Süddeutsche Zeitung

Dietls München:Mit Glanz und Gloria in die Katastrophe

Helmut Dietls zweite große TV-Serie kreist um die Frage, warum ein Mann und eine Frau nicht zusammenpassen, obwohl sie sich lieben. Die Stadt spielt darin eine weit geringere Rolle als in den "Münchner Geschichten". Das Liebesleben des Regisseurs dafür eine umso größere.

Von Karl Forster

Der Satz "Schwer ist leicht was" stammt nicht von Helmut Dietl, sondern als Weisheit und Buchtitel von dem schauspielernden Kabarettisten Ottfried Fischer. Der hat zwar nie mit Dietl gearbeitet, aber er hätte ihm diesen Spruch wohl gerne geliehen als Lebens- und Arbeitsmotto. Denn diese Dietl-typische Leichtigkeit zumindest der ersten drei großen TV-Serien war Ergebnis einer geradezu diktatorisch harten, sich und andere ausbeutenden Arbeit. Als sich Towje Kleiner an die Drehtage zu "Der ganz normale Wahnsinn" anlässlich der DVD-Veröffentlichung 30 Jahre später erinnerte, gestand er, man habe schon nach dem ersten Drehtag nicht mehr miteinander geredet. Zumindest nicht viel mehr als unbedingt nötig.

Dieser "ganz normale Wahnsinn" war eigentlich schon als Plot schierer Wahnsinn. Zwölf Folgen und nur ein Thema: Warum passen der frisch geschiedene Journalist Maximilian Glanz und die ebenfalls geschiedene Gloria Schimpf nicht zusammen, obwohl sie sich lieben? Dietl fasste diese breit ausgelebte Komplikation in der Drehbuchfrage zusammen: "Woran liegt es, dass der Einzelne sich nicht wohlfühlt, obwohl es uns allen so gut geht?" Eine Frage, die letztlich auch in diesem gewaltigen Œvre nicht beantwortet wird, auch wenn Dietl in der letzten Folge die Geschichte vom Jahr 1979 in die damals ferne Zukunft beamt: Man schreibt dann also 2014, Maximilian und Gloria blicken - kaum zu glauben - auf 30 glückliche Ehejahre zurück.

Radikale Metamorphose als Ausweg

Doch Maximilian ist nicht mehr ganz der Maximilian von einst. Man hat ihm als ersten Menschen vor eben diesen 30 Jahren ein neues Gehirn transplantiert. Helmut Dietl sah damals in dieser radikalen Metamorphose wohl den einzigen Ausweg aus nicht nur Maximilians, sondern auch seinem Dilemma im Umgang mit Frauen. Denn all das Chaos, das Maximilian und Gloria selbst anrichten oder bösen Zufällen verdanken, es entstammt der Phantasie eines Mannes, der Ähnliches durchlebt oder durchträumt hat.

Towje Kleiner und Helmut Dietl kannten sich von den Dreharbeiten zu den "Münchner Geschichten", wo Towje den Taxifahrer Achmed gegeben hat. Helmut Fischer, einer der wenigen näheren Freunde Dietls, brachte Kleiner für den "Wahnsinn" wieder ins Gespräch. Und obwohl eigentlich alle Rollen bereits besetzt waren, setzte Dietl noch ein letztes Casting für die männliche Hauptrolle an. Towje Kleiner siegte mit Bravour. "Der Dietl wollte das mit mir machen, auch gegen die Widerständler des BR." Denen war der quirlige Unruhegeist etwas zu hektisch. Aber das war's ja gerade, was Dietl suchte.

Die Herstellung von zwölf Folgen chaotischen Spaßes war für die Beteiligten wenig spaßig. Man litt unter Dietls Regie-Pingeligkeit und feldherrenhafter Diktatur am Set. Da wurde schon mal ein Auto, obwohl Hunderte Meter entfernt, abgeschleppt, weil Dietl dessen Farbe missfiel. Auch Towje Kleiner, der den erfolglosen Journalisten und Leserbriefonkel Maximilian Glanz spielte, tat sich nicht ganz leicht, die verrückte Liebe zu Gloria, von Monika "Mo" Schwarz gespielt, glaubhaft darzustellen. Nicht nur, weil er bereits verheiratet war und zwei Kinder hatte. Aber "die Mo passte ja total ins Dietlsche Beutemuster", sie sei allerdings auch "eine sehr gute Schauspielerin" gewesen. "Sie hat das alles mit mir gelebt." Towje Kleiner hat seine Rolle wohl mehr gespielt als gelebt. Jedenfalls antwortete er auf die Frage, ob er die Serie heute noch anschaue als Reise in die Vergangenheit, mit dem lapidaren Satz: "Ich habe sie noch nie ganz gesehen."

