Dialektfreie Münchner:Tschüs statt pfiadi

Immer weniger junge Leute in und um München beherrschen den bairischen Dialekt. Dabei fördert der Dialekt doch die Hirntätigkeit.

Udo Watter

Ist es die weiche Klangfarbe? Das rollende, fast schnurrende R? Der geschmeidig-charmante Zungenschlag? Berühmte Münchner, in deren Timbre sich die Mundart ihrer Stadt entfaltet, haben nicht selten die Gabe, dass man ihnen einfach nicht böse sein kann.

Dialekt München

Nicht mehr viele Münchner sind des Bairischen mächtig.

(Foto: Foto: ddp)

Ob nun Helmut Fischer als Monaco Franze, Mehrfach-Vater Franz Beckenbauer ("Der liebe Gott freut sich über jedes Kind") oder Regisseur Werner Herzog, der immer so niedlich klingt, wenn er über seine legendären Auseinandersetzungen mit Klaus Kinski spricht.

Auch der Münchner Model- und Hippie-Ikone Uschi Obermaier ("Ich kann meine Lebensgschicht nämlich selber scho nimmer hören") verzeiht man ihre mitunter recht trivialen Auslassungen gerne, weil sie selbst nach vielen Jahren in den USA ihre heimische Klangfarbe bewahrt hat.

Wenn also Bairisch im "Playboy" zum erotischsten Dialekt gewählt wird oder bei Umfragen eher als sexy empfunden wird, dann ist es mit ziemlicher Sicherheit eine Art Münchnerisch, das die Befragten dabei im Ohr haben.

In der Stadt selbst beherrschen bekanntlich nicht mehr allzu viele Menschen diese klanglich einnehmende Spielart des Mittelbairischen. Vor allem die Jüngeren spitzen nun schon seit mehreren Generationen den Mund eher zum "tschüs" oder zur "Möhre" statt "servus" oder gar "pfiadi" respektive "Karottn" oder "gelbe Ruam" zu sagen.

Selbst eine entschärfte Variante, welche die mutmaßlich gscherten Elemente vom Land fein geschliffen hat, wird im urbanen Großraum von Schülern nur noch rudimentär verwendet.

"Die Generation unter 35 Jahren spricht in München keinen Dialekt mehr", sagt der Mundartforscher Bernhard Stör. Nur noch knapp über ein Prozent der Schüler in der Landeshauptstadt besäßen bairische Sprachkompetenz.

Vom Aussterben ist das Münchnerische freilich noch nicht bedroht, nur wird es wohl vornehmlich außerhalb der Stadtgrenzen weiterleben. Entlang der S-Bahn-Linien hat es häufig schon die alten Ortsdialekte respektive die derbere Landmundart ersetzt, aber auch in einstigen hochsprachenfernen Gebieten wie Garmisch gebrauchen die Jüngeren immer häufiger die als kultivierter empfundene Abwandlung.

"Die Münchner Sprachform breitet sich im Umland aus", erklärt der gebürtige Münchner Stör. Die Skifahrerin Maria Riesch (Partenkirchen) etwa rede nicht wie eine Werdenfelserin, sondern so, als sei sie in der Landeshauptstadt aufgewachsen.

Gerade bei jüngeren Frauen gelte es auch auf dem Land (oder in Städten wie Regensburg oder Ingolstadt) nicht mehr als chic, die als grob empfundene Mundart der Altvorderen zu benutzen. "Hübsche Mädchen reden aus Imagegründen keinen Dialekt", sagt Stör.

Auf der nächsten Seite: Mundartsprecher treten wieder selbstbewusster auf.

Dialekt fördert die Hirntätigkeit

Schöne Münchnerinnen müssen sich Derartiges in der Regel nicht mal mehr abgewöhnen, da sie spätestens nach dem Kindergarten ohnehin keine Mundartkompetenz besäßen. Oder kann man sich vorstellen, dass eine Abiturientin aus Solln "bieseln" statt "pullern" sagt - falls sie diese Tätigkeit denn überhaupt verbalisieren würde?

Selbst wenn die Eltern zu Hause Bairisch sprächen - was in München nicht nur ob des hohen Anteils an "Zuagroasten" ungewöhnlich wäre - ist damit offenbar wenig erreicht. "Bis die in die Schule kommen, wird ihnen der Dialekt ausgetrieben", sagt Stör, "und meistens ist der Glaube der Eltern eh unerschütterlich, dass Dialekt den Kindern in der Schule schadet", erklärt der 60-Jährige, der am Sprachatlas-Projekt "Sprachregion München" mitgearbeitet hat.

Dass das Kultusministerium inzwischen die Mundart offiziell aufgewertet und die Hirnforschung herausgefunden hat, innere Zweisprachigkeit (wechseln können zwischen Dialekt und Hochsprache) fördere die Hirntätigkeit sowie das Erlernen von Fremdsprachen, kommt wohl zu spät - zumindest für München.

