Süddeutsche Zeitung

Dialektpflege in den Medien:"Nordizismen" auf dem Vormarsch

Warum die "Semmel" kein "Brötchen" ist...

"Alles außer Hochdeutsch" vom 23. Februar und Leserbrief "Wertvolles Bairisch" vom 5. März:

Im Leserbrief "Wertvolles Bairisch" beklagt eine Leserin, dass die Medien sich nicht genug um die Bewahrung des Bairischen bemühen. In einer Anmerkung weisen Sie auf Herrn Kratzers Kolumne hin. Als große Zeitung haben Sie eine Verantwortung für die Bewahrung des bairischen Dialekts, vor allem aber auch der guten süddeutschen Hochsprache. Um so mehr, als der BR in der Hinsicht nichts tut, und man uns den ORF ja abgeschaltet hat. Herrn Kratzers wirklich wundervolle Kolumne ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein und bei weitem nicht ausreichend. Um Kulturgut zu bewahren, reicht eine einzelne Kolumne nicht. Es muss aktiv gepflegt werden, sonst ist es tot. Das heißt im Fall einer Sprache: Sie muss benutzt werden, und zwar konsequent und durchgehend. Bei Ihnen aber wird mit Vorliebe die norddeutsche Umgangssprache gepflegt; vermutlich halten Sie diese für akut vom Aussterben bedroht.

Beispiele: In der SZ wurde schon mehrfach die sprachliche Unsitte erwähnt, dass das Adverb "hinauf" durch das norddeutsch-umgangssprachliche "hoch" ersetzt wird. Leider sind aber auch viele Ihrer Autoren von dieser Seuche befallen. Es ist besonders bitter, das ausgerechnet in einem Artikel über einen traditionellen bayerischen Bauernhof ("Ab vom Schuss", 13./14.01.18) gleich im allerersten Satz lesen zu müssen. Sollte ich Frau Kern jemals auf ihrem Bergbauernhof besuchen, werde ich jedenfalls hinaufgehen.

Gebackene Kartoffelschnitze kenne ich als "Pommes frites". Das zweisilbig gesprochene "Pommes" kommt doch wohl aus dem Rheinland. Wenn ich das Wort höre, höre ich Ruhrpott. Das klingt nett aus dem Mund von Ruhrpott-Bewohnern, wenn sie richtig Dialekt sprechen, was im Sinne der Vielfalt ja auch gut und richtig ist. Hier in Bayern, in einer bayerischen Zeitung, nehme ich es jedoch quasi als invasive Spezies wahr, die in einem unfairen Verdrängungswettkampf zum Aussterben einer anderen führt. Auf einer Seite ("Fett weg", 30./31.12.17) fällt hier das Wort "Pommes" circa 30 Mal. Das ist eine tödliche Überdosis RTL-Sprech. Folgt demnächst ein Test von Tiefkühlbuletten oder Brötchen zum Aufbacken?

"Brötchen" gibt es übrigens zuhauf im SZ-Magazin ("Das kategorische Brötchen", SZ-Magazin 04/2018). Herr Erlinger schafft es, in seinem kurzen Text sechs "Brötchen" unterzubringen. Gerade noch dachte ich mir, dass er vielleicht aus dem hohen Norden kommt. Aber laut Wikipedia stammt er aus Deggendorf. Leider konnte ich mit dem Text nicht viel anfangen. Ich weigere mich ab sofort kategorisch, das Wort "Brötchen" zu verstehen. Ich kenne nur Semmeln.

Wann immer es bei Ihnen um Schneehaufen geht, wird todsicher "geschippt", in Artikeln über Kirchen- oder Kuhglocken "bimmelt" es kräftig. Und so weiter und so fort: es wird "geguckt", "gebuddelt", es gibt keine Buben mehr, sondern durchgehend nur noch "Jungs", und Essen ist unweigerlich "lecker".

Wenn das so weitergehen soll, wäre es ehrlicher, die Zeitung gleich in "NZ" ("Norddeutsche") umzubenennen. Ja, ist es denn zu viel verlangt, wenn man in der "Süddeutschen" Süddeutsch lesen will? Ich schlage vor, Sie gestalten für Ihre Mitarbeiter ein Pflicht-Programm, eine App, ähnlich der Rechtschreibprüfung bei Word, das bei allen Nordizismen automatisch anschlägt und die für Bayern korrekte Variante vorschlägt. Außerdem sollten Ihre Mitarbeiter generell für das Thema sensibilisiert und geschult werden. Bringen Sie bitte auch öfter Artikel über bairische Themen und verfolgen Sie, wie es beim BR und in den Lehrplänen um die Förderung des Bairischen (und anderer bayerischer Dialekte) steht. Susanne Tillich, München

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Quelle:
SZ vom 08.03.2018
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