Dietls München:Auf der Hatz nach Liebe

Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief

Veronica Ferres spielt in "Rossini" die bis zur Besinnungslosigkeit karrieregeile Möchtegernschauspielerin Schneewittchen.

(Foto: ARD Degeto/WDR/Diana Film GmbH)

Mit "Rossini", seinem Kinoerfolg über die Münchner Kulturschickeria, hat Helmut Dietl die letzten Momente eingefangen, in denen die Stadt um ihren Nabel kreiste. Seine Protagonisten hat er nur leicht verfremdet.

Von Franz Kotteder

Anfangs war man damals ja skeptisch, als klar war, wo der neue Dietl-Film spielen sollte. Ob das jetzt wirklich so eine super Idee war, die Handlung in den Stamm-Italiener des Regisseurs zu verlegen? Dort, wo Helmut Dietl gerne mit seinen Spezln den Abend verbrachte? War das nicht ein bisschen arg privat, und warum sollte das eigentlich ein größeres Publikum interessieren?

Am Ende war "Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" mit 3,2 Millionen Kinobesuchern einer der erfolgreichsten Filme des Jahres 1997 in Deutschland. Offensichtlich ging das Interesse an dieser Münchner Geschichte weit über den Freundeskreis von Helmut Dietl hinaus.

Dabei waren die Protagonisten ja tatsächlich nur bis zur Kenntlichkeit verfremdet. Da war der Filmregisseur Uhu Zigeuner, von Götz George als idealisiertes Dietl-Selbstporträt gespielt. Da gab es den großmäuligen, machohaften Filmproduzenten Oskar Reiter (Heiner Lauterbach), im wirklichen Leben natürlich Bernd Eichinger. Da war der nicht angeberische Szene-Lyriker Bodo Kriegnitz (Jan Josef Liefers), der dem Original Wolf Wondratschek in nichts nachstand. Und schließlich der hypersensible Großschriftsteller Jakob Windisch (Joachim Król) - es handelt sich da um eine liebenswerte, aber grobe Karikatur des Bildes, das die Öffentlichkeit von Patrick Süskind hatte, dem Dietl-Freund und Co-Drehbuchautor von "Rossini".

Welches Lokal Vorbild für das Rossini war

Süskinds Welterfolg "Das Parfum" wurde fast zehn Jahre später von Tom Tykwer verfilmt, Bernd Eichinger war der Produzent. In "Rossini" heißt der Erfolgsroman "Loreley", und Spannung wie Komik entstehen gleichermaßen aus den vielfältigen Bemühungen, den scheuen Dichter zu überreden, einer Verfilmung seines Werkes zuzustimmen. Dietl und Süskind müssen eine diebische Freude gehabt haben, als sie die Figur des Jakob Windisch entwarfen und formten.

Ja, und dann war da natürlich das Rossini selbst und sein Wirt, der im Film von Mario Adorf gespielt wird und Paolo Rossini heißt. Im wahren Leben hieß das Ristorante Romagna Antica, befand sich in der Elisabethstraße und wurde von dem Promiwirt Fabrizio Cereghini geführt. 2007 musste es dichtmachen, die Miete war zu hoch geworden. Dietl hat übrigens nicht am Originalschauplatz gedreht, er ließ das Restaurant extra bis ins Detail getreu in einer Halle des damaligen Eisenbahnausbesserungswerks Freimann nachbauen.

Worum es im Film ging

Im Grunde ging es also um eine Handvoll Menschen aus der Münchner Kulturschickeria, was vor allem die professionellen Entschlüssler der Klatschpresse freute. Aber natürlich wollte Helmut Dietl nie Voyeursgelüste befriedigen. "Ich bin an gesellschaftlicher Wirklichkeit nicht interessiert", sagte Dietl gerne, "was mich interessiert, ist die gesellschaftliche Wahrheit."

Rossini - oder die moerderische Frage, wer mit wem schlief

Sie ist Teil der Münchner Gesellschaft, die Wirt Paolo Rossini (Mario Adorf) in seinem Restaurant bedient.

(Foto: BR/WDR/Diana Film GmbH)

Und diese gesellschaftliche Wahrheit hat er in seinen Filmen immer wieder markant auf den Punkt gebracht, wenn auch selten so nah an der Wirklichkeit wie in "Rossini". Sieht man den Film heute mit fast 20 Jahren Abstand wieder, wird das umso deutlicher. Gerade, was die Stadt München betrifft, die in vielen seiner besten Filme ja immer eine Hauptrolle spielt.

Dietl zeigt ein längst vergangenes München

Helmut Dietl schildert in "Rossini" eine Münchner Gesellschaft, die sich gerade noch selbst genügt, aber schon ahnt, wie sehr sie durch den Fall der Mauer an Bedeutung verlieren würde. Dass die Erbsenzähler schon bald endgültig das Regiment übernehmen würden und die Musik sich schön langsam mit dem Gedanken an Umzug trug, um immer öfter doch woanders zu spielen.

