Die letzten Tage von Sophie Scholl:Die Last menschlicher Größe

Eine zentnerschwere Rolle: Wie Julia Jentsch die Herausforderung empfindet, die Widerstandskämpferin Sophie Scholl in einem Film darzustellen.

Von Tanja Rest

Es ist nur eine Filmszene. Von einem Autor geschrieben, von Schauspielern verkörpert, von der Kamera in diesem Moment auf den Set-Monitor übertragen. "Achtung, wir drehen!" Und doch. Es könnte so gewesen sein.

Die letzten Tage von Sophie Scholl: Sophie Scholl mit ihrem Bruder Hans

Sophie Scholl mit ihrem Bruder Hans

(Foto: Foto: dpa)

"So, da sammer. Eintreten, die Damen. Dalli, dalli!" Tür zu, Riegel vor, Schotten dicht. München, der Zellentrakt im Wittelsbacher Palais; 18. Februar 1943. Die ältere Frau verstaut ihre Habseligkeiten im Spind. Die junge hockt auf der Pritsche wie auf einem fernen Gegenstand, nichts von alldem hat mit ihr zu tun, bitte nein, nicht mit ihr. Sophie: "Haben Sie was von meinem Bruder gehört?" Else: "Dein Bruder war schon dran. Du bist momentan die Hauptverdächtige, weil du die Flugblätter 'runtergestoßen hast. Gesteh' denen bloß nichts!" Die Jüngere blickt blicklos zum Waschbecken. Am Rand liegt eine Tube Chlorodont. Entfernt üblen Mundgeruch. Stille. Sophie: "Es gibt nichts zu gestehen."

München, Bavaria Studios, 28. Juni 2004. Am Set eines Historienfilms vorm Arbeitsmonitor zu hocken, ist eine gespenstische Erfahrung. Als würde man in die Zukunft katapultiert und schaute gleichzeitig durch einen Zeittunnel zurück. Auf dem Bildschirm: Nazi-Deutschlandknast, zwei Betten an bleichen Wänden. Spind, Klo, Waschbecken. Chlorodont. Else Gebel, 36, die vor einem Jahr mit Anti-Hitler-Zitaten von Ludwig Thoma erwischt worden ist. Sophie Scholl, 21, die das sechste Flugblatt der Weißen Rose am Vormittag vielhundertfach in den Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität gestoßen hat. Sophie mit der Haarklammerfrisur (kinnlang, Scheitel rechts), Sophie mit dem gereckten Kinn (trotzig trotz Angst), Sophie mit dem gefassten Gesicht, die sagt: "Es gibt nichts zu gestehen." Und drumherum Scriptgirls, Makeup-Mädels, der Kameramann Martin, der Regisseur Marc und der Roland vom Ton. Präger von Puzzleteilchen einer Illusion, die im Frühjahr 2005 ins Kino soll. "Ton...läuft!" - "Konzentration! Auf Anfang, bitte!" Es ist die Gleichzeitigkeit all dessen. Die Gleichzeitigkeit hat etwas Gespenstisches.

"Sophie Scholl - Die letzten Tage" heißt der Film, der mit der Verhaftung der Geschwister im Lichthof beginnt und dann aus der Perspektive Sophies mit Stechschritt-Präzision voran marschiert, fünf kurze Tage lang, bis zum Schafott. In der Vorbauhalle der Bavaria-Studios kann man die Stationen dieses ausgehenden Lebens abschreiten wie einen Kreuzweg.

In einem Sperrholzschrein die Zelle im Wittelsbacher Palais, wo Sophie drei Tage mit Else Gebel verbrachte. Daneben das Verhörzimmer - gusseiserne "Rheinmetall"-Schreibmaschinen auf Tischungetümen -, wo sie sich mit dem Gestapo-Beamten Robert Mohr bis zu 14-stündige Rede-Gefechte lieferte. Ein paar Meter entfernt der Todestrakt von Stadelheim, wo sie die verbleibenden drei Stunden eingekerkert war; das Besucherzimmer für den Abschied von den Eltern; gegenüber der blendend weiß gekalkte Hinrichtungsraum, wo vom Eintreten Sophies bis zum Sirren des Fallbeils exakt acht Sekunden verstrichen. Die Guillotine fehlt noch. Sie wird am letzten Drehtag angeliefert, ein Original aus Wien.

