"Die Passion Christi":Wenn die Träne Gottes tropft

Zwei "Profis" in Sachen Passion haben Mel Gibsons Film vorab gesehen und diskutieren seine Stärken und Schwächen: Bibelwissenschaflter Joachim Gnilka und Christian Stückl, der Intendant des Volkstheaters, der 1990 und 2000 die Oberammergauer Passionsspiele inszeniert hat.

Interview: Monika Maier-Albang / Fritz Göttler

SZ: Herr Professor Gnilka, wie hat Ihnen "Die Passion Christi" gefallen?

Joachim Gnilka: Der Film hat mich nicht besonders angesprochen. Es gibt erschütternde Szenen, bei denen man eigentlich nur die Augen zumachen kann. Aber am Schluss fragt man sich: Worum geht es eigentlich?

Christian Stückl: Ich habe keine Probleme mit der Darstellung der Brutalität, die oft kritisiert wird. Wenn nur darüber hinaus etwas kommen würde.

SZ: Mel Gibson zeigt doch in Rückblenden Szenen aus Jesu Leben, die mit seiner Botschaft zu tun haben. Etwa die Bergpredigt.

Stückl: Ich habe mich über die Rückblenden noch viel mehr geärgert als über den Rest, weil die so dämlich ausgesucht sind. Was soll mir das sagen, wenn ich Jesus als Schreiner sehe, wie ihn die Mama zum Essen ruft?

Gnilka: Ich denke, Mel Gibson verfolgt zwei Intentionen: Er will das physische Leid herausstellen, das Jesus ertragen musste. Und er will möglichst authentisch sein.

SZ: "Es ist, wie es war", hat Mel Gibsons PR-Firma den Papst sagen lassen. Wie authentisch ist der Film - zum Beispiel die Sprache?

Gnilka: Mel Gibson lässt seine Akteure Aramäisch und Latein sprechen. Pilatus sprach Latein, das ist bezeugt. Die römischen Soldaten aber haben sicher Straßengriechisch gesprochen.

SZ: Jesus unterhält sich mit Pilatus auf Latein.

Gnilka: Auch das ist merkwürdig. Wie ich ohnehin diese protokollartige Wiedergabe des Geschehens, die Mel Gibson versucht, für unmöglich halte. Alle Überlieferungen, die wir in den Evangelien haben, sind interpretierte Überlieferungen.

Stückl: Die Frage, wie authentisch kann und muss man sein, haben wir uns in Oberammergau auch gestellt. Bis 1970 gab's auf der Bühne zum Beispiel so gut wie kein Blut. Aber weil die Kreuzigung einfach brutal war, muss man es auch zeigen. Mich stört weniger, dass Gibson seinen Anspruch nach Autentizität selbst nicht durchhält, wenn er etwa die Nägel durch die Handfläche schlagen lässt und nicht durch den Handwurzelknochen, wo sie hingehören. Er bemüht halt die alten Bilder - etwa von der Schlange, der der Kopf zertreten wird. Oder die Träne Gottes, die aus dem Himmel tropft, wenn Jesus stirbt. Aber er deutet sie nicht. Und es wird wahnsinnig willkürlich mit biblischen Geschichten umgegangen.

Gnilka: Historisch betrachtet ist der Kreuzestod Jesu das am meisten gesicherte Ereignis im Leben Jesu. Und in der Darstellung der Brutalität ist Gibsons Schilderung zum größten Teil wohl realistisch. Aber ich habe mich beim Zusehen immer gefragt: Was ist hier typisch für Jesus? Auch Spartakus, der aufständige Sklave, wurde gekreuzigt. Und es gibt heute noch schrecklichere Foltermethoden. Im Film werden zwar manche Worte gesprochen, die sehr wichtig sind: etwa das Gebot von der Feindesliebe. Oder wenn Jesus vom Kreuz herunter sagt: "Vater, vergib ihnen." Das ist der Angelpunkt für das Verständnis des Geschehens. Aber es geht unter in greller Musik.