"Halt dich da raus, ich mache Regie"

Vielleicht, weil er die Szene auf einer Brücke im Englischen Garten nicht vergessen kann, während deren Vorbereitung er Dietls Regieanweisung widersprach: "Ich habe ihm gesagt: Von links? Das ist nicht gut. Du wirst mich nicht sehen. Es dauert eine Stunde, bis die Pointe kommt. Das wird nicht komisch. Da hat er gesagt: Halt dich da raus, ich mache Regie, und du machst, was ich sage."

Helmut Dietl formulierte solche Vorfälle im Gespräch weniger radikal, aber genauso gnadenlos. Er schreibe die Noten der Partitur. "Und ich achte drauf, ob die die Noten treffen."

Solche Partituren schreibt bei Dietl aber vor allem das Leben. Als der "ganz normale Wahnsinn" entsteht, hat sich Helmut Dietl von der Schauspielerin Barbara Valentin getrennt. Eine TV-Serie als Beziehungsbewältigung, besser gesagt, als Beziehungsendebewältigung? Der Abendzeitung erzählte er in einem Telefoninterview aus Los Angeles (wo sich Dietl ins Filmgeschäft hineinzuschreiben versuchte, was ihn auch nicht fröhlicher machte) im November 1979: "Der Ausgangspunkt dieser Serie waren Barbara und ich. Aber bei uns ist es noch viel schlimmer zugegangen." War es Selbsthass oder Kalkül? Dietl jedenfalls besetzte die Figur der Aline, einer Freundin von Gloria, mit Barbara Valentin, die so an jedem "Wahnsinn"-Drehtag ihre eigene Beziehungsgeschichte serviert bekam, gesehen durch die Augen ihres Ex-Partners. Und auf die Frage, ob er denn, wie sein alter ego Maximilian Glanz, jede Katastrophe anziehe, sagt Dietl schon damals: "Eigentlich nichts anderes."

Slapstick-Version einer Beziehungsschlacht

Waren "Die Münchner Geschichten" eben Münchner Geschichten, so geriet sowohl die Arbeit am Set als auch die Geschichte des "ganz normalen Wahnsinns" zu einer Art Slapstick-Version einer Beziehungsschlacht, die in ihrer realen Version nicht weit von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" entfernt scheint. Und lebte Tscharlie mit seiner Großmutter noch im nicht renovierten Nachkriegs-Lehel, gaben sich Maximilian Glanz und seine Gloria Saures im feinen Schwabing. Die Zeitschrift Weltkunst beschäftigte sich im Oktober 2013 mit Helmut Dietls TV-Serien und Filmen, respektive mit deren Set-Ausstattung. Und konfrontierte ihn mit der Hollywood-Geschichte, der Regisseur Martin Scorsese habe für "Zeit der Unschuld" Spitzentaschentücher in einer Kommode gestapelt, obwohl deren Schubladen nie geöffnet wurden. Ob er, Dietl, auch so pedantisch sei? Der sagte begeistert: "Ich habe, wo immer ich konnte, das so gemacht."

Entsprechend elaboriert war natürlich auch das Set-Design für den "Wahnsinn". In Giesing - ausgerechnet - fand sich das Loft, das nun in seiner progressiv schlampigen Gestaltung als Schwabinger Jungesellenbude dienen sollte. Mit einem echten Joe-Colombo-Sessel, in den sich gerne Maximilian Glanz' Freund Lino Gailing fläzte, ein eingefleischter Junggeselle, gespielt von Helmut Fischer. Doch München als Stadt, als Sehnsuchtsort ("Ich wollte sie besitzen wie eine Geliebte", sagte Dietl einmal) spielt im "ganz normalen Wahnsinn" eine weit geringere Rolle als in Dietls ersten Geschichten aus der Stadt. "Der ganz normale Wahnsinn" ist eher ein Kammerspiel. Und überträgt man dessen Ende, dass also Maximilian und Gloria nur zusammenfinden konnten, weil der eine sich eine neue Persönlichkeit implantieren ließ, auf Helmut Dietls damaliges Leben, nach Barbara Valentin, vor Veronica Ferres, dann kann man verstehen, wieso sehr viel später der altersweise und schwerkranke Helmut Dietl in dem letzten großen SZ-Wochenend-Interview konstatierte: "Ich habe schon Mitte zwanzig gewusst, worauf das Leben zusteuert, vielleicht kommt daher meine zunehmende Misanthropie."

Es gibt Menschen, die Helmut Dietl fröhlich erlebt haben, nicht so aufgesetzt munter, wie in den Anfangszeiten als Regisseur bei manchem Filmball, sondern voll tiefsinnigen Humors. Doch es war dies nur ganz wenigen vergönnt, denen, die Dietls Vertrauen gewonnen haben. Denen, die er wirklich liebte. "Das einzige ist die Liebe im Kampf gegen den Tod. Solange wir leben." Es war eine der letzten weisen Sätze dieses Mannes, der München mit seinen Werken ein Denkmal setzte.

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Quelle:
SZ vom 02.04.2015/lime
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