Doktor Klaus Sommer lässt kein Missverständnis aufkommen. „Der Tierarzt“, so schreibt er in der Antwortmail auf die Interviewanfrage, „der Tierarzt ist nicht der Kostenverursacher. Der Tierarzt ist lediglich derjenige, der dem kranken Tier hilft.“ Damit ist ein weit verbreitetes Vorurteil schon mal entkräftet. Klaus Sommer, 53, stammt aus Amberg in der Oberpfalz, ist dort mit Boxerhunden aufgewachsen und wusste schon mit zwölf, dass „die Tiermedizin mir Spaß machen könnte“. Heute betreibt er in der Haderner Heiglhofstraße eine hochmoderne Praxis mit zehn Angestellten. Der sachliche Ton seiner Antworten ändert sich schlagartig, als sein Hund, eine muntere Parson Russel Terrier-Dame namens Cleo in den Raum kommt. Da wird der Herr Doktor zum ganz normalen Hundebesitzer mit Duziduzi und jawoiserdenn.
SZ: Herr Doktor Sommer, gibt es in München zu viele Tierärzte?
Klaus Sommer: Wir sind schon viele Kollegen hier. Dazu kommen noch ein paar Kliniken außenrum.
Die sind aber recht teuer.
Man muss auch sehen, was man dort für sein Geld bekommt. Im Notdienst, also 24 Stunden und 365 Tage, sind wir in München eher knapp besetzt. Da fangen diese Kliniken viel auf.
Es gibt eine neue Gebührenordnung (GOT) für Tierärzte. Wie streng müssen Sie sich daran halten?
Die Gebührenordnung von 2022 war eine neue Überarbeitung der GOT von 2008. Sie war sowohl inhaltlich wie auch preislich längst überfällig. Ohne Sie jetzt mit der langen Geschichte dieser GOT langweilen zu wollen, sei auf ein Detail verwiesen: Auf Basis einer vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft veranlassten Studie wurden 2019 die Kosten einer wirtschaftlichen Tierarztpraxis neutral ermittelt. Auf dieser objektiven Basis wurde die Gebührenordnung erstellt und im November 2022 veröffentlicht.
Man hatte und hat aber nicht den Eindruck, dass es den Tierärzten schlecht geht.
Da kommt der sogenannte Faktor bei der Abrechnung ins Spiel. Wirtschaftlich sinnvoll arbeitende Praxen, also solche mit adäquat bezahltem Personal, haben schon immer am Faktor gearbeitet und so den Inflationsausgleich einberechnet. Für die hat die neue Gebührenordnung nicht so viel Preiserhöhung bedeutet.
Es hat sich ja auch technisch viel getan.
Natürlich. Viele Neuerungen waren in der alten Gebührenordnung nicht enthalten. Leistungen bei Heimtieren oder in der Zahnheilkunde waren nicht so speziell ausgewiesen wie jetzt. Auch Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) waren bis 2022 nicht gelistet.
Wie streng müssen Sie sich an die GOT halten?
Die GOT ist ein Bundesgesetz. Tierärzte müssen sich dran halten und mindestens Faktor 1 nehmen; und sie dürfen bis zu Faktor 3 für die jeweilige Dienstleistung gehen. Im Notdienst müssen sie Faktor 2 nehmen und dürfen bis Faktor 4 gehen. Bei einem entsprechenden Nachweis der Bedürftigkeit dürfen sie in Einzelfällen auch unter Faktor 1 bleiben.
Wie hat sich der Beruf des Tierarztes in den letzten 30 Jahren entwickelt?
Es gibt da einen Witz: Zwei Patienten gehen zum Arzt. Der eine wird vom Hausarzt untersucht, dann wird er zum Spezialisten überwiesen, was ein paar Wochen dauert. Wieder drei Wochen später bekommt er einen CT-Termin, danach dauert es noch mal drei Wochen bis zur Operation. Der andere geht zum Arzt, hat am nächsten Tag seinen CT-Termin und wird noch am gleichen Tag operiert. Was ist der Unterschied? Der Zweite ist ein Golden Retriever.
