Sportvereine:Den Vereinen gehen die Ehrenamtlichen aus

Der ehrenamtliche Hockeytrainer Niklas Burger in der Sporthalle der Berufsschule für Augenoptik am Marsplatz 8, 14.02.2019.

Morgens Uni, nachmittags und abends Training, Videoanalysen in der U-Bahn: Niklas Burger spielt Hockey und trainiert drei Teams.

(Foto: Jan A. Staiger)
  • In München fördert das Sportamt rund 5000 Übungsleiterinnen und Übungsleiter in 711 Sportvereinen.
  • Doch es wird immer schwieriger, Ehrenamtliche zu finden, die aushelfen.
  • Auch bei vielen Sportlern zählen nur Name und Erfolg, darum wechseln sie den Club und die Mannschaften sind nicht mehr gut eingespielt.

Von Christoph Leischwitz

Neulich trat ein junger Torwart an Maurizio Pitari heran und sagte ihm, er könne zu einem bestimmten Verein wechseln, dessen erste Mannschaft höherklassiger spielt. Trainer Pitari stutzte und sagte: "Die haben doch schon zwei gute Torhüter." Als Antwort bekam er zu hören: Ich setze mich dort zur Not auch auf die Bank, Hauptsache, die Kohle stimmt.

Pitari ist Trainer und Abteilungsleiter beim BSC Sendling, seit 20 Jahren ist er ehrenamtlich für den Verein tätig, fünfmal pro Woche auf der Anlage anzutreffen. Für ihn sind Jugendliche mit solchen Ansprüchen nur Ausdruck eines tiefersitzenden Problems. "Die Beständigkeit im Verein geht verloren", sagt er. Auf dem Platz kann das dazu führen, dass Mannschaften nicht mehr so gut eingespielt sind, weil sie nicht mehr seit der Kindheit zusammenspielen. Doch das Problem betrifft auch die Helfer im Hintergrund. "Wenn ich jemanden frage, ob er bei uns Trainer machen will, dann ist die erste Frage oft: 'Wie viel verdiene ich damit'?", sagt Pitari.

Etwa 5000 Übungsleiterinnen und Übungsleiter in 711 Münchner Vereinen fördert das Sportamt, die Zahl der Ehrenamtlichen insgesamt dürfte noch höher sein. Doch solche zu finden, wird immer schwieriger. Und die, die sich finden lassen, haben oft immer weniger Spaß daran. Weil sie oft die Arbeit für drei machen. Weil es immer komplizierter wird, Vereins-Formalitäten zu erledigen. Weil abends Trainingsplätze überbelegt sind, wenn Menschen immer länger arbeiten und Kinder immer länger zur Schule gehen. Und vor allem: Wegen des Umgangs der Eltern mit Trainern und Betreuern.

Wer mit den Ehrenamtlichen spricht, hört viel von den Tendenzen, die für ein Vereinsleben schädlich sind. Der in vielen Satzungen ausgerufene Gemeinsinn sowie die Pflege des Mannschaftssports werden ausgehöhlt durch persönliche Vorlieben und Ansprüche, das Breitensport-Prinzip dem Leistungsgedanken untergeordnet. Anfragen wie folgende häufen sich: Ein Mitglied kommt zum Abteilungsleiter und sagt - ich war ein halbes Jahr lang krankgeschrieben und konnte keinen Sport machen, ich möchte für diesen Zeitraum meinen Mitgliedsbeitrag erstattet bekommen. Es fehlt das Verständnis dafür, wie sich ein Verein finanziert: zum allergrößten Teil aus Mitgliedsbeiträgen. Damit werden oft auch andere, kleinere Abteilungen mitfinanziert. Wenn aber jeder nur noch genau für das zahlt, was er selbst in Anspruch nimmt, wäre schnell kein Spielbetrieb mehr möglich.

Darüber hinaus gelte oft: "Nicht geschimpft ist Lob genug" - das sagt Ferdinand Stern, der Mann für alles in der Fußballabteilung des zufälligerweise gleichnamigen FC Stern in Trudering. Es läuft aber eben nicht immer alles rund: Der FC musste während des Umbaus der heimatlichen Bezirkssportanlage Ausweichplätze suchen. Für 36 Mannschaften. Das große Improvisieren verlief nicht immer reibungslos. Da bekomme man schon mal E-Mails mit der Aufforderung, "nicht nur gescheit daherzureden, sondern auch mal was zu machen", berichtet Stern. Der 65-Jährige "macht" seit 25 Jahren im Verein.

Besonders anspruchsvollen Eltern rechnet Stern gerne vor, dass sie mit dem Jahresbeitrag von 144 Euro umgerechnet etwa 60 Cent für eine Stunde Betreuung zahlen. Doch noch wichtiger als das Preis-Leistungs-Prinzip wird oft das Leistungsprinzip, ohne Rücksicht auf den Teamgeist. Michael Widmann vom ESV Freimann berichtet von Eltern, die ihre Kinder aus dem Verein nähmen, weil ihre Mannschaften öfter verlieren als gewinnen. Umgekehrt brächten sich Eltern immer seltener ins Vereinsleben ein. Bei Auswärtsspielen finden sich oft keine Mitfahrgelegenheiten, wie Widmann sagt. Es packt auch selten jemand von den Eltern mit an, wenn sie ihre Kinder vom Training abholen und der Trainer, ganz der Dienstleister, Tore, Hütchen und Netze alleine verräumt. Kurz gesagt: Der Umgang wird unpersönlicher.

