Über die kulinarischen Präferenzen des Rupert Graf zu Stolberg-Stolberg ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Eine gewisse Vorliebe für Oliven wäre für den im Erzbistum München-Freising tätigen Geistlichen aber sicher nicht von Nachteil: Wenn ihm Reinhard Kardinal Marx am Samstagmorgen im Liebfrauendom zu München die Hand auflegt, wird aus dem bisherigen Bischofsvikar ein echter Weihbischof - mit symbolischem Dienstsitz in Sassura, Stadt des Heiligen Römischen Reiches, Provinz Byzacena, Nordafrika.
Dort wachsen heute vor allem Oliven. Falls der gute Hirte Graf zu Stolberg-Stolberg je an den Ort reisen sollte, an dem er nun dem Namen nach wirken soll, wird der 46-Jährige keine Schäfchen zum Hüten finden, sondern Bäume, Bäume, Bäume. Bis zum Horizont erstrecken sich die in quadratischem Muster gepflanzten Olivenhaine, die Erde zwischen den Stämmen ist so staubig wie die wenigen Steine, die noch von Sassura übrig sind. Man findet sie etwas mehr als 50 Kilometer südlich von Sousse in der tunesischen Sahelzone, diese Bezeichnung ist jedoch etwas irreführend: Die Landschaft hier ist kein Wüstengebiet, sondern das Hinterland der tunesischen Mittelmeerregion - Sahil ist das arabische Wort für Küste.
Wann genau die Stadt und mit ihr das Bistum unterging, ist nicht genau zu bestimmen. Die letzte urkundliche Erwähnung erfolgte im Jahr 646, als ein hier ansässiger Bischof Bonifaz an einem Konzil teilnahm. 24 Jahre später eroberten die Araber die Stadt, heute ist der Name Sassura nur noch auf Dokumenten der katholischen Kirche zu finden: Als sogenanntes Titularbistum, das symbolisch an Bischöfe verliehen wird, die über keine eigene Diözese herrschen. Der Vatikan führt mehr als 2000 solcher historischen Bistümer als stille Reserve, verleiht die Titel aber nicht alle durchgängig.
Wodurch sich das antike Sassura auszeichnet
Dass Sassura zu den Orten gehört, die pro forma noch einen Oberhirten bekommen, liegt nicht unbedingt an seiner Attraktivität, an einer Geschichte voll Glanz und Gloria. Zwar lässt sich verschiedenen Geschichtswerken entnehmen, dass sich in dem Nest sogar Berühmtheiten wie Julius Cäsar die Ehre gaben - doch der ritt am 23. März 46 vor Christus hier nur einmal durch, auf einem missratenen Manöver während der Römischen Bürgerkriege. Ansonsten zeichnete sich das antike Sassura anscheinend vor allem dadurch aus, Raststation auf der schnurgeraden Römerstraße zwischen den Metropolen Hadrumetum (heute Sousse) und Thydrus zu sein. Letzteres ist heute unter dem Namen el-Djem bekannt, sein imposantes Amphitheater zählt zum Weltkulturerbe.
Von der Römerstraße ist in der Gegend des alten Sassura noch ein kleiner Teil erhalten, sonst fallen die heute je nach Überlieferung Henchir el-Ksour beziehungsweise Henchir el-Zaouadi genannten Ruinen deutlich hinter die von el-Djem zurück: Ein Zisternensystem, Fragmente eines Versorgungskanals - mehr ist da nicht zwischen den Olivenbäumen zu finden. In Sichtweite führt auf einem kakteengesäumte Bahndamm eine Eisenbahnlinie vorbei, in Hörweite die Autobahn A 1, überhaupt nicht schnurgerade, in einem ganz unrömischen Bogen. Um nach Sassura zu gelangen, verlässt man die bei der nahen Ausfahrt mit dem schönen Namen Kerker. In diesem Ort befindet sich auch das nächstgelegene Gotteshaus. Das ziert allerdings ein Minarett und kein Glockenturm: Die sehr kleinen christlichen und jüdischen Minderheiten des Landes leben in den Großstädten und nicht hier auf dem platten Land, 98 Prozent der Tunesier sind Muslime.
Um mit denen in einen Dialog zu treten, wäre Rupert Graf zu Stolberg-Stolberg jedoch der rechte Mann, in München hat er den "Rat der Religionen" mitbegründet. Ihm ist es wichtig, dass die Auseinandersetzung mit dem Islam nicht von Hass geprägt ist, er sucht das Miteinander. Hierzu nur eine kleine, unschuldige Idee: Ein paar würzig eingelegte Oliven aus Sassura - das wäre die ideale Ergänzung zu den eher fad schmeckenden Oblaten aus dem Bischofssitz in München.