimeter abgeschnitten. Eine schöne Geschichte, doch leider ist die Realität oft hässlicher. Geschichten wie die von Stefanie sind der Regelfall. Dass sie danach jahrelang unter Depressionen litt, gar an Selbstmord dachte, kann man an ihrem rundlichen Gesicht heute nicht mehr ablesen.

"Wenn ich die Geschlechtsumwandlung nicht gemacht hätte, würde ich heute nicht mehr leben", sagt sie nüchtern. Stefanie hat es geschafft, sie ist nicht an der Situation zerbrochen. Weder an der persönlichen noch an der beruflichen. Heute genießt sie ihre Rente und erzählt anderen ihre Geschichte. "Ich bin eine der wenigen, die sich outen kann, ohne Angst zu haben, den Job zu verlieren." Denn den hat sie bereits verloren.

"20 Jahre Viva", zweiter Abend zum Jubiläum der Münchner Selbsthilfegruppe am Freitag, 15. Januar, ab 18 Uhr, Café Regenbogen, Lindwurmstraße 71, Info auch unter: www.vivats.de

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