Ich kenne noch Zeiten, da ging man fast nur zum Impfen zum Tierarzt.
Der Stellenwert des Tieres ist heute ganz anders als früher, mehr Partner und oft Kind-Ersatz. Ich bin jetzt seit fast 30 Jahren Tierarzt und kann sagen: Da hat sich ganz viel getan. Zum einen ist der Anspruch an die Tiermedizin gestiegen, zum anderen sind unsere Möglichkeiten besser geworden. Früher gab es Computertomografie nur in den großen Kliniken, etwa bei der Veterinärklinik der Universität. Heute ist das in weit besserer Auflösung in guten Praxen auch verfügbar. Später kamen auch noch die Kernspintomografen. Heute läuft manche gut ausgestattete Klinik den Universitätstierkliniken den Rang ab. Ich habe mein HD-CT seit 2016.
Gekauft oder geleast?
Geleast, so ein HD-CT kostet ja immerhin 200 000 Euro. Beim MRT sind Sie bei einer halben Million aufwärts. Das ist sehr viel Geld und wird über die Behandlungen refinanziert. Tierhalter sind mehr besorgt und kennen die Möglichkeiten der Humanmedizin: „Dieser Hund ist mein Kind-Ersatz, können Sie da gar nichts machen?“ Heute können wir dank solcher Geräte Hilfe anbieten. Und in diesem Kontext muss man die Kosten sehen. Die Tiermedizin ist mit den Bedürfnissen der Tierhalter gewachsen.
Das ist ja in der Humanmedizin ähnlich.
Ja! Und bringt leider auch ähnliche negative Folgen mit sich. Wir haben ebenfalls ein zunehmendes Problem mit den Investoren, wie etwa in der Zahnmedizin, bei den Augenärzten oder bei den großen Röntgenpraxen. Ich bekomme regelmäßig Briefe von Investoren mit Angeboten, meine Praxis zu kaufen. Das kommt aber für mich nicht infrage.
Bleiben wir noch bei der Sinnfälligkeit der Hochleistungsmedizin. Zum Beispiel der Ultraschall. Man kann damit jetzt zwar eine kaputte Herzklappe sichtbar machen, aber reparieren kann man sie, anders als beim Menschen, nicht. Man kann nur das kaputte Herz medikamentös stützen und gewinnt vielleicht ein Jahr. Ist das sinnvoll?
Wir tappen hier gerne in eine Falle, wenn wir sagen: Es war ja nur noch ein Jahr. Bedenken Sie aber, dass ein Hundejahr in etwa sieben bis acht Menschenjahren entspricht. Wenn Sie für den Hund ein lebensfrohes Jahr gewinnen, ist das eine lange Zeit. Es gibt Medikamente, die bringen Lebenszeit und gute Lebensqualität für den Hund. Und das wiederum bringt auch Lebensqualität und Lebensfreude für den Menschen.
Manche Tierarztchirurgen versuchen sich schon mit Herzklappen-Operationen.
Ja, schon. Aber diese Therapie ist noch nicht fest etabliert und extrem teuer. Aber eine künstliche Hüfte zum Beispiel ist längst Standard.
Gibt es eigentlich gesundheitliche Unterschiede zwischen Stadt- und Landhund?
Dazu habe ich keine Daten. Aber ich weiß von den Pathologen, dass man bei Hunden, die auf Auspuffhöhe laufen, Belastungen nachweisen kann.
Wie stehen Sie zur Kastration, bei Rüden und bei Hündinnen?
Früher hat man „alles kastriert, wie es hereingekommen“ ist. Der Trend kam aus den USA, wo man auch sehr früh, zum Teil schon vor der ersten Läufigkeit, kastriert hat. Doch im Lauf der Jahre hat man gesehen, dass das gesundheitliche Konsequenzen hat. Zum Beispiel treten Kreuzbandrisse häufiger auf und das Skelettwachstum verändert sich. Heute kastriert man deutlich später und nach individueller Beratung. Auch ein Hund braucht seine Pubertät. Beim Rüden schaut man, ob er verhaltensauffällig ist. Es gibt inzwischen aber auch die chemische Kastration auf Zeit: Man implantiert einen Chip, der wirkt ein halbes bis ein Jahr so, als ob der Hund kastriert wäre.
