Dieter Hildebrandt zum Achtzigsten:Der staatstragende Scheibenwischer

Großer Moralist, großer Kabarettist: Ein Streifzug durch das Leben des Jubilars Dieter Hildebrandt.

Franziska Augstein

Wenn es den Krieg nicht gegeben hätte, sagt Dieter Hildebrandt, dann wäre er vermutlich "Kulturhauptamtsleiter in Lodz" geworden, womit er nicht andeuten will, dass die Kabarettprogramme, die er für die Lach- und Schießgesellschaft schrieb, dann in Lodz aufgeführt worden wären. Nein, als er 1939 zwölf Jahre alt wurde, glaubte er "an alles, was man mir erzählt hat".

So hatte man ihm auch erzählt, dass die Nazis eine recht gute Regierung führten, die ganz im Sinn der Bauern sei. Das war der Ast, an dem Hildebrandts Vater sich von seiner kaisertreuen Gesinnung zögerlich zu den Nazis hinüberhangelte: Er wollte Bauer sein, hatte als vierter Sohn aber keine Aussicht, das Gut zu übernehmen.

Nach dem Studium zog er gen Osten, bewährte sich als Landwirtschaftslehrer und erwarb dann vom Ersparten für billiges Geld einen heruntergekommenen Hof nahe dem schlesischen Bunzlau, den er in wenigen Jahren mit seiner eigenen Hände Arbeit - samt den zwei Händen seiner widerwillig folgsamen Frau - wieder in Schuss brachte.

Dieter Hildebrandt war als Kind nicht gegen Hitler. Dass er eines Tages das bundesdeutsche Kabarett prägen würde, kündigte sich bestenfalls dadurch an, dass er als ganz kleiner Schulbub das Phänomen der direkten Rede entdeckte und dann nicht bloß irgendwelche Leute, sondern auch Gegenstände sprechen ließ. Die Wortwechsel, die er schuf, gefielen seinem Klassenlehrer, was Hildebrandt, wie er im Gespräch mit Bernd Schroeder gesagt hat, einige Prügel erspart habe ("Ich musste immer lachen", Kiepenheuer & Witsch, 2006).

Seine kurze Soldatenzeit gegen Ende des Kriegs verbrachte er damit, sich um sein Überleben zu kümmern. Die Hymne des Gefangenenlagers westlich der Elbe, in dem er 1945 landete, enthält die Verse: "Und drum tragen wir unser Leiden mit Geduld, an der ganzen Scheiße sind wir selber schuld." Zum Ausgleich haben Hildebrandt und andere sich "an die Straßenecke gestellt und den Hitlergruß gemacht, um zu provozieren, dumme Jungs, die wir waren". Nicht anders als Jürgen Habermas oder Hans-Ulrich Wehler wurde Dieter Hildebrandt durch die Erfahrung von Krieg, Niederlage und "Reeducation" politisch sozialisiert.

Von allen Kunstformen der Bühne ist das Kabarett wohl die menschennächste. Der Schauspieler erlebt immer auch sich selbst, der Musiker lebt in der Musik, der Regisseur belebt durch seine Interpretation ein Stück. Das Kabarett hat nur dann Erfolg, wenn es den Künstlern gelingt, das Publikum unmittelbar anzusprechen. Diesen Rapport findet Hildebrandt seit mehr als fünfzig Jahren. 1956 wurde die Münchner Lach- und Schießgesellschaft gegründet. "Denn sie müssen nicht, was sie tun", lautete der Name des ersten Programms, bei dem Hildebrandt mit Sammy Drechsel zusammenarbeitete, der sein bester Freund werden sollte. Drechsel starb 1986.

Seinen Freunden ein guter Freund

Seit einigen Jahren zieht eine Figur durch Hildebrandts Bücher, die Max Meusel heißt und irgendwie an Sammy Drechsel erinnert. Über ihn, den Lach-und-Schieß-Regisseur, hat Hildebrandt geschrieben: "Zunächst versuchte er den Fingernagel des kleinen Fingers zwischen Tür und Angel zu kriegen, hatte er dann den kleinen Finger durch, winkte er mit diesem irgendeinem Freund . . . (die Welt wimmelt von alten Sammy-Freunden) und sagte zu ihm: ,Junge, ich hab mir den Finger irgendwie eingeklemmt, mach doch mal die Tür uff.'" Genau so ist Max Meusel. Hildebrandt ist seinen Freunden ein guter Freund, über den Tod hinaus.

