Dirndl-Check:Zwischen Wiesnwahnsinn und Trachtenterror

Warum Sisi der Totenkopf-Nachfolger ist, die Oide Wiesn auf afrikanische Tracht setzt und Pornodirndl selbst im Tal verpönt sind: Der Trachteneifer kennt diesmal keine Grenzen - selbst für Hunde gibt es inzwischen das passende Kleid. Was Trend ist und wo man ein Dirndl findet, das garantiert niemand anders trägt. Unsere Autorin hat sich auf die Suche gemacht.

Anna Fischhaber

Aus den Lautsprechern dröhnen Wiesn-Evergreens, junge Mädchen drängeln sich neben älteren Damen, Münchnerinnen neben Touristinnen, Trachtenspezialistinnen neben Dirndlneulingen. Der Schnitt, so heißt es auch hier, beim Angermaier in der Landsberger Straße, steht jeder Frau, ob dick oder dünn. Manche müssen sich dennoch erst einmal daran gewöhnen. "Oh Gott, das sieht schrecklich aus", ruft eine Kundin und starrt auf ihr Spiegelbild.

In München hat der Wiesnwahnsinn begonnen - oder auch der Trachtenterror, wie manche sagen. Bei Angermaier ist das Angebot vor allem grell lila und kurz. Selbst die Damenlederhosen sind in diesem Jahr lila, rosa, blau. "Beerenfarben sind im Trend", erklärt die gestresste Verkäuferin. Viele Dirndl sind mit Motiven geschmückt, mit Fußbällen, mit Jagdszenen, mit Sisi. Nur von dem Totenkopf-Dirndl, das die Rennfahrerfrau Cora Schumacher einst berühmt gemacht hat, hat sich Angermaier verabschiedet. Dafür gibt es jetzt Totenkopf-Möpse - ein Laden in Schwabing bietet das Muster inzwischen als Dirndl für die Hundedame an.

"Kitsch ist out, die Dirndlmode wird wieder klassischer", sagt dagegen die Verkäuferin bei Angermaier. Die Dirndl hier heißen jetzt König Ludwig oder Ammersee. Sisi ist so etwas wie das Aushängeschild der diesjährigen Angermaier-Kollektion. Dass das Konterfei der Märchenkaiserin auf dem pinken Blumendirndl an Kitsch kaum zu überbieten ist, scheint niemanden zu stören.

Afrikanische Schürzen auf der Oidn Wiesn

An farbenfrohe Gemälde erinnern auch die Baumwolldirndl in dem Geschäft Noh Nee. Viele Kleider in dem Atelier in einem Schwabinger Hinterhof sind mit Muscheln geschmückt, hier werden Dirndl à l'Africaine verkauft, also bayerischer Schnitt, afrikanisches Muster. "Wir wollen nicht die Tradition verunstalten, sondern zeigen, dass Afrika und Bayern wunderbar zusammenpassen", sagt Rahmée Wetterich, die gemeinsam mit ihrer Schwester Marie Darouiche den Laden betreibt.

Mit diesem Motto haben sie sogar die Festwirtin der Oidn Wiesn überzeugt: Noh Nee stattet in diesem Jahr die Bedienungen dort mit afrikanischen Dirndlschürzen aus - exotische blaue Vögel zieren den roten Stoff. Ein Erfolg für die beiden Frauen aus Kamerun, immerhin ist es ihre erste Wiesn.

Die Idee entstand beim Straßenfest einer Münchner Fraueninitiative, inzwischen sind die exotischen Einzelstücke so begehrt, dass die meisten Dirndl bei Noh Nee bereits ein Schild mit "Verkauft" ziert - und das, obwohl ein Kleid um die 700 Euro kostet. Für den Fototermin muss noch schnell eine Bluse genäht werden, das Lager ist leer. Politikergattinnen, die ihre Weltläufigkeit demonstrieren wollen, kaufen genauso hier ein wie Bäuerinnen, die das bunte Muster mögen. "Das Oktoberfest kommt mir immer ein wenig wie ein Kostümball vor", sagt Wetterich. "Wieso nicht Kleider machen, die man das ganze Jahr tragen kann, die nicht nach 18. Jahrhundert aussehen, sondern zeigen, dass wir Frauen uns verändert haben, dass wir mutiger geworden sind."

