Süddeutsche Zeitung

Dietls München:Charme trifft Bosheit

Geschichten über Möchtegernpromis, Starfriseure und anderes Gesocks: Helmut Dietl lässt Klatschreporter Baby Schimmerlos in seiner vierten TV-Serie, "Kir Royal", die Abgründe der feinen Münchner Gesellschaft sezieren.

Von Karl Forster

Am Montag, 22. September 1986, war der Tresen im Stadtcafé am Münchner St.-Jakobs-Platz schlecht besetzt. Zumindest nach acht Uhr abends. Da hatten die üblichen Verdächtigen ausnahmsweise anderes zu tun als bei ein, zwei, drei postlaboralen Bieren die Schlechtigkeit der Welt zu diskutieren. Zu diesen üblichen Verdächtigen gehörten vor allem Journalisten der Münchner Abendzeitung und der Süddeutschen Zeitung, die damals unweit in der Sendlinger Straße ihre berufliche Heimat und im Stadtcafé ihr zweites Wohnzimmer hatten. An diesem Abend aber saßen sie allesamt vor den Fernsehapparaten, um zu schauen, was Helmut Dietl aus ihrem Beruf gemacht hat; respektive aus dem Beruf eines ihrer Kollegen, den sie, schwankend zwischen Sympathie und Ignoranz, nie so richtig verstanden hatten. Den Kollegen nicht und auch dessen Beruf.

An diesem Abend um 20.15 Uhr startete in der ARD die vierte große TV-Serie des nun schon in den Stand der lebenden Legende erhobenen Münchner Regisseurs und Drehbuchautors Helmut Dietl: "Kir Royal". Und diese Serie war anders als ihre drei Vorgänger. "Die Münchner Geschichten" lebten von Typen, die Dietl sich aus seinem Leben und seiner Liebe zur Stadt erdacht hat. "Der ganz normale Wahnsinn" spiegelte großenteils Dietls Gefühlswelt wider. Der "Monaco Franze" war Dietls Ideal eines hoffnungslosen Strizzis mit Herz. Baby Schimmerlos aber, die Hauptfigur in "Kir Royal", hatte, wie fast alle Rollen dieser sechs Einstundenwerke, reale Vorbilder. "Kir Royal" war eine Serie über Journalisten und das Zeitungsleben. Schimmerlos und seine Kombattanten waren überprüfbar. Das war Dietls großes Wagnis.

Graeter als Vorbild für Schimmerlos

Das Thema Journalismus war in TV-Serien selten frei von oft sehr falschen Klischees. Einzig vielleicht die US-Serie "Lou Grant" zeigte Anfang der Achtzigerjahre im ZDF, wie es in einer Lokalredaktion annähernd echt zugeht. Die Journalistenrunde des Stadtcafés kannte natürlich jede Folge von "Lou Grant". Und sie kannte Michael Graeter, das Vorbild für Dietls Klatschreporter Baby Schimmerlos. Sie pflegten einen seltsamen Respekt vor ihm und seinem Job.

Denn trotz dessen offen bekannter Nähe zur CSU (manch einer begrüßte ihn gern im Aufzug mit "Servus, du schwarze Mamba", worauf Graeter mit einem fröhlichen "Griaß de, du rote Laus" antwortete) achteten ihn die meisten Kollegen wegen der manchmal brillanten Schnoddrigkeit der Formulierungen in seiner Klatschspalte "Graeter berichtet" - und seiner trotz aller Schickimicki-Reportiererei offensichtlichen inneren Distanz zu den Protagonisten seiner Geschichten. Sie kannten auch Graeters Leibfotografen Franz Hug, der, anders als das TV-Double Herbie, ein sehr eleganter, zurückhaltender Profi war, der mit leiser, freundlicher Stimme auch einen Charles Bronson dazu bringen konnte, so und nicht anders in die Kamera zu lächeln.

"Wer reinkommt, ist drin"

Graeter fuhr keinen Porsche - aus Überzeugung. Baby Schimmerlos schon. Graeter hatte eine rothaarige Sekretärin, Schimmerlos auch, aber dessen Billie Zöckler war deutlich fülliger als das Original. Graeter hatte dunkle (und hat) glatte Haare, Schimmerlos umrankte eine wilde, rotblonde Mähne. Graeter hätte nie einen Schnurrbart getragen, Schimmerlos ist ohne nicht denkbar. Aber der Rest? Die erste Geschichte "Wer reinkommt, ist drin"? Die mit dem tausendfach zitierten Satz des Kleberfabrikanten Haffenloher: "Isch scheiß dich sowas von zu mit meinem Jeld"? Da war schon was dran.

Sicher, Dietls Vorlage, die Münchner Abendzeitung, war damals noch eine reiche, angesehene Zeitung, Boulevard zwar, aber auf hohem Niveau und mit einer Auflage von mehr als 200 000 Stück. Anneliese Friedmann wird erst ein Jahr nach "Kir Royal" die Herausgeberschaft der AZ an ihren Sohn abgeben. Konnte es also wirklich sein, dass, als Resümee dieser ersten Folge, das schale Gefühl blieb, Baby Schimmerlos habe soeben das berufliche Ethos der Journalisten verscherbelt? Wie er am Schluss so alleine vor dem Promirestaurant Champs Elysée sitzt, rauchend, trinkend, verloren. Da hätte die Serie eigentlich schon zu Ende sein können.

