Süddeutsche Zeitung

Die Stadt und ihr Fluss - Teil 2:Reißende, reizende, reiche Isar

Mönche flohen vor den Hunnen dorthin, wo München heute steht - die Stadt verdankt ihre Entwicklung dem Fluss und seinen Stadtbächen.

Franz Freisleder

An Münchens Anfang steht die Isar. Möglicherweise gleich zweimal: Aus einem "Rettungshügel" nahe ihrem Westufer wurde nach mündlicher Überlieferung einst eine erste Siedlung. Die wiederum verdankt einer Isarbrücke den Aufstieg zu Markt und Stadt. Vom Einfluss der Isar auf München und vom Wandel, dem sie auf ihrem Durchzug selber ausgesetzt war und ist, handelt unsere Flusskreuzfahrt durch die Jahrhunderte.

Als nach der Niederlage des bayerischen Heeres unter Markgraf Luitpold anno 907 bei Preßburg die Hunnen über Bayern herfallen, breiten sie sich mit ihren kleinen Rössern rudelweise im Gebiet zwischen Isar und Amper aus.

Flucht aufs Petersbergl

Auch im Kloster Schäftlarn, das damals schon 150 Jahre alt ist, sieht man sich zu Sicherheitsvorkehrungen genötigt. Ein Teil der Mönche macht sich mit dem Kirchenschatz nordwärts auf den Weg. Nach ein paar Stunden bietet sich ihnen in der Isartalödnis eine kleine Erhebung mit schützenden Höhlen als Flüchtlingslager an - unser heutiges Petersbergl.

Schäftlarn brennen die Hunnen nieder; auch im nahen Sendling, Giesing und Haidhausen - München existiert ja noch nicht - wüten sie. Das Versteck auf dem Petersbergl aber bleibt unentdeckt. Und nach ihrer Rückkehr um 913 beschließen die Mönche, das bisherige Notquartier zu einer "Filiale" auszubauen, um die herum sich bald Bauern ansiedeln. "Ze den Munichen" - bei den Mönchen, nennt man das Dorf.

Rund 250 Jahre später lässt Herzog Heinrich der Löwe die Föhringer Isarbrücke niederbrennen und in München zwischen 1156 und 1158 (in Höhe der heutigen Ludwigsbrücke) eine neue errichten. Sie bringt dem Ort das bisher in Föhring zu Gunsten der Freisinger Bischöfe ausgeübte Markt- und Münzrecht, mit dem die lukrativen Zolleinnahmen aus den Reichenhaller Salztransporten verbunden sind.

Sichere Festungsmauern

Die neue Stadt braucht Wirtschaftskraft, die sich nicht allein aus Brücken- und anderen Transitzöllen ergibt. Und Sicherheit. Für die sorgen Festungsmauern mit zwei Bachringen, von Isarwasser gespeist. Deren Spuren belegen ursprünglichen Umfang und erste Erweiterung Münchens. Bei den folgenden Expansionen, beginnend an der Wende zum 19. Jahrhundert, sind dann die Zeiten von Wall und Graben vorbei.

Zunächst umschloss der innere Ring die leonische Stadt, so benannt nach ihrem Gründer, Heinrich dem Löwen. Doch drinnen wird es bald zu eng. Die neuen Häuser an der Neuhauser und Sendlinger Gasse, im Tal und an der heutigen Dienerstraße kommen bereits außerhalb zu liegen; ebenso die nach dem Bürgeraufstand von 1385 den Alten Hof ablösenden Bauten der neuen Residenz.

Der zweite, äußere Schutzring wird fällig, vom Hofgartenrand verläuft er über den heutigen Maximiliansplatz, den Stachus und die Sonnenstraße zum Sendlinger Tor; von dort zum Isartor und um das Kosttor herum, die "Neufeste" einschließend, zum Ausgangspunkt zurück.

Bauboom verändert Flusslandschaft

Diese Gräben vor den Stadtmauern entsorgen auch die Abwässer. Mit den Nebenarmen der Isar bilden sie ein Netzwerk, das die Stadt mit Energie versorgt, das Mühlen, Eisenhämmer und Sägewerke antreibt, Brunn- und Pumpanlagen fürs Trinkwasser bedient. Im Zug des Baubooms, der Ende des 19. Jahrhunderts einsetzt, werden die Stadtbäche mehr und mehr überwölbt. Das Altstadtbild verändert sich dadurch, denn sie tauchen nur mehr an wenigen Stellen auf - wildromantisch etwa auf einer kurzen Strecke bei der Pfistermühle.