"Je schlichter, desto schöner"

Gedeckte Farben, schlichte Handstickereien, ein grober Leinenrock - dezenter könnte das diesjährige Wiesndirndl von Lodenfrey kaum sein. Fast ein wenig langweilig wirkt das Kleid. "Je schlichter, desto schöner", verteidigt die Designerin ihre Kreation, die es unter anderem in Army, Grau und Blau zu kaufen gibt. Das Dirndl mit Gold, Glitter und Federn, das vergangenes Jahr noch zu den Topsellern zählte, gilt nun als Ladenhüter. Der mutige Auftritt scheint bei Lodenfrey out zu sein. Nur das helle Seidenkleid mit der reduzierten Glitzerschürze, das an einen Prinzessinnentraum erinnert, verkauft sich noch.

"Glitzer geht gar nicht mehr, wenn man nicht mit der Masse mitschwimmen will", sagt Daniel Fendler. Elly, Traudel, Annabel heißen die Modelle bei dem Münchner Designer in der Maximilianstraße, die um die 2000 Euro kosten - schließlich stecken hier in einer einzelnen Rüsche bis zu acht Stunden Handarbeit. Rot wird mit grün kombiniert, blau mit weiß, das bayerische Waschdirndl aus Leinen mit Seide aufgepeppt, dazu gibt es eine gestärkte weiße Baumwollbluse.

"Unsere Mädels sind direkt und ehrlich"

Tradition ist Fendler wichtig, zu ihm kommen Stammkundinnen, die bereit sind, Geld auszugeben. Der Hochadel aus dem In- und Ausland lässt sich hier ausstatten, vor allem seit Münchens bekannteste Dirndldesignerin Lola Paltinger zu erfolgreich geworden ist - und überall kopiert wurde. "Die nachgemachten Glitzer-Dirndl haben die Wiesn überflutet", sagt Fendler. "Da kauft man sich Dirndl für 2000 Euro - und dann haben hundert andere Frauen bei Käfer das gleiche an."

Diese Sorge quält im Tal kaum jemand. Hier reiht sich Billig-Dirndl-Laden an Billig-Dirndl-Laden, Tabus gibt es auch beim Trachtengeschäft Steindl kaum - wo doch selbst der Trachtenausstatter Angermeier inzwischen auf "praktische Reißverschlüsse" setzt, weil die Kundinnen es so wollen. Auch mit dem Preis gehen die Läden immer weiter runter, Konkurrenz gibt es genug - selbst Lebensmitteldiscounter haben inzwischen Tracht im Programm.

Modell Gina Daniela kostet deshalb nur 19,90, große rote Blumen zieren das äußerst knappe Kleid - dennoch hat man auch bei Steindl so etwas wie eine Ehre. "Pornodirndl kommen mir hier nicht her, so was tragen nur die Aussis", sagt der Verkäufer mit dem gezwirbelten Schnurrbart. Ansonsten ist fast alles erlaubt: Plastikschmuck, rote Tüllunterröcke, made in China. "Unsere Mädels sind direkt und ehrlich - und wollen auch so aussehen", erklärt der Verkäufer. "Schließlich verkaufen wir Partydirndl."

Auch die Umkleide gleicht einer großen Party. Ein Mädchen in einem viel zu engen Kleid dreht sich vor dem Spiegel. "Ich passe in Größe 34, das kaufe ich", ruft sie immer wieder. "Ist mir egal, wie es aussieht." Und der Trend in diesem Jahr? Der Verkäufer überlegt. "Das Dirndl kann man nicht mehr neu erfinden, das gibt es schon zu lange", sagt er dann. "Der Trend? Den Trend machen wir." Stolz zeigt er auf das bunte Chaos im Laden. "Nur das scheußliche Lila ist einfach nicht totzukriegen."

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