Münchens dienstältester DJ:"Weil ich mich freue, wenn meine Gäste tanzen"

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Chuck und Chuck: Chuck Berry ist Namensgeber und großes Idol von DJ Chuck Herrmann. Einmal spielten beide im "Schlachthof" in München, das Plakat davon hängt in seinem Keller. (Foto: Robert Haas)

Chuck Herrmann ist 82 Jahre alt, und noch immer legt er als Discjockey Rock 'n' Roll oder Salsa auf. Am Sonntag feiert sein Club-Abend "Fifties Record Hop" Jubiläum.

Von Michael Bremmer

Schon nach zehn Minuten zeigt sich, welch großer Entertainer Chuck Herrmann ist, welch charismatischer Sänger. Chuck Herrmann, geboren 1940, sitzt an der Theke im Wirtshaus in der Au, hinter ihm drückt sich im voll besetzten Lokal eine Bedienung mit einem Tablett randvoll mit Kartoffelknödel vorbei. Chuck Herrmann, der eigentlich Wolfgang heißt, breitet die Arme aus und singt den Rockabilly-Hit "Be-Bop-A-Lula" von Gene Vincent. Warum? Weil er gerade dabei ist zu erzählen, warum er vor Jahrzehnten seinen Beruf als Steuersachbearbeiter im Holzkirchner Rathaus hingeschmissen, einen Rockclub gegründet, Sänger einer Country-Band und später Rock 'n' Roll-Discjockey geworden ist.

Vor 50 Jahren, am 3. Dezember 1972, hat er seinen Musikabend "Fifties Record Hop" im damaligen Pop-Club gestartet, eine der ersten Diskotheken in München. Der Pop-Club war im ersten Stock über der "Crazy Alm", heute das Wirtshaus in der Au. Am Sonntag, 11. Dezember, wird nun die Jubiläumsparty im Vintage-Club in der Sonnenstraße gefeiert. 50 Jahre Rock 'n' Roll, Boogie und Swing. Immer mit "Bo-Do-Rock" von Earl Bostic und Bill Doggett als erstem Song, immer mit "Goin' Home" von Mickey & Sylvia als Rausschmeißer.

Sein Kopf ist voll mit Erinnerungen und Anekdoten

Gespräche mit Chuck Herrmann - schwarzumrandete Brille, blauer Rollkragenpulli, Jeanshose - sind immer eine Zeitreise. Der wohl dienstälteste DJ Münchens hat drei Fotoalben mit Aufnahmen aus seiner DJ-Laufbahn zum Gespräch mitgebracht, alte Zeitungsausschnitte zum Schutz in Klarsichtfolie gepackt - aber die Texte brauchte es gar nicht, der Kopf ist voll mit Erinnerungen und Anekdoten.

Sein Leben und Wirken nur halbwegs wiederzugeben, erscheint anhand der vielen Erlebnisse aussichtslos zu sein, starten wir chronologisch. 1957 gründete Chuck Herrmann in seiner Heimatstadt Holzkirchen den ersten Rockclub. Er machte damals eine Ausbildung im dortigen Rathaus, wobei dem Bürgermeister Herrmanns Freizeitaktivitäten überhaupt nicht gefielen. "Beamter und Rock 'n' Roll, das geht nicht zusammen", soll der Rathauschef gesagt haben. Aber der Club war nur der Anfang. Chuck Herrmann hörte wie sehr viele junge Menschen zu dieser Zeit den Radiosender AFN für in Deutschland stationierte US-Soldaten, kaufte sich nach seiner ersten Platte "Blue Suede Shoes" von Elvis Presley regelmäßig weitere Vinylscheiben jener Musik, die so anders war als das Gedudel, das die Generation seiner Eltern hörte. Er und seine Freunde nannten sich "Halbstarke", nach dem Kinofilm mit Horst Buchholz. Sie fuhren abends nach München, meist in die Goethestraße, wo es damals innerhalb von 200 Metern fünf Bars gab, in denen Jukeboxen standen und regelmäßig Rock 'n' Roll-Bands spielten. Die Band des 2017 verstorbenen Paul Würges etwa, der "wichtigste Rock 'n' Roller in München", sagt Chuck Herrmann. Und dessen Bassisten sang er "Be-Bop-A-Lula" vor, der Start seiner Karriere als Musiker.