Energie aber liefert die Isar nun vor allem in Form von Strom, dank der Kraftwerke und Kanäle. Der in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts beginnende U- und S-Bahnbau bringt für fast alle diese Wasserläufe das Aus. Übrig bleiben zunächst nur die Bachläufe durch den Englischen Garten, der - Rumford hin, Sckell oder Werneck her - ohne die Wasserspenden der Isar überhaupt nicht denkbar wäre.

Ebenso bedeutsam wie jeder der Stadtbäche ist für München die Isar-Hauptader. Ein erster Beleg, wonach es schon Ende des 7. Jahrhunderts dort Floßverkehr gegeben hat, findet sich im Bericht des Freisinger Bischofs Arbeo (746-783) über das Leben des heiligen Emmeram.

Nach seinem Martertod vorübergehend in Aschheim beigesetzt, wurde sein Leichnam nahe dem heutigen Emmeram-Steg in Oberföhring zum Weitertransport nach Regensburg auf ein Isar-Floß verfrachtet. Flößbar ist die "Tochter des Karwendels" bereits von Scharnitz und Mittenwald aus - bis die Kraftwerke des 20. Jahrhunderts die Startplätze nach weiter unten verschieben.

Blühende Holzindustrie

Für die wachsende Residenzstadt München, ihren Verbrauch an Baustoffen, aber auch an südlichen Importgütern wird die Isar zum lebenswichtigen Wasserweg. Vor allem der Holzbedarf steigt von Jahr zu Jahr: Werkholz für die Wagner, Zimmerer, Kistler, Schreiner, Drechsler und Schäffler; Brennholz für die Brauer, Bäcker, Branntweinbrenner und Badstuben. Als nach drei Flächenbränden im 14. und 15. Jahrhundert die bis dahin üblichen Holzhäuser von Steinbauten verdrängt werden, verheizen die Kalk- und die Ziegelöfen Brennholzflöße am laufenden Band.

Die Nadelwälder im Isarwinkel dienen den Münchnern als schier unerschöpfliches Holzreservoir. Und die Isar erschließt es ihnen. Ein Paradebeispiel: Isarflöße liefern in den Siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts das gesamte Bauholz für den Dachstuhl der Frauenkirche.

Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert war München Hauptumschlagplatz der gesamten Isarflößerei. Hinzu kam noch der erst ab Höhe Grünwald mögliche Verkehr mit Schiffen, Zillen oder Plätten, die wenig Tiefgang hatten. Marmor, Bau- und Pflastersteine, aber auch Passagiere und Tiere wurden damit transportiert. Da kam man mit einer Lände nicht aus.

Ältester und wichtigster Münchner "Flußbahnhof" war die schon im 13. Jahrhundert existierende "Untere Lände", nördlich der Ludwigsbrücke im Bereich Steinsdorf-, Länd-, Widenmayerstraße, die im 16. Jahrhundert nach Süden ausgedehnt wurde. In ihrem nördlichen Teil gehörten dazu ein Holzmarkt, Umschlagplätze für Steine und Kalk, eine Wein- und eine Schäfflerlände sowie zwei Flößerwirtschaften: der "Ketterl" und der "Grüne Baum".

Im Südabschnitt lagerte die Holzkohle, der die Kohleninsel ihren Namen verdankt. Von 1784 an war sie dann ein Jahrhundert lang Kasernenareal, von 1898 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs Messe- und Ausstellungsplatz; seit 1925 steht dort das Deutsche Museum.

Die Holz- und die Baumstraße erinnern noch an die ebenfalls im 13. Jahrhundert angelegte, aber weniger bedeutende "Obere Lände" am Westermühlbach. Sie war nicht für den Floß-Transit verwendbar. Müller, Bäcker und Brauer hatten dort ihre Holzlagerplätze. Eine weitere Anlage, die Not-Lände bei Thalkirchen, gab es erst seit 1857.

Geschäft flussabwärts

Hauptgeschäft der Münchner Flößer und Fischer - allein Letztere dürfen bis Mitte des 17. Jahrhunderts Personen bis Wien führen - ist der Betrieb isarabwärts. Neben Holz als Hauptexportgut finden Papier, Käse, Bier, Lederlohe und "Münchner Golschen", ein beliebter weißblau oder weißrot gewürfelter Leinenstoff, den Weg in die Donaustädte.

Schon im 15. Jahrhundert lassen sich Münchner Ratsherren zu Verhandlungen auf Zillen nach Landshut fahren. Von 1623 bis zur Eröffnung der Bahnstrecke anno 1860 befördern regelmäßig so genannte Ordinari-Flöße Passagiere bis Wien, steuern "Wochenflöße" mit Reisenden Landshut, Dingolfing, Landau und Plattling an. In den Türkenkriegen schwimmen Mannschaften, Waffen und anderer Nachschub für das bayerische Heer von München aus bis Preßburg hinunter.

