Die neue Platte der Disco-Band "Munk":Soundtrack der heimlichen Hauptstadt

In Sachen Tanzmusik entwickelt sich eine Münchner Schule. Gäbe es zeitgemäße Varietés, würde diese Musik gespielt - und alle sängen mit: Das neue Album von "Munk".

Paul-Philipp Hanske

München zählt eigentlich nicht zu den Pophauptstädten dieser Welt. Unvorstellbar weit weg ist der multikulturelle Popappeal Londons, die Coolness New Yorks und auch gegen den spröden Fabrikhallencharme Berlins hat die brave Weltstadt mit Herz nichts zu melden. In den letzten Jahren jedoch verschob sich diese Randstellung etwas in Richtung Zentrum: Stars sieht München zwar immer noch nur zum Oktoberfest, der Exzess wohnt nach wie vor in Berlin, in Sachen Tanzmusik aber entwickelte sich eine Münchner Schule.

Die neue Platte der Disco-Band "Munk": Taktgeber der Tanzmusik: Mathias Modica vom Label Gomma, der auch Mitglied der Band "Munk" ist.

Taktgeber der Tanzmusik: Mathias Modica vom Label Gomma, der auch Mitglied der Band "Munk" ist.

(Foto: Foto: Jan Schünke)

Die Keimzelle dieses neuen Sound of Munich war und ist das Label Gomma - und die Band der Labelmacher Mathias Modica und Jonas Imbery: Munk. Schon seit der Jahrtausendwende glaubte niemand mehr ernsthaft an das Versprechen von Techno: dass der Sound die Vorhut der musikalischen Zukunft sei.

Tanzmusik hatte sich längst in der Wüste des Minimalismus, des spröden Trommeltechnos verirrt. Die Avantgarde suchte nun in der Vergangenheit nach tanzbaren Inspirationen und fand sie in dem vielfältig ineinander gefalteten Popkosmos namens Disco. Munk war - neben dem New Yorker LCD Soundsystem - eine der ersten Bands, die sich hier vorwagten. Auf ihrem Debüt "Aperitivo" (2003) vermählten sie die Nonchalance von Punk mit der Wärme und Schnittigkeit von Disco.

Notorische Trendsucher lieben die schrägen Disco-Abende in München

Und das Label Gomma entpuppte sich auch als stimmiges Gesamtkunstwerk. Das Artwork wird von dem gefeierten Grafikdesigner Mirko Borsche gestaltet. Modica und Imbery arbeiten mit aufstrebenden Modemacherinnen wie Ayzit Bostan zusammen, suchten die Nähe zum legendären Kiez-Regisseur Klaus Lemke und geben ein Magazin heraus. Als Munk-DJ-Team legen sie grandios abseitige Mixes auf, in die sich auch wunderbar völlig tanzbodenfernes Material wie die Balladen des bayerischen Blues-Barden Willy Michl fügt.

Soundtrack der heimlichen Hauptstadt

Gomma brachte Disco zurück nach München (von wo aus sie in der avancierten Spielform des legendären Südtiroler Produzenten Giorgio Moroder gegen Ende der siebziger Jahre schon einmal die Welt eroberte). Und München machte Gomma damit zu einem Hot Spot der Tanzmusikszene. Andere Münchener Labels, Bands und DJs folgten Gomma - mit dem Ergebnis, dass notorischen Trendsuchern wie dem Berliner Magazin Vice die milden und schrägen Disco-Abende in München gerade in Kontrast zu den harten und exzessiven Techno-Wochenenden in Berlin als segensreiche Entwicklung erschienen.

Schon einmal also war Gomma so etwas wie ein Taktgeber der Tanzmusikszene. Da ist es verständlich, dass das neue Album von Munk, des Gomma-Kernprojekts, mit der denkbar größten Spannung erwartet wird. Dass auch zu "Cloudbuster", so der Titel des Ende Mai erscheinenden Albums, getanzt werden wird, steht außer Frage. Das Album überfällt den Hörer mit einer, ja: Breitseite an Hits, die noch dazu alle zu Beginn nacheinander abgefeuert werden. Auch auf "Cloudbuster" laden Munk wieder Gastsänger ein, wobei die Wahl hier vor allem auf die wunderbare italienische Schauspielerin Asia Argento fiel, die der Halbitaliener Modica in Rom kennenlernte.

Kein Punk mehr. Keine Gitarren. Stattdessen ein echtes Klavier.

Sie singt mit ihrer verwegen-angerauten Stimme über den einleitenden Disco-Hit. Der ist zwar an Eingängigkeit nicht mehr zu übertreffen. Aber es fällt sofort auf, dass - im Gegensatz zum Debütalbum - Munk nun nicht mehr knallen. Kein Punk mehr. Keine Gitarren. Keine dicken Beats mehr und auch der Bass hält sich vornehm zurück. Stattdessen ein echtes Klavier, das mächtig und warm die laszive Melodielinie spielt. Gäbe es so etwas wie geschmackvolle und zeitgemäße Varietés, würden dort die Lieder von Munk laufen. Und das Publikum würde mitsingen.