"Apollo Discotheque" nannte Chuck Herrmann seine mobile Disco, mit der er überall dort auflegte, wo US-Soldaten stationiert waren. (Foto: Robert Haas (Repro))

In ganz Bayern war er mit seinen Bands unterwegs, zunächst mit Swinging Cowboy von Nipso Brantner, dann mit seiner eigenen Band Chuck Herrmann and Honky Tonk. Sie spielten in Kasernen, überall dort, wo US-Soldaten stationiert waren. Bezahlt wurden sie mit US-Dollar, damals lag der Kurs bei 4,20 Mark. 23 Jahre alt war Chuck Herrmann damals. Er ging ins Rathaus und kündigte. "Seitdem lebe ich ausschließlich von Musik." Tagsüber jobbte er in einer Musikagentur und vermittelte Bands an Veranstalter, abends stand er selbst auf der Bühne. In der McGraw-Kaserne im Münchner Süden lernte er Bill Haley kennen, er stellte ihm seine Musikanlage für den Auftritt zur Verfügung. Einmal spielte er im Vorprogramm von Chuck Berry im Schlachthof, sein Idol und Namensgeber, dem er an diesem Abend mit einem Gitarren-Plektrum aushalf. Das Plakat vom gemeinsamen Auftritt hängt noch heute im Keller seines Hauses in Holzkirchen. Dort, wo auch seine Plattensammlung steht, 50 000 Schallplatten. Denn seine Arbeit als Discjockey geriet irgendwann immer mehr in den Vordergrund.

An die 50 000 Schallplatten besitzt Chuck Herrmann, fein säuberlich sortiert stehen sie bei ihm in Holzkirchen im Keller. (Foto: Robert Haas)

Ende der Sechzigerjahre reiste Chuck Herrmann erstmals mit einer mobilen Disco durch Bayern - also mit zwei Plattenspielern, Mischpult, Soundanlage, überall schnell aufzubauen. In den Siebzigerjahren, als die Lust auf Rock 'n' Roll-Tanzen den Hype um die Beat-Musik ablöste, legte er in Münchner Clubs auf. Als Erstes im "Sahara Dancing", dem späteren Pop-Club. Chuck Herrmann erinnert sich: "Es war immer brechend voll. Und die Stimmung war jeden Abend angeheizt." Das lag nicht nur an der Musik. Die Gäste waren in vier Gruppen aufgeteilt. An einer Seite standen die Münchner Vorstadt-Stenze, Handwerker, die sich am Abend austoben und vor allem Boogie tanzen wollten. An einer anderen waren die "Teddy Boys" mit ihren Elvis-Tollen, die immer wieder "weißen" Rock 'n' Roll beim DJ einforderten - und später auch mal Chuck Herrmanns Auto beschmierten, weil er ihrer Meinung nach zu oft traditionellen Rock 'n' Roll aufgelegt hatte. Dann waren da noch fein herausgeputzte Sinti und auf einmal auch die Münchner Filmszene mit Werner Fassbinder, Wim Wenders, Hark Bohm und anderen, die magisch angezogen wurden von diesem Gesellschaftsmix. Immer wieder kam es zu Schlägereien, zum Teil auch mit größeren Verletzungen.

50 Minuten braucht Chuck Herrmann für diese Zeitreise. Er trommelt kurz mit seinen Händen auf der Theke, weil er auch mal Congas in einer Bigband gespielt hatte. Er war oft in den USA gewesen, um dort Platten zu kaufen, Latin, Salsa, aber auch Rap, etwa von Grandmaster Flash, mit dem er dann jeden Mittwoch die Soldaten in der McGraw-Kaserne begeisterte. Und auch wenn die Besucher seiner Partys mit den Jahren immer älter geworden sind, Chuck Herrmann reißt sie mit seiner Musik mit. Immer noch. "Weil ich mich freue, wenn meine Gäste tanzen", sagt er.

Chuck Herrmann ist 82 Jahre alt. Wie lange er noch auflegen wird? Der Discjockey zuckt mit den Schultern. "Keine Ahnung", sagt er dann und überlegt noch einen Moment. "Mein Vater wurde 100."

50 Jahre "Fifties Record Hop", Sonntag, 11. Dezember, 19.30 Uhr, Vintage-Club, Sonnenstraße 12, Rgb. 3. Stock, mit den DJs Chuck Herrmann, Axel Lintner, Gaggi Ostertag, Marcus Koch, Oliver Härle, Ralf Heuer, Richard Pleithner, Siegi Spiel, Willy Meiler und Rainer Zellner, Eintritt frei

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