Stückl: Gibson entwickelt ja eine sehr intensive Bildersprache. Diese Tücher, die die Frau des Pilatus Maria reicht, sind so weiß, dass es in den Augen sticht.

SZ: Maria wischt im Film das Blut Jesu mit diesen Tüchern auf.

Gnilka: Das ist eine legendarische Überlieferung, die auf Visionen der westfälischen Nonne Anna Katharina Emmerich zurückgehen.

SZ: Jesu Blut, das nicht verloren gehen darf, weil es so kostbar ist?

Gnilka: Ja, Blut ist Mel Gibson wichtig. Er bringt es aber in einer fragwürdigen Weise mit dem Abendmahl zusammen. Man gewinnt bei ihm fast den Eindruck, dass die Christen beim Abendmahl das Blut Jesu trinken. Es sind aber der Tod und die Auferstehung Jesu, die im Abendmahl gegenwärtig werden.

SZ: Was hätten Sie anders gemacht, Herr Stückl?

Stückl: Schwer zu sagen. Mich hat als Bub Pasolinis Matthäus-Evangelium begeistert. Dem ist es zumindest gelungen, mir ein Jesus-Bild näher zu bringen, das ich bis dahin nicht kannte: einen lauten Jesus, der sich mit den Priestern und Schriftgelehrten anlegt. Da ist mir über Jesus klar geworden: Der Geist lebt, wo sich jemand was sagen traut und dafür den Tod auf sich nimmt. Da war man damals gleich bei den Geschwistern Scholl.

SZ: Mel Gibson geht es mehr darum, dass Jesus die Folterqualen aushält.

Stückl: Nur fürs Draufschlagen hätte er aber auch einen Statisten oder Stuntman nehmen können. Es ist schon falsch, jemandem gleich in der ersten Szene so ein blaues Auge zu schlagen, dass ich seine Augen nicht mehr sehe. Richtig Hollywood wird es aber da, wo sich die Kinder aus Sicht des Judas in Halbmonster verwandeln. Oder wo der Geldbeutel in slow-motion auf Judas zufliegt. A bisserl anders hätte man auch über Judas nachdenken können. Vielleicht hatte der sich einen ganz anderen Messias erwartet, einen politischeren, und war nicht nur aufs Geld aus?

SZ: Warum begleitet im Film der Teufel, die Versuchung, Jesus vom Ölberg bis nach Golgatha?

Gnilka: Das müssen Sie Mel Gibson fragen. In der biblischen Passionsgeschichte spielt der Teufel keine Rolle.

Stückl: Der ist halt gut für die Action.

SZ: Eine kritische Bibelexegese wertet die antijüdischen Äußerungen in den Evangelien als Ausdruck der Enttäuschung der frühen Christen, die aus der Synagoge verbannt worden waren. Mel Gibson aber liest die Bibel wörtlich und übernimmt dies eins zu eins. Ist sein Film antisemitischer als die Vorlage?

Gnilka: Der Film fußt, exegetisch betrachtet, zu stark auf dem Johannes-Evangelium...

SZ: ... das sehr dualistisch ist: hier die Welt, das Böse, die Juden - dort der Himmel, das Gute, die Christen.

Gnilka: Das Problem der frühen Christen war, dass das jüdische Volk ihren Messias ablehnte. In der Darstellung des Johannes-Evangeliums sagen sich die Juden selbst los von ihrem König.

SZ: "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder", lässt der Evangelist Matthäus die Juden sagen. Nach Protesten der jüdischen Anti Defamation League lässt Gibson den so genannten Blutspruch sprechen, ohne ihn im Untertitel zu übersetzen.

Stückl: Gegen diesen Satz habe ich in Oberammergau schon 1990 gekämpft. Aber die damaligen theologischen Berater Rudolph Pesch und Franz Dietl, damals dort Pfarrer, heute Weihbischof, hatten Angst vor zu vielen Neuerungen. Ich hab dann halt die fünf ältesten Herrn aus dem Dorf genommen, die den Satz vor sich hingenuschelt haben. Bei der Passion 2000 ging's auch ohne den Spruch. Auf der Bühne haben wir eh das Problem, dass alle denken: "Der Jesus war einer von uns, und die Juden haben ihn abgelehnt." Dabei war er zu hundert Prozent Jude, hat in keinem Augenblick an die Schaffung einer Kirche gedacht.