Aber die mitsingbaren Disco-Songs bilden nur die erste Hälfte von "Cloudbuster". Bald werden die Lieder seltsam. Die Harmonien werden zunehmend komplexer, besonders auffällig ist das in "Psychomagic" - ein verzerrter Flötenchor spielt eine geisterhafte Melodie, die durch mehrere Tonarten gejagt wird. Der Song ist, erklärt Modica, eine Hommage an den großen psychedelischen Regisseur, Tarotmeister und spirituellen Heiler Alejandro Jodorowsky. Dessen bizarre, psychoanalytische und metaphysische Filme aus den siebziger Jahren, allem voran sein obskures Meisterwerk, "Montana Sacra" (1973), dienten Modica als Haupt-Inspirationsquelle.

Soundtrack der heimlichen Hauptstadt

Es sei ihm um "cineastische" Musik gegangen; nicht um einen Soundtrack im engeren Sinn, sondern um Songs, die - wie gelungene Kinomusik - atmosphärisch arbeiten, diffuse und doch konkrete Stimmungen evozieren. Im Endeffekt ist das gesamte Album in diesem Sinne cineastisch, schon die Aufnahme auf dem Cover - ein aufgerissenes, röntgenstrahlendes Auge - zitiert das expressionistische Kino der zwanziger Jahre.

Verwegen trippelnde Filmmusik

Munk sind nicht alleine mit diesem Vorstoß in Richtung cineastische Tanzmusik. Soeben erschien ein Album des britischen Tanzmusik-Projektes Quiet Village mit dem bezeichnenden Titel "Silent Movie". Schon länger experimentieren die beiden Produzenten Joel Martin und Matt Edwards mit Filmmusik. Schon zweimal veröffentlichten sie einen DJ-Mix, der zum Großteil aus Horrorfilmmusik besteht.

Die zuckersüßen Geigen des Roger Webb Orchestras aus den sechziger Jahren erklingen hier neben dem nervös trippelnden"Halloween"- Soundtrack von John Carpenter und als Trenner darf der Massenmörder Charles Manson seine wirren Visionen vortragen. Auf "Silent Movie" machen Quiet Village nun selbst Filmmusik. Die Stücke sind hypnotisierend langsam, Chöre wabern, Geigen sirren unheilschwanger im Untergrund und manchmal schreit ein Opfer eines Zombies. Der wichtigste Ideengeber für Quiet Village aber ist die italienische Progrock-Band Goblin.

Deren große Zeit war in den siebziger Jahren, als der italienische Horrorregisseur Dario Argento (seltsamer Zufall, aber das ist der Vater der Schauspielerin und Munk-Sängerin Asia Argento) sie für die Soundtracks von Horrorklassikern wie "Dawn of the Dead" verpflichtete. Goblin spielten eine so psychedelische wie reduzierte Form des Instrumental-Rocks und erfreuten sich an schaurigen Effekten wie wummernden Glocken oder grausiggrellen Synthesizern. Seit Filmmusik ein kleiner Trend in der Tanzmusik ist, werden die Italiener plötzlich von allen Seiten verehrt.

Soundtrack der heimlichen Hauptstadt

Bei Zombie Zombie hört man die Untoten selbst musizieren

Ihre Musik steht auch Pate für das Pariser Projekt Zombie Zombie. Das trägt den Horror nicht nur schon im Namen, sondern treibt auch die Mimesis an die Filmmusik am weitesten. Ihr selbstbetiteltes, gerade erschienenes Album ist in der Tat ein Film ohne Worte. Im Gegensatz zu Quiet Village, deren bittersüßer Sound manchmal etwas zu zuckrig gerät, hört man bei Zombie Zombie die Untoten selbst musizieren. Das Prinzip der Horrorfilmmusik - Dissonanzen werden enorm in die Länge gezogen, sodass sich daraus ein harmonisches, wenngleich auch bedrohliches Ganzes ergibt - ist für jeden Song die Blaupause.

Nebenbei aber vergessen Zombie Zombie nicht, dass sie für den Tanzboden komponieren. Heraus kommt ein treibender und psychedelischer Instrumental-Synthesizer-Rock, der nicht nur auf Halloween-Parties gespielt werden wird. Der kleine Trend Filmmusik ist Teil einer größeren Bewegung, die man als Ausweitung der Tanzzone beschreiben könnte. Angefangen hat diese tatsächlich vor etlichen Jahren, als Gomma und Gleichgesinnte Disko wiederbelebten - um die Tanzmusik nach einem Jahrzehnt Techno wieder heterogener zu gestalten.

Live fast! Die old!

Der Kalifornier DJ Harvey, neben Gomma ein anderer Vordenker der Tanzmusikerweiterung, nannte seinen Stil einmal "Adult Dance Music". Das benennt ganz gut das eigentliche Movens der Dance-Szene, nach abseitigen Inspirationen zu graben. Am Ende geht es darum, Tanzmusik zu erfinden, mit der man in Würde altern kann - die nicht lau und altersmild ist, die mit anspielungsreichen und trotzdem unerwarteten Hörerlebnissen konfrontiert.

Tanzmusik, die den Bedürfnissen der wachsenden Gruppe der alternden Clubgänger entgegenkommt, die nicht mehr nur zu einer schmetternden Basstrommel tanzen wollen - für die Pop aber auch mehr ist, als mit einem Glas Rotwein über einer guten Jazzplatte zu meditieren. Den Song für genau diese Gruppe haben Munk als Eröffnungsstück für ihr neues Album gewählt: Er trägt den Titel: "Live fast! Die old!"

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