Deutschland im Sportwetten-Fieber:An der Schwelle zur Sucht

Deutschland ist im EM-Fieber. Und im Sportwetten-Fieber. Allein in München gibt es inzwischen mehr als 150 Wettbüros. Doch die echten Zocker interessiert statt Fußball nur die Quote - beim Versuch, den Zufall zu überlisten, verlieren sich viele auch in der Abhängigkeit.

Benedikt Warmbrunn

Oliver Kahn sagt, dass Polen gute Chancen habe, er sagt es auf drei riesigen Bildschirmen. Der Heimvorteil, die drei Dortmunder im Team. Der dreifache Kahn also hat ein gutes Gefühl, aber noch hat er kein Ergebnis vorhergesagt. Und der Mann hinter dem Tresen wird ungeduldig, er erwartet jetzt zumindest einmal einen Tipp des Besuchers.

Sportwetten

Private Wettanbieter reden nicht gerne über ihre Geschäfte. Zumindest ist aber bekannt, dass diese gut laufen. Dem Buchmacherverband zufolge hat der Sportwettenmarkt im Jahr 2008 einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro gemacht.

(Foto: dpa)

2:0 für Polen gegen Tschechien? Er nickt, guter Tipp. Vielleicht auch noch Russland-Griechenland? 4:1? "Junge", sagt der Mann hinter dem Tresen, die Griechen seien gut, sein Geheimtipp. Er nimmt die vier Euro Wetteinsatz an, druckt zwei kleine Scheine mit den Tipps, den Quoten, der möglichen Auszahlung aus. "Bis später", sagt er.

Die Stimmung im Wettbüro in der Au wird unruhig, es sind nur noch zehn Minuten bis zum Anpfiff des letzten Spieltags der Gruppe A bei dieser Europameisterschaft. Quoten werden multipliziert, auf Papier werden kleine Tabellen gekritzelt. Spielt eigentlich der Rosicky für Tschechien? Er spielt nicht? Wieder wird gekritzelt, durchgestrichen, neu kalkuliert. Dann gehen die letzten Tipper zu dem Mann hinter dem Tresen.

Großereignisse wie die Europameisterschaft sind Hochzeiten für Sportwetter. Im Büro, in der Uni, im Freundeskreis und in der Familie gibt es viele private Tipp-Runden. Auch die staatlichen und privaten Wettanbieter verzeichnen in diesen Wochen einen Anstieg, ob im Internet oder im Shop. Ihr Umsatz legt in dieser Zeit angeblich um fünf Prozent zu.

In dem Wettbüro in der Au sitzen am Samstagabend 18 Männer. Auf je drei Bildschirmen werden die beiden Fußball-Spiele übertragen, auf vier Schirmen auf halber Höhe werden ständig Quoten aktualisiert, auch von anderen laufenden Sport-Ereignissen. Außerdem haben alle Tipper ein Heftchen mit Wetten des Abends vor sich liegen. Die Kontaktaufnahme fällt schwer, sie wollen rechnen, nicht reden; und wenn schon reden, dann bitte keine komplizierten Fragen.

Auch die privaten Wettanbieter reden nur ungern, vor allem über das, was sie tun und welches System dahinter steckt. 150 Wettbüros gibt es nach Auskunft des Kreisverwaltungsreferats in München. Es sind vor allem Ableger von Anbietern wie Tipico oder mybet, beides lizenzierte Buchmacher mit Sitz auf Malta.

Wer einen Shop aufmachen will, dem wird im Internet empfohlen, ein Startkapital von 50.000 Euro mitzubringen und eine mindestens 100 Quadratmeter große Räumlichkeit zu finden, die am besten so liegt, dass viele potenzielle Spieler in der Nähe wohnen. Nach drei bis sechs Monaten sei das Startkapital wieder drin. Woher man wissen soll, ob in der eigenen Nachbarschaft viele Zocker wohnen, und wie sicher das eingesetzte Kapital tatsächlich ist, dazu gibt es keine Informationen.

Wenn aus Leidenschaft Sucht wird

Die Wettbüros, die sogenannten Wettvermittler, können auf zwei Wegen Geld verdienen. So können sie prozentual an dem Betrag beteiligt werden, der nach Abzug der Wettgebühren und der Gewinnausschüttung an die Spieler übrig bleibt; üblich ist eine Aufteilung zwischen Buchmacher und Shop im Verhältnis von 70:30 oder 60:40.

Oder sie werden am Umsatz beteiligt, abhängig vom Gesamtumsatzes des Shops, meist sind dies zehn bis 15 Prozent. Einer Präsentation des deutschen Buchmacherverbandes zufolge hat der Sportwettenmarkt im Jahr 2008 einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro gemacht, knapp ein Drittel davon mit Wettbüros, den Rest über Angebote mit Online-Wetten.

In dem Shop in der Au sind die Spieler an diesem Abend risikofreudig. Ein erfahrener Wetter aus Griechenland setzt 15 Euro auf einen Sieg seines Heimatlandes. Insgesamt hat er mehr als ein Dutzend Wettscheine vor sich liegen. Aufmerksam verfolgt er den Verlauf der Quoten auf den unteren Bildschirmen. Für die EM-Partien hat er kein Auge. In der 69. Spielminute springt er auf, eilt zum Schalter, er setzt fünf Euro, dass Griechenland das nächste Tor erzielt. Kaum sitzt er wieder, trifft Tzavellas den Pfosten. Der erfahrene Tipper stöhnt.

Ein solches Verhalten deute auf eine Sucht hin, sagt Professor Gerhard Bühringer vom Institut für Therapieforschung München: "Viele Spieler glauben, den Zufall überwinden zu können." Indem sie sich auf Partien vorbereiten, den Einfluss von Form, Verletzten, Sperren dazurechnen, meinen sie, die Wahrscheinlichkeit für sich verbessern zu können. Das treibt sie auch ins Wettbüro, wo sie - anders als einsam vor einem PC - die Expertise mit ihresgleichen teilen.

Sportwetten hätten hohes Suchtpotenzial, sagt Bühringer. In Bayern wird die Zahl der pathologisch Glücksspielsüchtigen auf 26.000 geschätzt, ein Viertel von ihnen sei durch Sportwetten süchtig geworden. "Es geht auch um einen gewissen Kompetenzanteil, der aber letztlich vernachlässigbar ist", so Bühringer.

Es gibt Studien, in denen sogenannte Experten, Laien und ein Zufallsgenerator Ergebnisse vorhersagen. Die Experten tippen häufig die richtige Tendenz, bei Ergebnis-Wetten würden aber alle Geld verlieren. Damit die Spieler sich nicht überschätzen, darf in Wettbüros zum Beispiel kein Alkohol verkauft werden.

Nachdem an diesem Samstag beide Spiele abgepfiffen worden sind, trotten die Tipper zum Schalter, es werden Gewinne ausgezahlt, meistens ein mittlerer zweistelliger Betrag. Andere suchen Erklärungen für falsche Tipps. Scheine werden zerknüllt und weggeworfen.

Der dreifache Kahn sagt: "So ist der Fußball."

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