Die Stadt und ihr Fluss - Teil 13:Gaudi mit Tradition

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Früher transportierten Flößer Holzstämme auf der Isar damit München entstehen konnte. Die Flößer von heute halten sich mit Vergnügungsfahrten über Wasser. Doch einiges ist geblieben: zum Beispiel das Beherrschen des bayrischen Dialekts.

Astrid Becker

"Auf geht's", sagt der Mann auf dem Floß und hängt sich mit seinem ganzen Körpergewicht ins Ruder. Eine Geste, die fast martialisch wirkt, aber nötig ist. Wer 18 Tonnen im Wasser bewegen will, braucht ziemlich viel Kraft. "Als ich damit angefangen hab', da war ich zaundürr, aber jetzt muss ich immer viel essen."

Und los! Jason aus Tobago hat das Floß als Steuermann im Griff. Diesmal lenkt er Computer-Fachleute aus München den Fluss hinunter. (Foto: Foto: SZ/Catherina Hess)

Die bayerische Art, wie dieser muskelbepackte Kerl solche Sätze ausspricht, ist nicht ungewöhnlich für einen Flößer auf der Isar. Normalerweise. Doch Jason, wie der 28-Jährige heißt, hätte es noch vor vier Jahren wohl kaum für möglich gehalten, einmal als Flößer auf der Isar Touristen und Einheimische herumzuschippern.

"Den Jason, den hamma von einem Urlaub auf Tobago mitgebracht", sagt sein Chef, Josef Seitner. Er ist Inhaber eines der drei noch existierenden Betriebe, die Floßfahrten auf Isar und Loisach anbieten. Eine wichtige Entscheidung - für beide Seiten. Für Jason, weil der studierte Hotelier, so gern mit den Händen arbeitet und am liebsten draußen in der Natur ist.

Zeitreise ins 12. Jahrhundert

Und für den Sepp, wie Seitner von allen genannt wird, ist Jason wichtig, weil er zwei Töchter hat, aber keinen Sohn, der die Kraft fürs Flößen aufbringen und den Betrieb weiterführen könnte. Also musste "irgendwann ein Schwiegersohn her, und der Jason, der wär uns als solcher scho recht, weil der boarisch redn lerna ko, a Preiß kannt des nia." Für Uneingeweihte mag das seltsam klingen, doch zum Dasein eines Flößers gehört das Beherrschen des bayerischen Dialekts. Wenn man so will, hat dies etwas mit Tradition zu tun, einer Tradition, die mit den Anfängen einer Zunft beginnt und letztlich in der Familiengeschichte der Seitners endet.

Wagen wir also eine Zeitreise ins 12. Jahrhundert. Herzog Heinrich der Löwe hat gerade einen Streit mit dem Bischof Otto von Freising um den Markt am Isarübergang der Salzstraße in Föhring angezettelt. Weiter flussaufwärts, an einer ihm günstig erscheinenden Stelle, gründet er einen neuen Markt, um so dem Bischof die lukrativen Salztransporte abzuluchsen. Aus diesem Markt soll später einmal München werden. Doch um diese Stadt überhaupt bauen zu können, braucht Heinrich Holz. Viel Holz. Dies kann er nur aus dem Oberland beziehen, wo es holzreiche Gebirgswälder gibt. Der einzige bedeutende Verkehrsweg direkt dorthin ist die Isar. Den Holztransport übernehmen Flößer.

Schweigsame Flößer

Auch an diesem Morgen gegen 7 Uhr rollen an der Schlederleiten in Wolfratshausen 18 Baumstämme, Fichten, ins Wasser. 18 Meter ist jeder einzelne lang, mindestens 35 Zentimeter dick und absolut gerade gewachsen. Früher wurden diese Stämme mit zu Seilen gedrehten Weidenruten zusammengehalten. Heute verwenden die Männer verzinkten Eisendraht, der so gewickelt ist, dass an jedem Ende eine Schlaufe entsteht. Durch diese Schlingen werden dann die handgeschmiedeten Eisenkeile gesteckt. Es dauert keine zwei Stunden, und das Floß ist, wie jeden Morgen, neu zusammen gebaut und mit einer Holztribüne und Sitzbänken versehen.

Die Männer sprechen bei ihrer Arbeit kaum ein Wort. "Wir sind sehr ernsthafte Menschen", sagt Chef-Flößer Sepp Seitner später. Ein wenig klingt es so, als wolle er damit die letzten Anwohner besänftigen, die sich noch immer bisweilen über den Lärm beim Floßbau beschweren. Aber Sepps Tonfall verrät noch etwas anderes: Dass es ihm auch um Berufsehre geht, und dass diese Ehre lange Wurzeln haben muss.

1159, nur ein Jahr nach der Gründung Münchens, verleiht der Andechser Graf Berthold III. den Flößern das Zunftrecht, stiftet die Zunftfahne, die den Wasserschutzpatron St. Nikolaus zeigt und legt fest, dass niemand das Handwerk betreiben dürfe, der es nicht gelernt hat. Zudem gelten christliche Zucht und Sitte als oberste Priorität. "Ein jeder Flößer soll sich des Fluchens und des Gotteslästerns enthalten", so steht es in den Wolfratshauser Zunftregeln.