1796 rettet Galerie-Inspektor Georg Dillis auf zehn Isar-Flößen, die er nach Linz begleitet, Bilder und andere Kunstschätze der Residenz vor der französischen Revolutionsarmee. Auf dem Höhepunkt der Isarflößerei, zwischen 1860 und 1877, kommen jährlich acht- bis zehntausend Flöße nach oder durch München.

Geblieben ist die Gaudi-Flößerei

Die Isarregulierung von 1886 mit ihren Kaimauern zwischen Maximilians- und Ludwigsbrücke bedeutet das Ende für die traditionsreiche "Untere Lände". Auch die anderen Anlegeplätze verschwinden. Seit 1902 endet jede Isar-Floßfahrt aus dem Oberland an der städtischen Zentrallände in Maria Einsiedel.

Das letzte Transit-Floß passiert 1910 die Landeshauptstadt. Unter dem Jubel der am Ufer winkenden Münchner bringt es Mitglieder des Veteranen- und Kriegervereins Lenggries zum 100-jährigen Gründungsjubiläum ihres Brudervereins nach Moosburg. Der Gütertransport findet nach dem Zweiten Weltkrieg sein Ende.

Geblieben ist allein in der schönen Jahreszeit die Gaudi-Flößerei mit Bier und Blasmusik von Tölz oder Wolfratshausen nach München, mit der rasanten Rutschpartie durch die Mühltaler Schleusengasse als Höhepunkt. Die dazu nötigen Baumstämme werden nicht mehr wie früher am Zielort verkauft, sondern auf Lastkraftwagen zur Wiederverwendung zurücktransportiert.

Dorado für Nacktbader

Die Isar als Beschützerin, Wirtschaftsmotor und Energieversorger. Als Naturschönheit, an deren Hochufern romantische Villen á la Burg Schwaneck ins Tal grüßen oder beliebte Ausflugsgaststätten wie die Menterschwaige oder die Waldwirtschaft einladen. Als Anlass für das Entstehen Münchner Andachtsstätten wie Maria Thalkirchen, Marienklause oder Sankt Emmeram, zu denen nach wie vor die Gläubigen wallfahren. Als Dorado für Wanderer, Hobbyfischer, Kanusportler, Schwimmer und Nacktbader.

Das ist die eine Seite. Schon die Römer aber nannten den rasanten Alpenfluss auch "izarra" - die Reißende. Die Entwicklung Münchens im 19. Jahrhundert zur Großstadt erfordert es, die Isar im Stadtbereich in ein Bett mit festen Ufern zu zwängen, Kaimauern, Wehranlagen und Werkkanäle zu errichten, künstliche Zu- und Abflüsse zu bauen. Denn Tal, Lehel und Herzogpark waren immer wieder von Überschwemmungen heimgesucht. Brücken - inzwischen verbinden die beiden Münchner Ufer ihrer vierzehn nebst sieben Stegen - wurden wiederholt weggespült.

Den entscheidenden Anstoß zu den folgenden umfangreichen Eingriffen gibt der Einsturz der Ludwigsbrücke am 13. September 1813. An die hundert Münchner, die auf ihr stehen, um ein Hochwasser-Schauspiel zu bestaunen, werden mit in die Tiefe gerissen. Nur einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken, dass niemand ums Leben kommt, als kurz hintereinander, am 13. und 14. September 1893, Max-Joseph- und Prinzregentenbrücke einstürzen.

Ökologisches Umdenken

Weil heute die Münchner mehr mit der Isar als von ihr leben, kam es in jüngerer Zeit zum ökologischen Umdenken. Um die Stadt zu verschönern und ihr Klima zu verbessern, will man das alte Bachsystem wieder neu beleben. Erste Beispiele: der Auer Mühlbach im Bereich am Neudeck oder der Köglmühlbach vor der Staatskanzlei.

Für die Hauptader ist ein Renaturierungsprogramm im Gang, das den Fluss streckenweise wieder seiner Fesseln entledigt - ein weiterer Etappensieg im Sinn des weitsichtigen Architekten Gabriel von Seidl! Mit seiner Initiative zur Gründung des Isartalvereins gab er ja schon 1902 den Anstoß zur Bewahrung des Münchner Erholungsjuwels, als es im Süden der Stadt von umweltschädlicher Industrialisierung und ungebremster Baulust bedroht war.

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SZ vom 5.8.2005
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