Süddeutsche Zeitung

Digital/Analog-Festival:Klang zum Anschauen

Das Festival für visuelle Kunst und Musik lebt von der Raumvielfalt des Gasteigs - solange es geht

Von Anna Weiss

Ein langhaariger Musiker steht auf einer Bühne und singt, begleitet von seiner Band, melancholisch über die Liebe. Das Ungewöhnliche: er ist zweimal da. Während er singt, sind im Hintergrund Visuals projiziert, in dem der Sänger Florian Paul mit einer Zigarette in der Hand mit Mustern zu verschwimmen scheint. Ein Videokünstler hat diese Bilder eigens für das Konzert im Gasteig erstellt, für das "Digital/Analog-Festival".

Besucherströme fließen durch die Räumlichkeiten, einzelne Gäste probieren die aufgestellten Synthesizer aus, andere stehen an einem Stand an, um eine Virtual-Reality-Brille anzuziehen. Und überall: Musik. Das Festival für audiovisuelle Kunst, das 2002 zum ersten Mal stattfand, deckt ein breites Spektrum musikalischer Genres ab und bespielt den ganzen Gasteig mit Bands, Musikern und DJs. Dazu wird visuelle Kunst in Form von Videos oder Projektionen gezeigt, die Video-Jockeys, VJs genannt, jeweils für einen Künstler entwickelt haben. Das Konzept sorgt für sich ständig drehende Köpfe und Begeisterung. Auch die teilnehmenden Künstler sind angetan von der Idee. Florian Paul, Sänger der Gruppe Florian Paul und die Kapelle der letzten Hoffnung, ist zum ersten Mal dabei. "Ist auch verrückt, dass man hier seinen Videokünstler quasi zugelost bekommt. Wir haben uns kurz abgesprochen und er hat aus unserem Material die Visuals entwickelt", sagt Paul.

Dieses Festival zieht seinen Reiz aber nicht nur aus der Verbindung von Musik und Visuals: Das Festival lebe von den zahlreichen, zum Teil parallel stattfindenden Konzerten in verschieden großen Räumen, sagt Claudia Holmeier, Mitgründerin des "Digital/Analog". Deswegen ist der anstehende Umzug des Gasteigs in ein Interimsquartier auch ein Problem für die Veranstalter: "Dort würden uns nur zwei Räume zur Verfügung stehen, ein großer und ein kleiner Saal. Das ist für uns nicht opportun", so Holmeier. Die Festivalleitung stehe im engen Kontakt mit dem Kulturreferat, man möchte so lange wie möglich im Gasteig bleiben, bevor eine geeignete Ausweichmöglichkeit bespielt wird. "Wir werden natürlich nicht aufhören, sondern woanders weitermachen und uns wahrscheinlich wieder neu erfinden", sagt Holmeier. Ihr Mann Stefan Holmeier sieht das ähnlich: "Wir können auch wieder kleiner werden, wenn die Location das hergibt. Das sehe ich keinesfalls negativ". Veränderungen gehören ohnehin seit jeher zum Konzept des Festivals, das in dem Club "Tube" im "Einstein" startete, bevor es in den Gasteig zog. Dieser wird ab 2021 in dem Stadtwerke-Areal in Sendling sein Interimsquartier beziehen, damit das Gebäude am Rosenheimerplatz generalsaniert werden kann. Die Organisatoren des "Digital/Analog-Festivals" hatten sich zwar auch eine Sanierung und Modernisierung des Hauses gewünscht, jedoch keinen Komplettumbau mit Fassadenerneuerung. Claudia Holmeier versucht, den anstehenden Umzug positiv zu sehen: "Vielleicht muss man auch zu seinem Glück gezwungen werden. Natürlich war die Arbeit hier immer sehr angenehm, weil wir wussten, was wir haben und wie es abläuft".

Für das zweitägige Festival haben sich dieses Jahr 430 Künstler beworben, die Veranstalter haben daraus das Programm kuratiert, das eine wilde, aber stimmige Melange aus verschiedenen Stilen von Ska bis Elektropop ist und sowohl internationalen Künstlern wie dem finnischen Multiinstrumentalisten Jimi Tenor als auch lokalen Newcomern wie der Sängerin Loriia eine Bühne gibt. Das sorgt bei einigen Gästen für wohliges Konzert-Hopping, bei anderen für eine leichte Reizüberflutung. Das alles gibt es dafür kostenlos. Den Organisatoren ist das wichtig: "Viele Leute können oder möchten sich keine teureren Konzertkarten leisten. Kultur muss, vor allem in dieser Vielfalt, wie wir sie bieten, kostenlos bleiben".

Die Stimmung ist familiär, viele der freiwilligen Mitarbeiter sind mit den Töchtern der Holmeiers befreundet, die auch hier arbeiten. Und zwar am gemeinsamen Ziel: ein interessantes, überraschendes Festival an einem besonderen Ort zu veranstalten. "Doch, es gibt durchaus ein paar andere Locations, die für uns infrage kämen. Aber die nenne ich jetzt nicht, da bin ich abergläubisch", sagt Holmeier.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2019
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