Was kostet so eine Kastration?
Der Preis hängt im Wesentlichen von Art der Narkose und der gewünschten Narkosesicherheit ab. Beides ist mir sehr wichtig. Zusammen mit dem chirurgischen Procedere kommt man so bei der Hündin auf ungefähr 1200 Euro.
Heute spricht man oft von Problemen durch Qualzucht, vom Schäferhund bis zum Mops.
Qualzucht ist ein sehr ernsthaftes Problem. Vor allem die kurzschnäuzigen Rassen kommen beispielsweise besonders bei schwülem Wetter mit der Atmung überhaupt nicht zurecht. Immer wenn ein Merkmal züchterisch übertrieben wird, kommt es zur Qualzucht. Dazu gehört auch das Wegzüchten von Haaren oder das Einzüchten besonderer Farbschläge.
Der Kult ums Futter beherrscht längst die Werbebranche, ist das sinnvoll oder Geldmacherei?
Wir Tierärzte sind in einer sehr viel besseren Lage als die Humanmediziner, weil wir genau wissen, wie die Bedarfszahlen für die Tiere sind. Bedarfsgerechte Fütterung ist entscheidend. Wir wissen auch, welche Bedürfnisse bei bestimmten Erkrankungen bestehen und welches Futter eine Erkrankung positiv beeinflussen kann. Es gibt ein paar Moden, wie vegetarisches oder veganes Hunde- oder Katzenfutter. Hunde und Katzen sind aber nun mal Fleischfresser. Ich persönlich finde veganes oder vegetarisches Futter für Fleischfresser schwierig. Gott sei Dank gibt es Kollegen, die auf Ernährungsberatung spezialisiert sind, die erstellen auch einen bedarfsgerechten Fütterungsplan. Ich mache das nicht. Hunde werden heute deutlich älter als früher. Dafür spielt die richtige Ernährung sicherlich auch eine große Rolle.
Was halten Sie von Hundekrankenversicherungen?
Tiermedizin kostet Geld. Mit der Entscheidung für ein Tier geht jeder Besitzer auch die Verpflichtung ein, für dessen Wohlergehen zu sorgen. Das steht sogar im Tierschutzgesetz ganz oben. Zumindest eine OP-Versicherung halte ich für klug. Ich mache meist folgenden Vorschlag: Schaut euch an, was eine Vollversicherung kostet, schließt dann aber nur eine OP-Versicherung ab und legt den Betrag, den ihr euch so spart, konsequent auf die Seite. So sind die teuren Behandlungen auf alle Fälle abgedeckt, und für die internistischen Erkrankungen ist ebenfalls Geld da, denn auch diese können schnell viel Geld kosten. Einen Selbstbehalt sollte man als feste Summe wählen und inklusive GOT-Faktor 4 absichern.
Irgendwann kommt der Tag, da muss der Hund eingeschläfert werden. Wie gehen Sie mit dem Besitzer, der Besitzerin um?
Für uns ist der wichtigste Punkt: Wir wissen, dass wir ein Familienmitglied verabschieden. Darauf nehmen wir umfassend Rücksicht. Wir nehmen uns besonders viel Zeit, wir besprechen alles, was und wie es passieren wird, vorher. Wir lassen den Hund erst sanft einschlafen, erst dann vertiefen wir die Narkose so lange, bis das Herz aufhört zu schlagen. Wir Tierärzte müssen dabei jedes Mal den Spagat zwischen emotionaler Nähe und professioneller Distanz schaffen. Das ist oft schwer.
Sind Sie schon mal mit Ihrem Bravo-Namensvetter Dr. Sommer verwechselt worden?
Ich werde natürlich regelmäßig auf die Namensgleichheit angesprochen. Und Anfang meiner Praxiszeit haben wir sogar die Bravo-Redaktion für ein Interview bei uns gehabt. Es ging um das Thema Hundemärkte in China.
Weitere und schon erschienene Folgen der Serie „Hund so weiter“ finden Sie auch unter https://www.sueddeutsche.de/thema/Hunde.