Deutschunterricht:Die Sorgen der Lehrer

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In sogenannten Übergangsklassen lernen Kinder aus Migrantenfamilien die Landessprache. Das ist kompliziert genug, doch nun sehen die Pädagogen zusätzliche Probleme

Von Melanie Staudinger

Münchens Lehrer fordern mehr Anstrengungen bei der Integration von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen. Das Modell der Übergangsklassen müsse auch in Zukunft gestärkt werden, sagt Lehrerverbandschefin Waltraud Lučić. In diesen Klassen werden Schüler mit keinen oder wenigen Deutschkenntnissen bis zu zwei Jahre lang unterrichtet - und diese Zeit sollten sie nach Ansicht des Lehrerverbands auch bekommen. Die sofortige oder zu frühe Zuweisung in eine Regelklasse reiche nicht an die Qualität des Sprachunterrichts in den Übergangsklassen heran. "Vor allem dann nicht, wenn die Schüler in der Regelklasse Sprachdefizite aufweisen", sagt Lučić. Zudem fehlten in München Lehrer für zusätzliche Förderkurse, Teamteaching oder Differenzierungsmaßnahmen. In Übergangsklassen sollten nicht mehr als 16 Kinder in einer Klasse von multiprofessionellen Lehrern unterrichtet werden.

An den staatlichen Grund- und Mittelschulen gibt es 105 Übergangsklassen sowie 147 Deutschförderklassen in den Jahrgangsstufen eins und zwei. In ihnen werden Kinder mit Flucht- oder Migrationshintergrund unterrichtet, entscheidend für die Zuteilung in die Klassen sind nur die Deutschkenntnisse, nicht der Bildungsstand der Schüler: Die einen haben keinerlei Deutschkenntnisse, die anderen sind mehrsprachig aufgewachsen. Manche sind nicht alphabetisiert, andere hatten in ihrer Heimat eine Gymnasialeignung. Teilweise sind die Kinder traumatisiert, depressiv und von Zukunftsängsten geplant. Manche kamen mit ihrer Familie aus einem kriegsgebeutelten Land, ein paar mussten die Flucht alleine auf sich nehmen.

Diese Unterschiede bei den Übergangsklassen stellen Lehrer allerdings vor große Herausforderungen. Sie sollen den Kindern und Jugendlichen nicht nur Deutsch beibringen, sondern sie auch auf das Leben in Deutschland vorbereiten - können sich dabei aber nicht auf einen gemeinsamen Kenntnisstand berufen. Individuelle Förderung steht daher ganz oben, in den Klassen sollten zudem nicht mehr als 20 Kinder sitzen. Das Modell der Übergangsklassen habe sich in München bewährt, sagt Lučić. Es garantiere dafür, dass kein zugewanderter Jugendlicher die Schule als funktionaler Analphabet verlasse. Dieses Modell aber sieht der Lehrerverband als gefährdet an.

Weil es in München nämlich zu wenige Lehrer gibt, sind erste Deutschförderklasse etwa an der Bergmannschule oder eine Übergangsklasse an der Mittelschule an der Lehrer-Wirth-Straße aufgelöst worden, wie Lučić berichtet. Dieses Vorgehen hält sie für den falschen Weg. "Man kann nicht ein Loch stopfen, indem man ein anderes aufreißt", sagt die Verbandschefin. Denn in München ist der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund in den Regelklassen ohnehin schon sehr hoch. In den Grundschulen hat im Schnitt jedes zweite Kind nicht-deutsche Wurzeln, in der Mittelschule beträgt der Anteil fast 80 Prozent. "Das Sprachbad ist wichtig, aber dazu muss es genügend Schüler geben, die gut deutsch sprechen", sagt sie. Unter dem Begriff "Sprachbad" verstehen Experten, dass Schüler im Unterricht in eine für sie fremde Sprache "eintauchen", dadurch, dass diese ständige Umgangssprache ist.

Lučićs Erfahrung nach versuchen Schulleiter in Zeiten des Lehrermangels, Ü-Klassen-Schüler zu schnell in eine Regelklasse zu stecken oder ganze Ü-Klassen aufzulösen, weil nicht mehr genügend Schüler da seien. Dadurch aber sei niemandem geholfen: "Wie wollen wir Menschen mit Fluchthintergrund und schlechtem Deutsch in den Ausbildungsmarkt geschweige denn in den Arbeitsmarkt integrieren?" Für Lučić und den Lehrerverband ist klar: Es müsse eine Münchner Sonderlösung geben. Es brauche ausreichend Lehrer und vor allem auch eine ausreichende Anzahl an Vertretungslehrern.

Auch Schulamtsleiterin Alexandra Brumann hat bereits mehrmals die Probleme in der bayerischen Landeshauptstadt angesprochen. Weil das Leben in München so teuer sei, wollten sich Junglehrer nicht hierher versetzen lassen. Mit hohen Geburten- und Zuzugsraten steige aber der Bedarf an Lehrern. Bisher sei es jedes Jahr gelungen, alle Klassen zu besetzen und eine mobile Reserve zur Verfügung zu stellen. Wenn der Aushilfspool aber ausgeschöpft ist, müssen die Schulen eigene Lösungen finden.

Lučić schlägt vor, Junglehrern mehr Anreize zu bieten, um sie nach München zu locken. Infrage kämen zum Beispiel günstige Dienstwohnungen, ein Bonus bei der Anstellungsnote oder günstige Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr. Sonst könnte sich eine Abwärtsspirale in Gang setzen: Weniger Lehrer bedeuteten größere Klassen und die wiederum brächten schwierigere Arbeitsbedingungen mit sich - weshalb am Ende noch weniger Lehrer nach München wollten. Das gelte es zu verhindern, sagt Lučić.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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