Zumindest die Sache mit der Ausbildung wird heute noch genauso ernst genommen wie damals. Wer ein Floß sicher durchs Wasser gleiten lassen will, darf erst einmal nur mitfahren, muss langsam das Steuern und Lenken erlernen und das Wasser "wie eine Zeitung lesen können", sagt Sepp. Dann darf er als "Styrer", also hinten, Dienst tun. Erst wer einige Jahre Erfahrung vorweisen kann, darf nach vorn als "Ferg", wie es in der alten Flößersprache heißt.

Jason ist an diesem Tag als Steuermann eingeteilt, sein Kollege Konrad führt vorne das Floß durch die Gewässer. Es ist für beide ein harter Job, wenngleich er nicht mehr ganz so viel Mut erfordert wie früher, zu den Zeiten, in denen es noch keinen Isarkanal gab, und die Flößer die Stromschnellen der Isar überwinden mussten. Gefährliche Stellen galt es zu meistern, wie die Faller Klamm am Sylvenstein. Der Fluss stürzte dort zwischen zwei Felswänden in eine Schlucht mit schroffem Gestein. Noch heute erinnern Holzmarterl an die vielen Männer, die in der Isar den Tod fanden.

Heute verdienen Flößer wie der Sepp, Jason oder Konrad ihr Geld nicht mehr damit, Holz nach München oder gar noch weiter, bis nach Budapest, zu transportieren. Nein, heute bietet der Sepp Vergnügungsfahrten auf dem Isarkanal für Touristen, Einheimische, Vereine oder Firmen. An diesem Tag sind seine Leute mit den Mitarbeiter einer Münchner Computerfirma unterwegs.

Immer weniger Bier

Solche Fahrten zeichnen sich vor allem durch laute Musik und den nicht immer maßvollen Konsum von Bier aus, wenngleich der "in den letzten Jahren immer weniger wird", sagt Sepp. Die Computerfirma schafft auf ihrer Fahrt gerade einmal ein 50-Liter-Faß. Früher, so erzählt auch Jason, hätte eine Gruppe wie diese mit rund 40 Leuten "bestimmt drei Fassl braucht". "Jetzt san Wasser, Limo und Cola wichtiger." Dabei besteht die Verbindung zwischen Bier und Isarfloß mindestens schon seit dem 16. Jahrhundert.

In dieser Zeit erlebt das Gewerbeleben des Marktes Tölz eine wahre Blütezeit. Besonders seine 22 Brauereien profitieren von der strategisch günstigen Lage des Ortes an der Isar. Denn ohne das Tölzer Bier wären die Münchner vermutlich verdurstet. Carl Linde entwickelt seinen ersten "Kühl-Apparat" erst 1873, und bis dahin können die Münchner mangels Lagermöglichkeiten nur einmal pro Jahr Bier brauen. 1782 brachten die Flößer 8730 Eimer Bier.

Wegen des Bieres, aber auch wegen des Transports von Käse, Knoblauch, Fisch, Sensen, Geschirr, Baumwolle oder sogar Waffen steigt die Anzahl der Flöße auf der Isar permanent an. 2400 Flöße gehen im 16. Jahrhundert allein von Tölz ab, 1782 sind es dann schon 3706, 1784 sogar 4088.

Heute sind die beiden Seitner-Betriebe und der Betrieb von Michael Angermeier die einzigen drei Flößereien, die noch existieren. "Mit der Erfindung der Dampflokomotive wurde es für uns immer schwieriger, weil die ja immer mehr Transporte übernommen hat", sagt der Sepp.

Dass der Sepp Seitner heute noch als Flößer arbeiten kann, hat er der Sturheit seines Großvaters zu verdanken. Anders als alle anderen Flößer weigerte sich dieser Mann, sein Floßrecht an die Isar-Amperwerke zu verkaufen. "500000 Reichsmark haben die meinem Großvater geboten, aber der hat immer nur g'sagt: Was soll ich mit dem Geld, wenn meine Kinder auch noch Floß fahr'n wollen?" Großvater Seitner soll auch durchgesetzt haben, dass der Isarkanal, der im Zuge des Kraftwerkbaus errichtet wurde, für Flöße beschiffbar gemacht wird.

Mit 40 Stundenkilometern rast das Floß in die Tiefe

Dazu gehört auch das Überwinden von Höhenunterschieden. Dafür wurden nicht weniger als sieben Rutschen für die Reise auf dem Kanal via Floß gebaut, eine davon, im Mühltal, ist mit ihren 350 Metern die längste Europas. Jason bindet dafür hinten die Stämme enger zusammen: "Da gehts oft nur um Zentimeter." Doch er und all die anderen Flößer beherrschen ihr Handwerk wie einst ihre Altvorderen. Mit 40 Stundenkilometern, mehr als doppelt so schnell wie die Fließgeschwindigkeit auf dem Kanal, rast das Floß in die Tiefe.

Angst vor der Zukunft hat der Sepp nicht: "Die Floßfahrt, die wird es immer geben. Da hat mein Großvater schon Recht g'habt." Schließlich hat er den Jason, der kräftig mit anpackt.

© SZ vom 9.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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