Gerhard Holz, Vorsitzender des Landschaftsverbands München/München-Land im Förderverein Bairische Sprache und Dialekte (FBSD), hat die Hoffnung aber noch nicht ganz aufgegeben: "Am Zustand hat sich wenig geändert, aber die Sensibilität für das Thema ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen."

Damit einher gehe die Tatsache, dass Mundartsprecher wieder selbstbewusster aufträten: "Es ist ein Bewusstsein entstanden: Wenn du Dialekt sprichst und wenn du umschalten kannst, hast was drauf."

Er selber versucht, mit seinem Mundartstammtisch "Boarisch gredt, gsunga und gspuit" dem Trend entgegenzuwirken. Seine Kollegen vom Förderverein tun das Übrige mit Aktionen in Kindergärten und Schulen, inzwischen auch mit Unterstützung des Kultusministeriums.

Sprachgeschichtlich ist das Münchnerische tatsächlich eine eigene Dialektvariante, die sich schon im 19. Jahrhundert durch eine kultiviertere Form vom Umland unterschied - wozu damals etwa noch bäuerliche Randgebiete wie Feldmoching, Allach, Perlach und Riem gehörten.

Schwächere Verdumpfung bei "Wasser" (statt Wosser) oder die Monophthongisierung bei o ( "rot" statt "rout") zeugen davon. Stör selbst spricht, was den heutigen Stadtraum München angeht, von den Sprachgebieten Isartal (Kernmünchnerisch) und Würmtal, zu dem etwa Pasing, Allach oder Großhadern gehörten.

Wer in letztgenannten Gegenden aufwuchs, sprach Westmittelbairisch mit teils schwäbischen Einflüssen - dort verwendete man schon mal "scht" statt "st" bei "Kisten" oder "Fenster" (S-Palatalisierung). Eindeutig definierte Stadtteildialekte gab es aber wohl nie - abgesehen von kleinen Unterschieden in Lautungen oder spezifischen Ausdrücken, wie sie sich auch auf dem Land in Ortsdialekten widerspiegelten.

Auf der nächsten Seite: "Minga" haben die Münchner noch nie gesagt.

Schmelztiegel der Dialekte

Wenn man im 19. Jahrhundert vom Isarufer aus den "garchen Schteig" (Gasteig) hinauf ins damals ärmlichere Haidhausen stieg, dann hörte man freilich eine derbere Variante der Stadtmundart als im Zentrum.

München fungierte generell als Schmelztiegel zwischen Westmittel- und Zentralmittelbairisch: Klassisch ist das Beispiel "zvui Gäid" (zu viel Geld), eine Kombination aus der Dachauer ("zvui Goed") und Freisinger Gegend ("zväi Gäid").

Natürlich gibt es bei allem Abgesang aber noch mundartliche Ausdrücke, die sich auch in München erhalten haben (und teils sogar wieder hipp werden) oder auch den Erhalt dialektaler Lautungen.

So dürfte es zumindest jüngeren Münchnern (und da eher männlichen Geschlechts) noch gelingen, autochthone Formeln à la "Mia san mia", "geweida", "des is gschmeidig" oder "Hund samma scho" einigermaßen glaubwürdig auszusprechen.

Auch das lässige "Ois easy" oder die Anrede "Hey, Oida" sind Beispiele für bairische Einsprengsel in der urbanen Jugendsprache. Gerhard Holz glaubt: "Mundartsprecher werden wieder selbstbewusster, und junge Münchner, die keinen Dialekt mehr beherrschen, empfinden das schon als Defizit."

Beim Versuch, das Wort vom "Isarpreiß" Lügen zu strafen, kann es aber auch zu merkwürdigen Wort- und Lautkreuzungen kommen, die zwischen Dialekt und Hochsprache changieren: Etwa wenn der Münchner Jugendliche Brot "backa" statt "bacha" (backen) sagt, über "die Brückn" geht statt über "d'Bruckn".

"Minga" anstelle von "München" haben die Einwohner der Landeshauptstadt im Übrigen noch nie (oder höchstens in grauer Vorzeit) gesagt, solch bäuerischen Ausdruck überließ man den Menschen vom flachen Land.

Man kann nun die Entwicklung bedauern oder sie unter der üblichen Form von natürlichem Sprachwandel subsumieren und begrüßen. Es gibt auch Experten, die im Zusammenhang mit jüngsten Entwicklungen (Erfolge des Regisseurs Marcus H. Rosenmüller, der Sängerin Claudia Koreck oder der TV-Serie "Dahoam is Dahoam") und einer modernen Sehnsucht nach Identität und Heimat von einer Renaissance des Dialekts sprechen.

Ob Letzteres für das junge München noch von Belang ist, dürfte fraglich sein. Boshaft gesagt: Der Bezug zur bayerischen Folklore entfaltet sich hier wohl am ehesten noch auf der Wiesn, wenn die Teens und Twens aus der Landeshauptstadt in Dirndl und Lederhosen "Oans, zwoa, gsuffa" unfallfrei über die Lippen bringen.

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