"Die Frage ist schon, packt man das?", sagt Julia Jentsch mehr zu sich selbst als zu sonst jemandem. Sie sitzt draußen auf dem Hof vor Reis und Gemüse, Sophie-Perücke auf dem Kopf, Fleece-Pulli über der Sophie-Weste. "Aber wenn einem ein Projekt angeboten wird, das man so wichtig findet, mit dem man sich so gerne auseinandersetzen würde - dann kann man das nicht absagen." Sie nickt. Vor ein paar Wochen hat man mal mit ihr telefoniert, da war sie gerade zwei Stunden von der Premiere des Weingartner-Films "Die fetten Jahre sind vorbei" in Cannes zurück und hatte noch zwei Tage übrig bis zur Premiere als Antigone an den Münchner Kammerspielen. Sie klang erschöpft.

Die Last menschlicher Größe

Julia Jentsch ist 26 Jahre alt und ein Versprechen. Sie hat ein kleines blasses Gesicht mit ausdrucksvollen Augen und winzigen Leberflecken darin. Sie sieht schmal und sehr, sehr müde aus. Man wäre versucht, sie ein "Persönchen" zu nennen, wenn hinter all der Zartheit nicht auch Anderes spürbar wäre, Entschlossenheit, Nachdenklichkeit, Mengen an Kraft. Und nun also die Sophie Scholl.

Es ist eine zentnerschwere Rolle. Die Widerstandskämpferin Scholl ist ja nicht Irgendeine, die es irgendwie in die Geschichtsbücher geschafft hat. Sophie Scholl ist: Ikone, Nationalheiligtum, eine von fünf Frauen unter 122 Männern in der Regensburger Walhalla, von Gralshütern bewacht, makellos.

Und der Film zeigt ausgerechnet die heroischsten Momente: "Die letzten Tage". Als sie nicht mehr Liebende war, die ihrem Verlobten Fritz Hartnagel die schönsten und sehnsüchtigsten Briefe an die Front schickte. Nicht mehr zweifelnd ins Tagebuch schrieb: "Immer wieder schwankend, müde werdend, nicht mehr sein wollend, so dass ich mir nichts anderes wünsche als Nicht-Sein (...)." Auch keine Randfigur mehr war, die von den Männern der Weißen Rose geduldet wurde, Papiervorräte organisierte, ab und an mit einem Stapel Flugblätter nach Stuttgart fahren durfte, ansonsten aber nicht viel zu sagen hatte.

Sondern. Aus dem Verhörprotokoll Robert Mohrs: "Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen (...) auf mich nehmen." Notiz auf der Rückseite der Anklageschrift im Freisler-Prozess: "Freiheit." Aussage des Henkers, der Hunderte hingerichtet hatte: "So mutig habe ich noch keinen sterben sehen."

In den letzten fünf Tagen ihres Lebens ist Sophie Scholl in den Mittelpunkt gerückt. Sie hat nichts gestanden, was man ihr nicht ohnehin längst nachgewiesen hatte; und sie hat nichts und niemanden verraten, ihre Mitstreiter nicht und am wenigsten ihre eigenen Überzeugungen. Sie ist über sich selbst hinaus gewachsen, und in dieser finalen Größe liegt etwas Fürchterliches. Die Sophie der letzten Tage ist zum Fürchten, weil sie keine Schwäche gezeigt hat.

"Jeder hat dieses Bild von ihr", sagt Julia draußen im Hof. "Doch, ich find' das schwierig, ich find' das extrem schwierig." Sie sagt: "Da geht nicht einfach jemand so durch. Was hat ihr die Kraft gegeben?" Sie beschreibt die "extrem schwere Verantwortung", dem Mädchen Sophie gerecht zu werden, diesem Heldenhaften, mein Gott, "man sucht ja die menschliche Seite", sie erschrickt und redet und redet sich da immer tiefer rein, "was die auch alles gelesen hat, schon toll, und die Tagebücher erst!" Und am Ende dieses Ohnmachtsmonologs stellt sie noch eine Frage und nimmt die Antwort gleich vorweg: "Findest du nicht auch? Also, das Menschliche: Dass man das braucht?"

