Kritik:Die Braut, die sich traut

In seinem ersten Soloprogramm redet, singt, tanzt und trinkt Dirk Stermann fulminant. Im Lustspielhaus wird es phasenweise sehr still.

Von Thomas Becker

Kalsarikännit. Es gibt Momente an diesem Abend mit Dirk Stermann, da scheint das Wort die innere Verfasstheit - er selbst spricht gern von psychischer Devastiertheit - des Künstlers recht treffend zu beschreiben. Der Begriff bedeutet in Finnland "sich allein zuhause in Unterhosen betrinken". Klar verleibt sich ein Humorarbeiter wie Stermann eine solche Perle so zügig ein wie ein Industriestaubsauger. Aber wenn man ihm bei seinem ersten Soloprogramm zwei Stunden lang beim Weißwein trinken und über das verkorkste Leben philosophieren zuschaut und -hört, erscheint es beinahe logisch, dass er der Kulturtechnik Kalsarkännit durchaus etwas abgewinnen kann.

Seit 33 Jahren ist der Name Stermann nahezu untrennbar mit dem von Christoph Grissemann verbunden. Mit ihm steht der gebürtige Duisburger auf der Bühne oder vor der Kamera, wenn im ORF die herrliche Anarcho-Show "Willkommen Österreich" läuft. Seit Oktober ist der immer elmargunschiger werdende Mittfünfziger nun Solist: Grissemann wollte kein neues Programm machen, Stermann sich mal allein ausprobieren - so entstand "Zusammenbraut", ein Stück, inspiriert von einem Foto, das Stermann im Brautkleid als Frau des ehemaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer zeigt. Und so hält er nun die Brautrede auf der Hochzeit seiner Tochter, zu der er nicht eingeladen ist, weil er nie für die da war. Steht also allein an der gedeckten Tafel, redet, singt, tanzt und trinkt: "Im Gegensatz zum Kollegen Hader trinke ich wirklich Alkohol auf der Bühne."

Es sind teilweise gewaltige Abgründe, in die er blicken lässt. Wenn er aus dem Tagebuch des verstorbenen Vaters liest, wird es sehr still im Lustspielhaus. Den autobiografischen Anteil des Abends kennt nur er selbst, aber die komplette Familiengeschichte wird er sich nicht zusammenimaginiert haben. Zu Beginn hatte er schon gewarnt: Es werde keine lustige Brautrede, sondern eine persönliche. Herausgekommen ist jedenfalls ein verdammt starkes Stück.

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