Gnilka: Die frühen Christen waren eine jüdische Sekte wie die Pharisäer, die Sadduzäer, die Essener. Sie wurden auch nicht Christen genannt, sondern Nazoräer. Erst in der gemischt heiden- und judenchristlichen Gemeinde in Antiochia bekamen sie den Titel Christen: die, die sich zu Jesus als dem Christus bekennen.

Stückl: Aber solche Differenzierungen interessieren Gibson ja nicht. Der Hohe Rat war sicher auch nicht einheitlich gegen Jesus. In Oberammergau haben wir das umzusetzen versucht.

Gnilka: Gibson hätte zumindest den Tempelprotest Jesu vorschalten müssen. Sonst versteht man den Konflikt zwischen Jesus und den Hohenpriestern überhaupt nicht. Der Grund für das Urteil war doch politisch: Man wirft ihm vor, das Volk aufzuwiegeln, weil er verbietet, dem Kaiser Steuern zu zahlen und sich zum Messias-König gemacht hat.

SZ: Wie haben wir uns das Zusammenspiel zwischen jüdischer und römischer Obrigkeit bei Verurteilung und Hinrichtung Jesu tatsächlich vorzustellen?

Gnilka: Pilatus kommt im Film auf jeden Fall viel zu gut weg. Er ist dort geradezu ein Freund Jesu. Historisch betrachtet war Pilatus ein skrupelloser Judenhasser. Palästina war eine unsichere römische Grenzprovinz. Da hat man einen Mann hingesetzt, der hart durchgreifen kann. Wenn Jesus unter dem Spott-Titel "König der Juden" gekreuzigt wird, ist das eine Erfindung des Pilatus. Wohingegen die Soldaten, die Jesus verspotten, keine Römer waren. Die Auxiliartruppe des Pilatus war ausgehoben aus der Bevölkerung - und das waren Palästinenser. Den Konflikt Palästinenser-Juden hat es tatsächlich damals schon gegeben.

SZ: Verurteilt und hingerichtet haben Jesus also die Römer?

Gnilka: Davon ist auszugehen. Ich glaube, dass die Mitwirkung des Hohenpriesters Joseph Kaiphas darin bestand, die Anklagepunkte zu sammeln, also den Prozess gegen Jesus vorzubereiten. Wobei man annehmen darf, dass sich Kaiphas und Pilatus ganz gut verstanden und kooperierten. Beide verlieren aber dann auch im gleichen Jahr, 36, ihr Amt. Pilatus hatte in Samaria ein Blutbad angerichtet, wurde vor seine Vorgesetzten zitiert und abberufen.

Stückl: Nicht nur Jesus als politische Figur ist völlig ausgeschaltet. Auch das Frauenbild ist einseitig. Diese Mutter, die stundenlang flennt. Gibson springt auf das falsche Bild der katholischen Kirche auf. Es gibt in den Evangelien eine namenlose Hure, die Jesus im Haus des Nikodemus die Füße gesalbt hat...

Gnilka: ... die erst später mit Maria von Magdala identifiziert wurde...

Stückl: ...was falsch ist. Es gibt also die Hure, dann Maria von Magdala und eine Maria im Haus vom Simon. Drei Frauen, die in ihrem Denken vielleicht weiter waren als mancher Apostel. Aber die Kirche hat aus zwölf Männern zwölf Apostel gemacht. Und die drei Frauen einfach unterschlagen.

SZ: Uns würde noch Ihre Meinung zur Auferstehungsszene interessieren?

Gnilka: Die ist besonders unglücklich.

Stückl: Eine Katastrophe.

SZ: Jesus sitzt im Grab, in seiner eigenen leiblichen Gestalt. Und durch das Loch in der Hand strahlt Licht.

Gnilka: Damit wird die Vorstellung erweckt, dass er in das irdische Leben zurückgekehrt sei. Und die ist falsch.

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