Die Last menschlicher Größe

Wie auf ein Stichwort stellt sich der Regisseur Marc Rothemund dazu. Jeans, Shirt, Baseballkäppi, cooler Typ; für das Fernsehdrama "Die Hoffnung stirbt zuletzt" hat er den Grimme-Preis in Gold kassiert. Bassstimme, 35 Jahre alt. "Nee, Julia, wir machen das ganz einfach", sagt er. "Die Sophie ist ein ganz normaler Mensch, wie du und ich!"

Ein paar Tage später, die Produktionsräume der Münchner Goldkind Film auf dem Alabama-Gelände. "Die Heilige Sophia vom Wittelsbacher Palais", sagt der Drehbuchautor Fred Breinersdorfer, "das kann's nicht sein." Zwei Jahre lang hat er gemeinsam mit dem Regisseur und einem Team von Helfern für diesen Film recherchiert. Er hat die Briefe und Tagebücher gelesen, in Archiven geforscht, Zeitzeugen befragt, Details rekonstruiert.

An den Wänden sind einige Ergebnisse dieser Arbeit zu besichtigen: historische Zeitungsausrisse, Bilder vom Volksgerichtshof, der Scholl-Wohnung in der Schwabinger Franz-Joseph-Straße. Fotos von fast allen Protagonisten - die Mitglieder der Weißen Rose, der Richter Freisler, Robert Mohr, Else Gebel, einige davon noch nie veröffentlicht. "Wir haben uns streng an die Tatsachen gehalten", sagt Breinersdorfer. "Nur wo die Quellenlage unsicher war, haben wir die dramaturgisch bessere Variante gewählt."

Die Quellenlage hat sich, 22 Jahre nach Michael Verhoevens Klassiker "Die Weiße Rose", deutlich verbessert. Die Vernehmungsprotokolle der Gestapo sind seit der Öffnung der Stasi-Archive zugänglich - wenn auch noch nicht publiziert. Breinersdorfer, gelernter Anwalt, hat Mohrs rund 30-seitige Wiedergabe der Verhöre Sophie Scholls studiert und "virtuoses Leugnen, absolute Raffinesse, intelligente Florettfechtereien" darin entdeckt. Nichtsdestotrotz sei es ein heikles Papier, das man "mit der großen Lupe" lesen müsse. "Es bleibt der Täter, der dem Opfer etwas in den Mund legt."

Aber manchmal hilft auch alle inhaltliche Sorgfalt und investigative Akribie nicht weiter - wenn am Set der Strom ausfällt. Montagmittag: Im Kleinen Sitzungssaal des Münchner Rathauses hocken 60 Komparsen, der Richter Roland Freisler (André Hennicke in blutroter Robe), die Angeklagten Hans Scholl und Christoph Probst seit einer Viertelstunde im Dunkeln. Zu allem Unglück sind die Hakenkreuzfahnen nicht gerollt, sondern gefaltet angeliefert worden und haben jetzt unschöne Knicke. "Lasst uns doch alle nach Hause gehen", brummt der schwer genervte Regisseur.

Mit großer Verspätung beginnt der Drehbetrieb, und da ist die Illusion so perfekt, dass sie sich kaum ertragen lässt. "Achtung, bitte! Wir drehen!" Auftritt Sophie Scholl, von zwei ausdruckslosen Schupos in Saal 216 des Volksgerichtshofs geführt. Sie blickt auf - und mitten hinein in die Fratze ihrer Henker. Sechzig Zuschauer in Uniformen der Wehrmacht, SS, NSDAP, sechzig Männer mit ausrasiertem Nacken. Alle schauen auf sie. Auf dem Monitor wird man später im bleichen Gesicht von Julia Jentsch ein winziges Zucken entdecken. Man wird nicht glauben, dass ihr Entsetzen nur gespielt war.

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