Als das deutsche Fernsehen noch gesittet gegen ein Uhr nachts zu Bett ging, machte er für das ZDF die Satire-Sendung "Notizen aus der Provinz", und schon im ersten Jahr, 1975, gelang es ihm mit ein paar Bemerkungen über den Paragraphen 218, dass er zensuriert wurde. 1986 inszenierte der Bayerische Rundfunk ein Fanal für die Meinungsfreiheit, indem er die Meinung vertrat, sich aus einer Folge der neuen ARD-Sendung "Scheibenwischer" ausschalten zu müssen, das Thema war Tschernobyl. Wer sich daran erinnert, lacht noch heute.

Der staatstragende Scheibenwischer

Zu den vielen Leuten, die sich von Hildebrandt haben begeistern lassen, zählte immer seine Mutter. Der Vater hat leider weniger gelacht, eigentlich hat er sich Zeit seines Lebens darüber gewundert, warum der Sohn für seine Arbeit überhaupt Geld bekam.

Dieter Hildebrandt 2007

Dieter Hildebrandt 2007

(Foto: Foto: ddp)

Dabei hat dieser vom Vater manches übernommen, zuallererst die Disziplin: So wie auf dem väterlichen Hof bei Bunzlau alle Tiere pünktlich gefüttert wurden, so schenkt Hildebrandt den heuchlerischen Großkopfeten der Republik zuverlässig und regelmäßig ein. Jahrelang hat er an sechs Tagen pro Woche einen Auftritt absolviert. Manchmal waren es sieben.

Seit einigen Jahren verbringt er im Schnitt etwa jeden zweiten Abend vor Publikum: Er liest, er spielt, an allen möglichen Orten, großen und kleinen, nördlichen und südlichen. Das einzige Hindernis auf seinem Weg ist die Deutsche Bahn, die oftmals lieber steht als fährt, wie Hildebrandt in seinem Buch "Ausgebucht" (Blessing Verlag, 2004) leidensnah dargestellt hat.

Warum macht er sich die Mühe? Wie alle großen Kabarettisten ist Dieter Hildebrandt ein großer Moralist. Der wirklich große Moralist kommt aus dem Staunen über die Gemeinheiten, die menschenmöglich sind, nicht heraus. Zudem ist er tolerant.

Er verdonnert seine Zuhörer nicht dazu, was sie denken sollen, er legt es ihnen nahe. Er stellt ihnen die Widersinnigkeiten der Welt vor Augen und überlässt es den Leuten, daraus ihre Schlüsse zu ziehen. Deshalb sind wirklich große Moralisten oftmals Humoristen oder eben Kabarettisten.

Nur einmal, in den siebziger Jahren, war Dieter Hildebrandt mit seinem professionellen Latein fast am Ende: Es ging um einen Polizeioffizier, der in der NS-Zeit 25 Sinti durch Gas hatte umbringen lassen und vor Gericht mildernde Umstände zugesprochen bekam, weil die Richter der Meinung waren, der Mord an den Sinti sei vergleichsweise "human" gewesen, da ihr Tod ganz schnell, nämlich schon nach einer Minute eingetreten sei. In "Notizen aus der Provinz" hat Dieter Hildebrandt dann gezeigt, wie lang eine Minute ist: Genau sechzig Sekunden lang schwieg er vor laufender Kamera.

Der 23. Mai, Hildebrandts Geburtstag, ist auch der Tag, an dem das Grundgesetz verabschiedet wurde. Dass der Geist des Grundgesetzes bewahrt werde: Dafür hat der Jubilar mehr getan als viele Festredner, die diesen Tag wortreich begehen. Dieter Hildebrandt ist staatstragend.

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