Vielen geht es nur um Erfolg und Leistung

Es gibt sie freilich noch, die familiär geführten Fußballvereine. Ein Donnerstagabend beim SC München an der Agilolfingerstraße. Franz Forstner ist schon seit 17.30 Uhr da, obwohl das Training mit der ersten Mannschaft erst um 19.30 Uhr beginnt. Bis dahin redet er mit Eltern und Trainern, pumpt Bälle auf, richtet Hütchen und Leibchen her, spricht mit dem Wirt. Die Mannschaft fliegt nächste Woche ins Trainingslager in die Türkei, bei der Rückkehr gibt's in der Gaststätte Schweinebraten. Die B-Junioren schippen den Schnee vom Kunstrasen, damit am Samstag endlich wieder Testspiele stattfinden können.

Auch während des eigenen Trainings legt Forstner die Hütchen bereit, er macht die Ansagen, in den Übungen ist er dann ein Spieler unter vielen. Innerhalb von Sekunden wechselt er die Rolle. "Ich richte auch meinen Urlaub nach dem Fußball, ich habe das immer so gemacht", sagt der 39-Jährige, der mit 17 schon Trainer war. Auch er sagt, dass ehrenamtliche Arbeit immer weniger wertgeschätzt werde. "So", sagt er und macht eine abwertende Handbewegung, die bedeuten soll: Lass den doch reden. Und auch wenn er oft noch bis halb zwei Uhr morgens im Vereinsheim Karten spielt: Auch beim SC München bleibt das immer öfter leer.

Ehrenamt Trainer Franz Forstner

Beim SC München liefe vermutlich wenig ohne Spielertrainer Franz Forstner.

(Foto: Jan A. Staiger)

Vielen fehlt das Verständnis dafür, was der Breitensport leisten kann und soll. Dazu gehört zum Beispiel, dass in einer Mannschaft alle zum Zug kommen. Wenn Freimanns Trainer Widmann bei einer Ligapartie einen schwächeren Spieler einwechselt, dann sagt schon mal der Vater eines anderen Jungen: "Wieso wechselst du denn den jetzt ein? Dann ist doch klar, dass wir verlieren." Wenn man umgekehrt empörte Eltern auf solche Sätze anspricht, sagen sie, dass es doch auch für die ganze Mannschaft frustrierend sei, wenn sie ständig verliere. Das bedeutet allerdings: Ein Trainer ist dazu da, die Besten auszusuchen - wo gehen dann die anderen hin? "Die zahlen doch auch Mitgliedsbeitrag", sagt dazu SC-Spielertrainer Forstner.

Wer sich nicht seinen Leistungen entsprechend behandelt fühlt, wer glaubt, er könne erfolgreicher sein, verlässt schnell den Verein. "Bloß keine Steine mehr aus dem Weg räumen, das mag keiner", sagt Pitari aus Sendling. Die Grundannahme sei wohl, es gebe ein Leben ohne Steine. Dass es aber eher darum geht, in einem Verein zu lernen, diese aus dem Weg zu räumen, das verstünden viele nicht mehr.

Der Fußball hat diese Haltung nicht exklusiv. Die "Frustrationstoleranz" sinkt, sagt Paul Rabe vom Hockeyklub Rot-Weiß München, ebenso die "Akzeptanz von Mittelmaß". An sich gehe es im Verein immer noch sehr familiär zu. Doch der Wunsch nach der individuellen Optimierung mache sich häufig bemerkbar, dadurch steige die Bereitschaft zum Vereinswechsel. "Dabei ist das Wichtigste eigentlich die Kontinuität", sagt der 36-Jährige. Diese komme aber unter dem "Deckmantel der Flexibilität" viel zu kurz. Selbst wenn Spieler regelmäßig trainieren, kann es passieren, dass sie am Wochenende beim Spiel fehlen, weil sie mit den Eltern zum Gardasee fahren.

Bei den Ehrenamtlern ist Rabe auf Trainer wie den 23-jährigen Niklas Burger angewiesen, der selbst spielt, insgesamt drei Teams coacht, nur morgens in die Uni geht, die Videoanalyse seiner Teams in der U-Bahn vornimmt und sagt: "Mir bringt es als Lehramtsstudent total viel, mit den Jugendlichen arbeiten zu können." Überhaupt, die Uni: Dank Bachelor- und Master-Studiengängen zerfranse das Vereinsleben komplett, sagt Burger, da eine langfristige Kaderplanung kaum noch möglich sei. Studenten seien ja selten länger als zwei Jahre am Stück in der Stadt.

"Die Eltern, die im Kind nur den Star sehen", das mache den meisten Ärger im Junioren-Fußball, sagt Ferdinand Stern aus Trudering. Der "falsche Ehrgeiz", der die Kinder viel zu früh unter Druck setze, sagt auch Michael Widmann aus Freimann. "Es sollen ja alles kleine Philipp Lahms werden." Dabei könne seiner Meinung nach ein Junge noch locker bis zur C-Jugend in seinem Verein spielen und trotzdem später noch Profi werden. Ausgerechnet Philipp Lahm selbst bestätigt das: Der spätere Weltmeister spielte bis zu seinem 13. Lebensjahr bei der familiären FT Gern, ehe er zum FC Bayern wechselte.

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