Die Seen der Münchner (7):Unschuld vom Lande

Der Kirchsee erfüllt alle Kriterien einer Idylle.

Birgit Lutz-Temsch

Bei einem See, der vor einer dramatischen Bergkulisse in saftigen Wiesen liegt, über dem eine Kirche thront und an dessen Ufer sich nichts als Schilf im Wind wiegt, sagt man sehr schnell: Das ist eine Idylle. Dieser Begriff wird gerade im Zusammenhang mit dem Voralpenland inflationär gebraucht, ebenso wie in Immobilienanzeigen vom Würmtal bis nach Haar oder Ferienwohnungswerbungen von Feldafing bis Prien. Was genau allerdings eine Idylle auszeichnet, darüber scheinen sich die Verkünder einer solchen oftmals nicht einig zu sein oder zumindest den Begriff sehr weit zu dehnen, in dem Sinn zum Beispiel, dass manchmal ein idyllischer Name schon genügt, um deren reale Existenz vorzugaukeln.

Die Seen der Münchner (7): Innehalten und den Blick in die Weite richten: Wer Erholung sucht, wird sie am Kirchsee finden.

Innehalten und den Blick in die Weite richten: Wer Erholung sucht, wird sie am Kirchsee finden.

(Foto: Foto: dpa)

Deswegen sei hier genau geprüft, ob man beim Kirchsee mit ruhigem Gewissen von einer Idylle sprechen kann.

Eine Idylle im herkömmlichen Sinn ist "ein kleines episches oder dialogisches Gedicht, meist mit lyrischen Einlagen, das ländliche Einfachheit, einen idealen, unschuldsvollen Zustand beispielhaft vorführt" - so steht es im Brockhaus. Zurück geht der Begriff auf die Werke des Theokrit, der sich in seinen Idyllen vorwiegend über das friedliche Leben der Hirten ausließ. Davon ausgehend wird nun aber auch der Inhalt der Idylle als selbige verstanden. Mit den im Lexikon genannten Kriterien allerdings kann man klären, ob der Kirchsee diese Zuordnung verdient.

Das erste Kriterium - ländliche Einfachheit - erfüllt der südlich der Stadt gelegene Kirchsee mit Bravour: Es gibt dort wenig Kompliziertes, ebenso wenig Städtisches. Ein Sträßchen führt hinab in das Ellbach-Kirchseemoor, in dem der See liegt, gut anderthalb Kilometer von der kleinen Gemeinde Sachsenkam entfernt. Ein sehr einfaches Toilettenhäuschen, ein kleiner Kiosk, eine Station der Wasserwacht sind die einzigen Bauten in der Nähe des Seeufers. An diesem gibt es keine riesigen Liegewiesen, eher kleine Picknickbuchten im hohen Gras. Bis kurz vor der Überfüllung kann man mit einiger Phantasie den Eindruck haben, man sei fast alleine.

Der Eindruck des Ländlichen, vor allem des Voralpenländlichen, wird verstärkt durch den Blick auf die Bergketten des Isarwinkels und des Karwendelgebirges. Wie eine gemalte Oberbayern-Kulisse scheint diese Ansicht, die deswegen auch schon für einige Serien wie das Forsthaus Falkenau, die Rosenheim-Cops oder den Bullen von Tölz herhalten musste. Ein weiteres Symbol von Ländlichkeit ist die über dem See thronende Kirche des Klosters Reutberg, deren Turmspitze alle umstehenden Bauten deutlich überragt. Auch sind in die jahrhundertealte Sichtachse zwischen Turmspitze und See keine störenden Hochbauten eingebracht worden, die die gewachsene Silhouette empfindlich verletzen würden.

Wendet man sich dem zweiten Kriterium zu - unschuldsvoller Zustand - so kann man auch dieses als erfüllt betrachten. Das Gebiet steht schon seit mehr als 60 Jahren unter Naturschutz. Das Ufer ist im Badegebiet nur mit Holzplanken befestigt, außerdem führen Stege ins Wasser. Diese erfüllen das Kriterium "ideal" - denn sie erleichtern vor allem denen, denen es vor dem schlammigen Moorgefühl zwischen den Zehen graust, den Einstieg ins Badevergnügen, weil das Schwimmen ohne Bodenkontakt beginnen kann. Naturbelassen ist auch das Badeerlebnis, weil man nach dem Schwimmen im samtweichen Moorwasser einen Teil des Moors in Form kleiner Bröckchen an der Haut behält, was teure Moorpackungen in verkünstelten Beautystudios erspart. Zudem ist anzunehmen, dass auch die Präsenz der nahen Klosterkirche zum Erhalt der See-Unschuld beigetragen haben dürfte.

Zum Kloster schließlich gehören ein Bräustüberl und ein Biergarten, wo neben dem verzaubernden Bergblick auch deftige Schmankerl genossen werden können. Dazu gibt es den in der Hausbrauerei gebrauten Reutberger Josefibock, der es auf stolze 6,9 Prozent bringt. Von diesem heißt es in der Speisenkarte: "Der milde Geschmack des Josefibocks animiert zum Weitertrinken." Als Nachspeise lohnen die Auszognen oder einer der Strudel, dazu vielleicht einen der im Holzfass gereiften Schnäpse. Und damit sollte hinlänglich belegt sein, dass es sich beim Kirchsee nebst Kloster Reutberg um eine Idylle handelt - denn all diese Faktoren zusammengenommen sind ohne Frage: ein Gedicht.

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