Dietl hat in "Rossini" gewissermaßen die letzten Momente eingefangen, als die Stadt noch ausschließlich um ihren eigenen Nabel kreiste. Damals hatte man noch keinen Zweifel daran, dass das Leben in München interessant war. Das ist längst anders. Wer heute ein bisschen was geworden ist in seinem Medien- oder Kreativberuf, der schämt sich ja fast, dass er bloß in München lebt und arbeitet und nicht in Hamburg oder Berlin oder gar in L.A. (was nicht für das Autokennzeichen von Landshut steht). Es gibt inzwischen eine Art Münchnerwertigkeitskomplex, den es früher nicht gab. Und man fragt sich, was eigentlich provinzieller ist: die Münchner Gemütlichkeit oder das dauernde Herumnörgeln daran und das verliebte Schielen nach dem angeblich wahren Großstadtleben.

Bei Dietl trifft Pathos auf Alltagsrealität

Für Helmut Dietl, der eine Zeitlang in Los Angeles gelebt hat, stellte sich diese Frage sowieso nie. Die wirklich großen Geschichten spielen im Kino wie in der Literatur nicht eben selten in der tiefsten Provinz. Aus dem Kleinen das Große herauszukitzeln und das Große auf seinen Kern im Kleinen zu reduzieren, das ist die eigentliche Kunst. Dietl hat sie oft mit traumhafter Sicherheit beherrscht. Das zeigt sich bis hinein in einzelne Dialogzeilen.

Wenn etwa die bis zur Besinnungslosigkeit karrieregeile Möchtegernschauspielerin Schneewittchen (Veronica Ferres) ihre ehemalige Geliebte Zille Watussnik (Meret Becker) aus dem Feld schlägt mit den göttlichen Worten: "Verpiss dich, Watussnik, sonst schlag' ich dich mit der Champagnerflasche tot!" Oder wenn die liebestolle und an Verstopfung leidende Valerie (Gudrun Landgrebe) den für sie schwärmenden Promi-Arzt Dr. Sigi Gelber (Armin Rohde) mit seinen Träumen von ewiger Liebe brüsk abweist: "Verschon' mich mit deinen Altenpflegerphantasien und gib mir etwas, damit ich endlich wieder scheißen kann!" Da trifft Pathos auf Alltagsrealität, und niemand bringt so etwas unsentimentaler auf den Punkt als Dietl.

"Film ist Krieg, mein Freund."

Dabei ist er doch, gerade in "Rossini", immer auch ein großer Romantiker. Es ist keineswegs so, dass sein München ein Hort der Seligen wäre. Weltstadt mit Herz - von wegen! Alle sind auf der Hatz nach Liebe oder dem, was sie dafür halten, und es gibt nur eine einzige, wirklich anrührende Liebesszene: zwischen dem menschenscheuen Dichter und der italienischen Kellnerin Serafina. Ansonsten geht es den Frauen im Film um Sex, Bestätigung und Karriere.

Besonders die Männer aber sind letztlich unerträglich affige Egomanen, keines echten Gefühls fähig, nur auf den äußeren Schein bedacht. Als Uhu Zigeuner im letzten Drittel des Films an Flucht denkt, sagt er zu Reiter: "Das Leben ist wichtiger als jeder Film." Der starrt ihn nur entgeistert an und fragt verständnislos: "So? Seit wann?"

Die Wahrheit sagt der bis zur Halskrause prall mit Testosteron gefüllte Produzent Reiter freilich schon zuvor: "Film ist Krieg, mein Freund." Daran muss man denken, wenn man Schneewittchen in "Rossini" sieht. Veronica Ferres, zu dieser Zeit noch mit Dietl liiert, als blondes Dummchen, das für eine Filmrolle mit kältester Berechnung einfach alles tut: Nach ihrer Rolle als blondes Dummchen in "Schtonk!" erneut kongenial besetzt - aber, fragt man sich bang, war das echt beziehungsfördernd?

Was von Rossini bleibt

Oder machte Dietl auch da einfach keine Gefangenen, weil Film ja Krieg ist? So wie er seine Rollen immer den Schauspielern dermaßen perfekt auf den Leib schrieb, dass sie zum Teil selber nicht mehr ganz herausfanden. Franz Xaver Kroetz etwa hatte ja nach seiner erfolgreichen Serienrolle als Baby Schimmerlos nichts Blöderes zu tun, als für die Bild-Zeitung als Sportreporter zu den Olympischen Spielen nach Seoul zu fahren.

Und Fabrizio Cereghini, der Wirt vom Romagna Antica? Der eröffnete 2007 wieder ein Lokal, an der Türkenstraße 76. Es heißt wie der Film: Rossini. Aber von der früheren Kundschaft ist kaum einer da. Der Wondratschek lebt jetzt meist in Wien, der Eichinger ist schon gestorben, und der Dietl ist nun auch nicht mehr.

Überhaupt ist München jetzt ganz anders.

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