"Ich brauchte da eher so einen Ekelhaften"

Helmut Dietl hat später immer wieder darauf verwiesen, er habe in jede Hauptrolle "Teile meines Ichs" hineingeschrieben. Bei Schimmerlos waren es wohl Teile, die Dietl von jenen nachgesagt wurden, die er nicht mochte. Denn Helmut Dietl konnte, da würde er wohl selbst keine Gegendarstellung verlangen, ein rechter Miesepeter sein. In seinem letzten SZ-Interview sagte er über die Besetzung des Baby Schimmerlos: "Ich brauchte da eher so einen Ekelhaften." Da kam Franz Xaver Kroetz gerade recht, der in dieser Rolle zwischen Charme und Bosheit geradezu erblühte.

Doch "Kir Royal" war mehr als nur Baby Schimmerlos in seinem Kampf um Anerkennung, um geile Geschichten und die Gunst der Herausgeberin Friedrike von Unruh (die allerdings recht wenig hatte von der gnadenlosen Eleganz ihres echten Pendants). "Kir Royal" waren Geschichten des CSU-Landes Bayern mit all den Schmierigen, Mächtigen, Möchtegernpromis, Starfriseuren und -zahnärzten, kurz, mit all dem Gesocks, das Münchens Proll- und Promi-Gesellschaft damals geprägt hatte. Jede Rolle war bis in die Haarspitzen exakt besetzt.

Und als Boy Gobert, kurz vor seinem überraschenden Tod im Mai 1986, in der Folge "Das Volk sieht nichts" den verarmten, aber in üppigster Villa lebenden Honorarkonsul Hubert Dürkheimer gibt, assistiert von Kurt Raab als Butler, und sich im Olympiadrehrestaurant erschießt, weil ihn ein ehrgeiziger CSU-Abgeordneter übers Ohr gehauen hat, sagte man sich: Ja, genauso ist es, so sind sie, samt diesem Ministerpräsidenten, der in echt Strauß hieß. Dass auch der wunderbare Karl Obermayr, der dann den Pfarrer bei des Konsuls Beerdigung spielte, kurz nach den Dreharbeiten an Gehirntumor gestorben war, gab dieser "Kir Royal"-Folge noch einen morbiden Schlag mehr.

Kauzig wie der Regisseur

Helmut Dietl hatte für damalige Verhältnisse traumhafte Arbeitsbedingungen. Das Budget war etwa doppelt so hoch wie für TV-Unternehmungen ähnlichen Ausmaßes. Die Schauspieler lagen ihm zu Füßen, auch wenn er sie oft schurigelte bis zur Weißglut. Selbst Kroetz hatte nach der Lektüre des ersten Buches sofort zugesagt, obwohl ihm ähnliche Kauzigkeit nachgesagt wird wie seinem Regisseur. Der trug damals ausschließlich weiße Anzüge, war in Münchens Gesellschaft so angesehen wie gefürchtet und hatte - auch - in Patrick Süskind einen Co-Autor, den bis heute dank seiner Unsichtbarkeit die Aura des Geheimnisvollen umweht.

Dass ausgerechnet die etwas wirre Folge "Adieu Claire", für die Fassbinder-Freund Kurt Raab (ja, der Butler) mitverantwortlich zeichnete, ein Jahr nach der Ausstrahlung den goldenen Adolf-Grimme-Preis erhielt, mag Dietl noch gewurmt haben. Aber ein Jahr später bekam er selbst die begehrte Auszeichnung zusammen mit dem Produzenten Jörn Klamroth - für die gesamte Serie.

Ein unausweichliches Finale

Verheiratet war Helmut Dietl damals zum dritten Mal, und zwar mit der französischen Schauspielerin Denise Cheyresy. Das sollte sich 1990 wieder ändern, nachdem Veronica Ferres in sein Leben getreten war. Sollte, wie beim "Ganz normalen Wahnsinn", Dietls Leben sich in seiner Arbeit auch bei "Kir Royal" spiegeln, dürfte diese Beziehung nicht unproblematisch gewesen sein. Denn wie Baby Schimmerlos mit seiner Lebensgefährtin Mona, gespielt von Senta Berger, umgeht, muss zu diesem "Kir Royal"-Finale führen: Die Herausgeberin kündigt Schimmerlos, Fotograf Herbie nimmt einen Bestechungsscheck in Höhe von einer halben Million Mark an, und Mona geht ihrer eigenen Wege.

Der echte Graeter-Fotograf Franz Hug, der einige Jahre später bei einem Autounfall ums Leben kam - da war sich die Stadtcafé-Journalistenrunde einig -, hätte nie irgendein Geld angenommen. Nach sechs "Kir Royal"-Montagen des Jahres 1986 herrschte dort am Tresen wieder Normalbetrieb. Die üblichen Verdächtigen hatten nur ein neues Thema: Sind wir nicht alle ein bisschen "Schimmerlos"?

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SZ vom 07.04.2015/lime
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